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Ende April wurden im Oberlinhaus vier Personen mit Behinderung getötet.

© Andreas Klaer

Update

Gewalttat im Oberlinhaus: Mordanklage gegen Pflegekraft erhoben

Staatsanwaltschaft Potsdam legt der 52-Jährigen zur Last, vier Menschen mit Behinderung heimtückisch getötet zu haben. 

Potsdam - Gut viereinhalb Monate nach der Bluttat im Babelsberger Thusnelda-von-Saldern-Haus des Oberlinvereins mit vier Toten hat die Staatsanwaltschaft Potsdam Anklage vor dem Potsdamer Landgericht gegen eine 52-jährige Pflegekraft erhoben. Der Angeschuldigten, die derzeit in einer Psychiatrie untergebracht ist, werde versuchter Mord in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Mord in vier Fällen vorgeworfen, teilte die Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. 

Menschen mit Behinderung heimtückisch getötet 

Die Frau sei hinreichend verdächtig, am 28. April 2021 "fünf schutzlose Bewohner der Einrichtung in Tötungsabsicht angegriffen zu haben". Ihr werde zur Last gelegt, vier Menschen mit Behinderungen heimtückisch getötet zu haben, nachdem sie dies an jenem Abend zunächst in zwei Fällen vergeblich versucht habe. "Im Anschluss daran griff sie eine weitere Bewohnerin, die den Angriff schwer verletzt überlebte, mit einem Messer an", heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.

Das bedeutet, dass die Verdächtige nicht einmal von den wehrlosen Bewohnern abließ – im Saldern-Haus werden Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen betreut, – als ihre ersten beiden Angriffe misslangen. Sie kehrte offenbar kurz darauf in die Einzelzimmer zurück, um die ihr anvertrauten Menschen zu töten. Deswegen lautet die Anklage nicht nur auf vierfachen Mord, sondern auch auf versuchten Mord in drei Fällen. 

Das Motiv bleibt unklar 

Die Frau hatte sich nach der Tat ihrem Mann offenbart, dieser hatte dann die Polizei informiert. Beamte fanden die Opfer – zwei 31 und 42 Jahre alte Frauen und zwei 35 und 56 Jahre alte Männer – tot in ihren Zimmern des Heims. Eine 43-jährige, schwer verletzte Bewohnerin wurde nur durch eine Notoperation gerettet.  Zum möglichen Motiv und auch zu der Frage, ob die Pflegerin, die bereits seit rund 30 Jahren beim Oberlinhaus gearbeitet hatte, zu den attackierten Bewohnern in besonderer Beziehung stand, könne sie keine Auskunft geben, so Staatsanwaltssprecherin Hanna Urban. Das Landgericht muss nun die Zulassung der Anklage prüfen. Wann es zur Hauptverhandlung kommt, ist nach Angaben des Gerichts noch offen. Es sei aber möglich, dass noch in diesem Jahr verhandelt werde. 

Erheblich verminderte Schulfähigkeit 

Wichtig für das mögliche Strafmaß: Die Staatsanwaltschaft folgt der vorläufigen Einschätzung der Sachverständigen, wonach die Pflegerin die Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Dies kann zum Beispiel bei einer krankhaften seelischen Störung der Fall sein. Die Strafe kann dann milder ausfallen. Dennoch müsste die Potsdamerin mit einer langen Haftstrafe rechnen, wenn das Gericht der Mordanklage folgt. Denn eine Schuldunfähigkeit, die keine Gefängnisstrafe, sondern eine Unterbringung im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter nach sich ziehen würde, sehen Staatsanwaltschaft und Gutachterin offenbar nicht. Ines R. wurde noch am Abend der Tat festgenommen und sitzt seither in der geschlossenen Psychiatrie. Dort sprach sie mit einer Gutachterin. Die abschließende gutachterliche Stellungnahme werde in der Hauptverhandlung hinzugezogen, so Staatsanwaltssprecherin Hanna Urban. Die Anklageschrift habe er zur Kenntnis genommen, er wolle sich aber vorerst nicht dazu äußern, sagte der Rechtsanwalt Henry Timm auf PNN-Anfrage. 

Oberlin-Mitarbeiter und Klienten werden betreut 

Das Oberlinhaus verfolge sehr intensiv die Entwicklungen im Prozess, erklärte Sprecherin Andrea Benke am Dienstag. „Wir haben großes Vertrauen in die vollständige Aufklärung der Tat durch die Justiz, was natürlich auch für die interne Aufarbeitung von großer Bedeutung ist“, so Benke. Welche Mitarbeitenden und Bewohner zu Aussagen vor Gericht geladen werden, entziehe sich ihrer Kenntnis. „Unsere Mitarbeitenden, Klientinnen und Klienten werden seit dem 28. April sehr eng und professionell psychologisch und seelsorgerlich betreut“, sagte sie den PNN. Auch mit den Angehörigen stehe man im Kontakt und Austausch

Kündigungsprozess vor dem Arbeitsgericht 

Das Oberlinhaus ist noch auf ein anderen juristischen Ebene mit dem Fall konfrontiert: Ines R. klagt gegen ihre Entlassung kurz nach der Tag, – für die ihr Mann die Einrichtung mitverantwortlich macht, wegen einer aus seiner Sicht extremen Arbeitsüberlastung des Pflegepersonals. Das Arbeitsgericht Potsdam hatte das Verfahren ausgesetzt, bis der Fall bei der Strafjustiz abgeschlossen ist. Die Anklageerhebung könne nun Einfluss auf den Fortgang des Kündigungsverfahrens haben, sagte der Sprecher des Arbeitsgerichts, Robert Crumbach, den PNN. Gegen die Aussetzung seien Rechtsmittel eingelegt worden, derzeit werde der Fall vom Landesarbeitsgericht geprüft.

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Durch die Anklageerhebung ergeben sich aus Sicht des Oberlinhauses keine neuen Ansatzpunkte für dieses Verfahren, so Sprecherin Benke. Ein abschließendes Gutachten zur Verfassung seiner Mandantin liege noch nicht vor, erklärte auch ihr Anwalt Henry Timm. Deswegen könne er sich nicht weiter zu dem Kündigungsprozess äußern. 

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