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Landeshauptstadt: Go Wartburg, go!

Der Babelsberger Jörg Tissat will mit seinem Oldtimer quer durch die USA reisen und ihn dann für einen guten Zweck versteigern. Noch diesen Sommer soll es losgehen

Beinahe schwungvoll setzt sich Jörg Tissat auf den rechten vorderen Kotflügel und posiert für die Kamera. Anderen Oldtimerfans würde das Herz stehen bleiben angesichts solch forscher Respektlosigkeit. Jörg Tissat lächelt nur und tätschelt die Karosserie. „Ist doch noch Blech“, sagt der 56-Jährige. Noch, weil er als DDR-Bürger das Verschwinden des Blechs zugunsten des Papp-Trabis erlebt hat. Aber der Wartburg 311 Camping, Baujahr 1957, 45 PS, 1000 Kubikmeter, 130 Kilometer pro Stunde Höchstgeschwindigkeit bergab, wenn drei Mann drin sitzen, satte vier Meter 40 Länge, innen schicke Holzverkleidung und vor allem fahrbereit – sein Schätzchen, das ist noch eine ganz andere Generation Auto.

Sogar im Westen und selbst in den USA hat man den Wartburg aus Eisenach geschätzt und gekauft. Der Potsdamer Jörg Tissat hat seinen erst 2013 gekauft, ein Scheunenfund aus einem Dorf bei Rostock, und hat ihn in den vergangenen vier Jahren in der Werkstatt des Wartburgclubs Berlin-Brandenburg e.V. aufgebaut. Hat ihn so schick gemacht, dass er damit vor zwei Wochen bei den Classic Days Berlin auf dem Kudamm den Preis „Best of Show 2017“ gewonnen hat. Für das besondere Auto und die tolle Geschichte dazu, sagt er. Eine riesengroße Überraschung sei das für ihn, den kleinen Handwerker aus Babelsberg, gewesen, als er am dritten Tag der Messe zur Preisverleihung auf die Bühne gebeten wurde.

Diese Geschichte beginnt irgendwie auch in einer Scheune, vielleicht war es auch ein Hühnerstall, jedenfalls war es auf dem Dorf beim Onkel, wo der damals Zwölfjährige ein olles Moped entdeckte. „Wenn du es zum Laufen bringst, darfst du es fahren“, sagt der Onkel, nur nicht zwischen 14 und 15 Uhr, denn da fahre der ABV, so hieß der Revier-Hilfspolizist in der DDR, durchs Dorf. „Und ich hab’s geschafft“, sagt Tissat.

Gebastelt hatte er immer schon gerne und außerdem vom Großvater das Buch „Der deutsche Straßenverkehr“ gelesen. Da wurde beispielsweise erklärt, wie die verschiedenen Motortypen funktionieren. Nach dem Moped kommt ein Motorrad, eine Awo 425 Sport, und Tissat lernt Elektromonteur in Teltow. Das Basteln, das Schrauben, wird zum Hobby, in der DDR kann man das gut gebrauchen. Als Handwerker verdient er gut und kauft bald sein erstes Auto, drei sind es bis zur Wende, darunter auch mal ein Wartburg, und immer gebraucht, auf Neuwagen musste man ja ewig warten, sagt er. Das Schrauben verlernt er so nicht.

Als er schon längst einen Mercedes fährt, bekommt er eines Tages ein Buch über die Geschichte der Automarke Wartburg geschenkt. Es kommen Erinnerungen hoch, und als er liest, wie ein gewisser Willy Witkin in den 1950er Jahren die Marke in den USA vertrieben hat, die Limousine gab es ab 1799 Dollar, will er es noch mal wissen. Mit seinem Wartburg-Oldtimer, den er sich extra dafür aufbaut, möchte er einmal die berühmte Route 66 entlangfahren. Vier bis fünf Wochen, fast 4000 Kilometer von Chicago nach Santa Monica an der Westküste und zurück noch mal 4000, das Auto muss ja wieder nach Hause.

Es ist ein verrückter Plan, aber Jörg Tissat kriegt ihn nicht mehr aus dem Kopf. Wenn eine Heidi Hetzer mit ihrem Oldtimer durch die Welt reisen kann, dann auch er. Und das Auto, sein „Willy“, wie er jetzt heißt, würde es schaffen, der neue Motor hat erst 6000 Kilometer runter. „Willy ist fit.“ Sollte was kaputt gehen, hat er im Kofferraum eine Werkzeugkiste. Daneben einen Kanister mit Öl, damit er beim Tanken den Zweitakter-Mix aus Benzin und Öl selbst mischen kann. Wenn er losfährt, ist es das holprige Knattern und der Ölgeruch, der die Ost-Herkunft des Wagens verrät. An das Fahren ohne Servolenkung und Bremskraftverstärker hat sich Jörg Tissat längst gewöhnt. Nachgerüstet hat er nur ein Kassetten-Radio und eine – damals handelsübliche – Plastik-Blumenvase für das Armaturenbrett. Man hat es sich im Auto gerne gemütlich gemacht.

Jetzt muss Jörg Tissat nur noch genügend Geld für seinen ehrgeizigen Plan zusammenbekommen, Geld und Rat und Hilfe, zum Beispiel von Heidi Hetzer, die ihm sehr imponiert. Er hat sie bereits angesprochen und sie hat ihm Mut gemacht. „Ich möchte noch in diesem Sommer losfahren“, sagt er. Die Route und die Ziele rechts und links der 66 historischen Strecke hat Tissat längst im Kopf. Er will das Wartburg-College in Waverly, Iowa, besuchen, zwei Städte mit Namen Wartburg und das Grab von Willy Witkin. Er will sich mit einem bekannten Wartburgsammler in den USA treffen und in Los Angeles das Wendemuseum besuchen.

Er hofft, dass er nicht die ganze Strecke alleine fahren muss und sich der eine oder andere DDR-Oldtimerbesitzer zeitweise dazugesellt. „Es gibt auch in den USA Trabbi-Fahrer“, sagt er. Etwa 20 000 Euro wird das alles, Flug und Autoüberfahrt, Benzin und Übernachtungen, kosten. Dafür sucht er nun Sponsoren. Mehrere Partner hat er bereits gefunden, darunter Auto-Magazine und andere Zeitungen, auch ein Radiosender ist dabei. Wer spendet, bekommt als Gegenleistung viel Aufmerksamkeit, sagt Tissat, bestimmt auch mal einen Ausflug mit „Willy“, fast jedes Wochenende ist er jetzt unterwegs, zu Messen, Ausstellungen, Oldtimer-Treffen.

Natürlich soll das kein rein privates Vergnügen werden. Nach der Rückkehr aus den USA möchte Tissat den weit gereisten Wartburg bei der Motorworld Classics, der bekanntesten deutschen Oldtimer-Messe, die im Oktober in Berlin stattfindet, medienwirksam versteigern. Mindestens 20 000 könnte das einbringen. Das Geld möchte Tissat, Vater von fünf Kindern, dann für verschiedene Projekte des Kinderhilfswerks Unicef spenden. Er hätte etwas Gutes getan und sich selbst einen aufregenden Traum erfüllt.

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