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Zu Ostern ist die Kirche St. Antonius in Babelsberg geöffnet, täglich von 15 bis 18 Uhr.

© Ottmar Winter PNN

Gottesdienst per Livestream: Kleines Feuer, große Fragen

Wie die Babelsberger Sankt-Antonius-Gemeinde und ihr Pfarrer Christoph Karlson die Zeit vor Ostern erleben.

Potsdam - Jeden Tag feiert Pfarrer Christoph Karlson von St. Antonius einen Gottesdienst. So lautet die Vorschrift. Weil Gottesdienste und alle anderen Veranstaltungen derzeit verboten sind, muss er das alleine tun, nur manchmal ist ein Ministrant oder anderer Helfer dabei. Trotzdem geht er dafür aus seiner Wohnung rüber in die Kirche in der Plantagenstraße. Er verrät aber nicht, um welche Uhrzeit, denn sonst würden Gemeindemitglieder unweigerlich vor der Tür stehen und reinwollen. Aber das geht nun mal nicht. „Da habe ich vor den leeren Bänken schon einen Kloß im Hals“, sagt der 47-Jährige.

Am vergangenen Sonntag wurde der Gottesdienst aufgezeichnet, mit Orgelmusik und Weihrauchfässchen. Live waren Hunderte Menschen seiner Gemeinde in ihren Wohnzimmern dabei. Das Video kann man noch immer abrufen, ebenso eine Grußbotschaft des Pfarrers: „Ich vermisse Sie“, sagt er da, sichtlich nachdenklich und traurig.

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Die drastischen Einschränkungen öffentlichen Lebens treffen auch und vielleicht besonders hart die Kirchen. Nie gab es das in der Geschichte, dass man sich nicht treffen konnte. Wenige Tage vor dem Osterwochenende wirkt Karlson noch immer etwas ratlos aber auch fokussiert. „Wir sind jetzt selber die Passion“, sagt er. Die Menschen stecken selber in der Leidensgeschichte Jesu, an die vor Ostern normalerweise auch bei Kreuzwegandachten erinnert wird. Weil das nun nicht geht, haben Kinder der Gemeinde jene Szenen der biblischen Geschichte nachgebaut, jede Station mit Püppchen und Bildern, Holz oder Legos in einem Pappkarton in Szene gesetzt. Zur stillen Betrachtung. „Passion im Karton“ steht auf einem Schild an der Kirchentür. Und: „Achtet aufeinander und haltet Abstand“.

Zu Ostern geöffnet

Die Kirche ist also offen, täglich von 15 bis 18 Uhr, das ist mehr als sonst. Immer sind ein oder zwei Gemeindemitglieder vor Ort, als Kirchenwächter. Drinnen ist jede zweite Bank abgesperrt, damit man sich beim Gebet nicht doch zu nahe kommt. Im Eingang steht ein Tischchen mit Desinfektionslösung. Daneben Osterkerzen zum Kaufen. In der Osternacht wird Pfarrer Karlson ein kleines Feuer entfachen, „sonst zählt es ja nicht“, sagt er, dann doch ein wenig verschmitzt lächelnd. Am Ostersonntag können die Menschen die Kirche besuchen und ihre Kerzen am Osterfeuer entzünden. Jeder für sich. Es wird keinen festlichen Gottesdienst, auch keine kleine Andacht geben. Was wird er tun, wenn die Menschen plötzlich alle auf einmal ankommen? „Auf Abstand achten“, sagt Karlson. Es wirkt wie eine eingeübte Floskel.

Sie sind in den vergangenen Wochen erfinderisch geworden. Haben neue Kräfte entdeckt. „Wer jetzt mehr Zeit hat, bringt sich auch mehr ein“, sagt der Pfarrer. Er freut sich über zuverlässige und belastbare ehrenamtliche Hilfe. Die Jungen wissen, wie man mit Technik umgeht. Die Alten sind beeindruckt. Was, es ist gar kein Fernsehteam in der Kirche und trotzdem kann ich den Gottesdienst zu Hause sehen? Dass das möglich ist!“ Der Pfarrer muss vor allem mehr telefonieren. Es gibt viele Menschen, die jetzt Gesprächsbedarf haben. Da geht es zunehmend um sehr irdische Sorgen wie Arbeitslosigkeit. Um manche Menschen, alte, einsame, macht sich Karlson durchaus große Sorgen. „Wenn ich eine Mail bekomme mit den Worten, ich brauche Hilfe‘, dann muss ich da sofort hin. In diesem Fall konnten wir im Garten sitzen und sprechen.“

Pfarrer Christoph Karlson von St. Antonius
Pfarrer Christoph Karlson von St. Antonius

© Ottmar Winter PNN

Er teilt die Ängste seiner Gemeinde

Die Situation belastet ihn auch persönlich. Seine Mutter in Berlin, die er jetzt nicht besuchen kann. Traurige, unwürdige Beerdigungen, bei denen nur Verwandte ersten Grades dabei sein dürfen. Die Bilder aus Italien. Karlson hat in Rom studiert. „Ich fühle mich manchmal sehr hilflos.“ Die Zeit fordere sie alle heraus, manchmal über Grenzen hinaus, so dass man sich die großen Fragen stelle: Was will man anfangen mit seinem Leben?

Für die Gemeinde veröffentlichen sie jetzt Vorlagen für Hausgottesdienste online oder stecken sie ausgedruckt in Briefkästen. Die Menschen lernen gerade, was man alles zu Hause machen kann und dass man sich beim gemeinsamen Singen und Beten nicht komisch vorkommen muss, sagt der Pfarrer. Aber alles ohne Selbstanklage. „Das hier ist keine Strafe Gottes, keine Rache der Natur.“ Er teile jedoch die Angst der Menschen. Und sagt dann Sätze, in denen Naivität und Wissenschaft überraschend harmonisch aufeinander treffen: „Es gibt Millionen von Viren, alle hat der liebe Gott gemacht und alle wollen sich vermehren.“

Gegen die Viren hilft Händewaschen. Ein Mann betritt an jenem Nachmittag die Kirche, desinfiziert gründlich seine Hände, zündet eine Kerze an. Dann betet er stumm, aber mit erhobenen Armen. Auf dem Weg hinaus benutzt er wieder Desinfektionsmittel. „Die Menschen brauchen Regeln, sie suchen Halt“, sagt Karlson. Jemand hat ihm einen selbstgenähten Mundschutz gebracht. Er selbst räumt in diesen Wochen seinen Schreibtisch auf. Wenn der Computer wieder da ist, wird er an seiner Doktorarbeit schreiben. Drei Wochen musste er auf ein Ersatzteil warten, aus China. „Auch das ist Krise.“ Ostersonntag ist er bei den Nonnen in Wilhelmshorst zum Mittagessen eingeladen. Und dann? „Vielleicht ein Osterspaziergang, eine Radtour, mal sehen.“

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