zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Grüne Grenze

Mit Mikroskop und Spaten: Eine neue Ausstellung zeigt, wie Potsdams Schlösserparks nach der Wende gerettet wurden

Wenn man die Fotos heute sieht, traut man den Augen kaum: Der Neue Garten eine Sandwüste, durchschnitten von der Mauer, im Park Babelsberg ein Stacheldrahtzaun vor dem Schloss, am Ufer der schnurgerade Kolonnenweg und daneben auf der einen Seite die Mauer, gut ausgeleuchtet mit Straßenlaternen, auf der anderen Seite zugewuchertes Gelände. In jedem der beiden Schlösserparks war eine Fläche von rund 13 Hektar – das entspricht ungefähr 26 Fußballfeldern – durch die DDR-Grenzanlagen zerstört worden, sagt Jörg Wacker, Kustos für Gartendenkmalpflege bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Seit dieser Woche erinnert eine Freiluftausstellung in beiden Parks sowie in Sacrow und am Pfingstberg an die Rückgewinnung des Potsdamer Gartenkulturerbes seit der Wende vor 25 Jahren. Auf Informationstafeln an insgesamt 13 Punkten werden historische Aufnahmen dem heutigen Erscheinungsbild der Gärten gegenübergestellt und der Spaziergänger erfährt, welcher Aufwand für die Wiederherstellung betrieben wurde.

An die erste Begehung des Grenzgebietes im Park Babelsberg nach der Wende erinnert sich Jörg Wacker noch genau. Aber es war nicht Entsetzen oder Zorn, was er angesichts der Zerstörung der lennéschen Gartenlandschaft fühlte. „Wir wussten ja aus Plänen, Verduten und Fotografien, wie der Park früher aussah – das trägt man in seinem geistigen Auge mit und dann wirkt es nicht so schlimm“, sagt der 54-Jährige. Schon beim ersten Rundgang habe man nahe dem Kolonnenweg die Überreste der mit Erde zugeschütteten Rosentreppe entdeckt. Obwohl Ahorn und Birken wild aufgeschossen waren, war das Dickicht im ehemaligen Lauf der Treppe anders, das frühere Erscheinungsbild für die Gärtner förmlich spürbar, wie Wacker sagt: „Das war sehr beeindruckend.“ Die folgenden Wochen und Monate waren dann von einem „Geist des Zurückholens und Tätigseins“ geprägt, erinnert er sich. Insgesamt gut zehn Jahre sollte es dauern, ehe die Rekonstruktionsarbeiten in den Potsdamer Parkanlagen im Jahr 2001 abgeschlossen werden konnten.

Für den Abbau der Mauer und der Grenzanlagen selbst war zunächst die Nationale Volksarmee zuständig. Die Zusammenarbeit sei reibungslos verlaufen, berichtet Wacker. Mit Fotos und bei Rundgängen wurde dann der Zustand der Parks dokumentiert und ein Wiederherstellungsplan erarbeitet. „Die größte Schwierigkeit war, die frühere Geländemodellierung wiederherzustellen“, sagt Wacker. Die Grenztruppen hatten im Park Babelsberg ganze Hügel abgetragen und die Uferlinie der Havel zugeschüttet und damit verändert. Mittels modernster Methoden von der Technischen Universität Berlin und dem Feingefühl und Können der Gartenexperten wurde das ehemalige Aussehen rekonstruiert.

Die Gärtner konnten auf Luftfotos der sowjetischen Armee zurückgreifen, die mittels Stereoskoptechnologie analysiert wurden, erklärt Jörg Wacker. Dabei wurden unter dem Mikroskop jeweils zwei Bilder übereinandergelegt, was ein räumliches Bild ergibt – ähnlich wie bei den in der DDR als Spielzeug beliebten Stereomaten. Durch das Einstellen der Schärfe wurde dann deutlich, welche Bereiche des Parks auf derselben Höhe lagen – ein Anhaltspunkt für die Geländemodellierung. Der Feinverlauf wurde dann vor Ort mit Holzstangen und Fähnchen simuliert. „Das war Handarbeit“, sagt Wacker. In der Ausstellung sind Fotos von diesen Arbeiten zu sehen.

Der ehemalige Wegeverlauf wurde mit archäologischen Schürfungen ausfindig gemacht: „Man kratzte mit dem Spaten in die Oberfläche“, erklärt Jörg Wacker. Anhand von Verfärbungen und den Materialien im Boden konnten die Gartenexperten bestimmen, wie es früher an der Stelle ausgesehen hatte.

Im Neuen Garten musste zuerst der mit Unkrautvernichtungsmittel präparierte Sandboden kubikmeterweise mit einer Humus-Laub-LehmMischung ersetzt werden, „damit die Sträucher wieder Fuß fassen konnten“, erzählt der Gartenkustos. Tausende Gehölze wurden neu gepflanzt – die eigene Baumschule reichte nicht aus, es gab massenhaft Zukäufe.

Bei der Wiederherstellung habe man auch Unterstützung vom Internationalen Bund für Jugendsozialarbeit bekommen, erinnert sich Jörg Wacker: Schwer vermittelbare Jugendliche halfen über mehrere Jahre bei den Arbeiten. „Unser eigener Gärtnerbestand war nach der Wende dermaßen dezimiert, dass wir das allein gar nicht hätten leisten können“, sagt der Gartenkustos.

Heute ahnt man als Besucher kaum etwas von der Arbeit, die ein gutes Jahrzehnt lang geleistet wurde – deswegen auch die Freiluftausstellung anlässlich des 25. Mauerfalljubiläums. „Es ist die schönste Freude, wenn man sieht, wie alles zusammengewachsen ist“, sagt Wacker. „Wenn man heute durch die Parks geht und nichts weiß, sieht man die früheren Zerstörungen nicht mehr – für mich ist das das größte Lob.“

Zur Startseite