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Landeshauptstadt: Gottes Wort in neun Sprachen

Kirche und Plattenbau – das muss kein Gegensatz sein, zeigt sich in der Stern-Kirchengemeinde. Der Kiezgottesdienst Am Schlaatz hat sogar Fans von außerhalb

Von Andreas Klaer

Lesen Sie am Dienstag, 28. März: Französisch-Reformierte Gemeinde

Im Flur riecht es nach Eukalyptus. Der Duft kommt von der Sauna im Keller. Das Bürgerhaus Am Schlaatz ist ein Herzstück des Plattenbaustadtteils im Potsdamer Süden. Hier wird sauniert, gebowlt, geboxt, gekocht, gefeiert, Kunst gemacht, Kaffee getrunken, gelernt, getanzt – und mindestens einmal im Monat auch gebetet. Immer am dritten Freitag um 18 Uhr findet im Bürgerhaus der Kiezgottesdienst des Projekts „Kirche im Kiez“ statt. Jetzt ist es wieder so weit. In einem der Kursräume haben die Ehrenamtler den Abend vorbereitet. Die Stühle stehen im Halbkreis, auf jedem liegt ein Liederbuch. Auf dem Tisch vor dem Fenster steht ein Holzkreuz, eine brennende Kerze, davor ein weiteres Tischchen mit einem Handwebrahmen. Neun Gläubige kommen diesmal zusammen. Aus einem Korb nehmen sich alle einen bunten Stoffstreifen.

Es geht familiär-freundschaftlich zu, man duzt sich. „Ist es für euch ok, wenn ich sitze?“, fragt Diakonin Daniela Waldhoff. Sie wird als Gast die Predigt halten. Vor fünf Jahren arbeitete sie bei „Kirche im Kiez“, dann wechselte sie nach Berlin und ist jetzt eigentlich in Elternzeit. Die Anfrage aus Potsdam hat sie trotzdem gern angenommen.

Was sonst im Gottesdienst passiert, das hat das ehrenamtliche Organisationsteam zwei Wochen vorher besprochen und vorbereitet. Es soll weniger formell zugehen, verständlich, Fragen sind zugelassen. „Wir wollen auch die Leute erreichen, die nichts am Hut haben mit Kirche“, sagt Günter Fuls aus dem Organisationsteam. Für Katrin Schwarzer ist die Atmosphäre wichtig: „Auch Leute, die sich nicht auskennen, sollen sich wohlfühlen“, sagt die Sonderpädagogin, die heute die Idee mit dem Webrahmen hatte.

Gut zehn Jahre gibt es die „Kirche im Kiez“ inzwischen. Angebunden ist das Projekt bei der evangelischen Stern-Kirchengemeinde im benachbarten Stadtteil Am Stern. Das Geld dafür kommt vom Kirchenkreis, der erst jüngst wieder die Verlängerung der Diakon-Stelle bewilligt hat, aber auch durch Spenden der Gemeindemitglieder, wie Stern-Kirchenpfarrer Andreas Markert betont. Als es 2006 startete, hatte Markert gerade sein erstes Jahr in der Gemeinde hinter sich. Die Initiative kam damals von Diakon Matthias Stempfle. „Er hat sich auch einfach mal auf den Marktplatz Am Schlaatz hingesetzt mit einem Schild ,Kirche im Kiez’“, erzählt Markert. Nach dem Motto: Wenn die Leute nicht in die Kirche kommen, kommt die Kirche eben zu den Leuten.

Dabei kann sich Markert über fehlendes Interesse Am Stern nicht beschweren. Mit mindestens 100 Gottesdienstbesuchern ist die Sternkirche jeden Sonntag voll, sagt der 58-Jährige. Die Gemeindegröße sei seit Jahren mit rund 1600 Mitgliedern konstant – und das, obwohl weder der Stern noch der Schlaatz klassische Zuzugsgebiete sind und es viel Bewegung in der Einwohnerschaft gibt. Es gibt Gemeindemitglieder, die von Anfang an dabei sind und solche, die nur vorübergehend im Stadtteil wohnen, etwa für ihre Studienzeit. Auch Neueintritte gibt es immer wieder: Momentan bereitet der Pfarrer fünf Frauen auf die Taufe vor.

Wie bunt die Stadtteile geworden sind, spiegelt sich auch in der Kirche wider: Die Bibel steht dort nicht nur in deutscher Übersetzung, sondern auch in acht weiteren Sprachen – Spanisch, Persisch oder Farsi zum Beispiel. Markert erzählt von drei Iranern, die neuerdings dabei sind. „Die sprechen außer Persisch nur ein paar Worte Deutsch, aber kommen trotzdem.“ In der Kirche könnten sie Kontakte knüpfen, unter Leuten sein, beten. Das Gotteshaus soll allen offen stehen – so wie es zu den Bürozeiten offen ist für Besucher, die Stille suchen, innehalten oder beten wollen.

Die Gemeindearbeit steht für Markert im Mittelpunkt: „Wir sind als Gemeinde ein Netzwerk, verbunden im Glauben an Jesus Christus“, sagt er. Und erzählt von den vielen Ehrenamtlichen, die ein großes Programm an Angeboten mit Eigenverantwortung stemmen – „das ist unser Kirchenschatz“, sagt er und lächelt. Da gibt es eine Krabbelgruppe, einen Handarbeitskreis, Frauen- und Männergebetskreise, den Chor, die Kinderkirche, die Gruppe „Blaues Kreuz“ für Suchtgefährdete oder Suchtkranke – und die „Kirche im Kiez“.

Dort ist das Thema heute: „Gott steht zu seiner Berufung“. Diakonin Daniela Waldhoff erzählt vom Hirtenjungen David, der als Kind zum König gesalbt wird, aber dann 13 Jahre warten muss, bis er König wird, eine Zeit der Entbehrungen und des Zweifels. Waldhoffs Botschaft: Nicht aufgeben, wenn das Leben scheinbar in der Sackgasse steckt. „Gott nutzt solche Zeiten, um an uns und unseren Herzen zu arbeiten.“ Es wird gesungen und gebetet, die Fürbitte sprechen einige Teilnehmer – sie haben Wünsche für Familienmitglieder, aber auch für die Opfer von Katastrophen oder Kriegen. Auch der Webrahmen kommt zum Einsatz: Alle Teilnehmer flechten ihr Stoffband über die Holzstäbe – der Beginn für ein Sitzkissen und gleichzeitig ein Bild dafür, wie sich Einzelnes zum Ganzen fügt.

Nach dem Segen zum Abschluss bleibt die Runde zusammen. Hannelore Roß hat eine Blumenkohlsuppe mitgebracht, beim Tee wird noch geplaudert und gelacht. Diese Gemeinschaft mit Nachbarn vom Schlaatz schätzt Roland Orlowsky: „Und Gott kann man nicht oft genug loben“, sagt der 56-jährige gelernte Holzfäller, der im Einzelhandel arbeitet. Dabei wird der Gottesdienst nicht nur von Schlaatzern geschätzt: Marion Thomas kommt mit ihrem Mann und der 17-jährigen Tochter sogar extra von Kleinmachnow. In der Kirche dort, sagt sie lächelnd, gebe es ihr zu viel Jazz. Beim Kiezprojekt Am Schlaatz mag sie dagegen „das gemeinsame Vorbereiten, das gemeinsame Tun“.

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