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In der Pandemie wächst die Gefahr für häusliche Gewalt (Symbolfoto).

© Maurizio Gambarini/dpa

Gewalt gegen Frauen in Potsdam: 1840 Mal häusliche Gewalt in fünf Monaten

Die Polizei in Potsdam registrierte nahezu ein Viertel mehr Meldungen wegen häuslicher Gewalt im Frühjahr 2020. Vorläufige Daten der Stadtverwaltung deuten zudem auf mehr Fälle von Kindeswohlgefährdung hin.

Potsdam - Im ersten Lockdown und kurz danach sind in Potsdam der Polizei nahezu ein Viertel mehr Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet worden. Das geht aus einer ersten polizeilichen Statistik hervor, die das Autonome Frauenzentrum jetzt öffentlich machte: Allein zwischen Anfang März und Ende Juli 2020 wurden der Polizei 22 Prozent mehr Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet. In dem Zeitraum seien 1840 Vorgänge im Kontext „Häusliche Gewalt“ erfasst worden - 332 mehr als im Vorjahreszeitraum. 28 Fälle davon fielen unter das Gewaltschutzgesetz. Das sieht vor, dass die Person, von der eine Gewaltgefährdung ausgeht, polizeilich der Wohnung verwiesen werden kann, während das Opfer häuslicher Gewalt bleibt und nicht Zuflucht suchen muss.

Das Frauenzentrum will darauf aufmerksam machen, dass die Lage für Frauen, die ohnehin schon von häuslicher Gewalt betroffen sind, angesichts der Einschränkung der Bewegungsfreiheit und mit weniger Kontakten umso gefährlicher werde. Ein Anlass ist die weltweite Kampagne "One Billion Rising", die jährlich am 14. Februar auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen will.

Viele Kontakte fallen weg

Gerade in Zeiten des Lockdowns sei die Situation für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sehr schwierig, so Sprecherin Michaela Burkard. "Oft suchen betroffene Frauen nicht direkt Hilfe, sondern finden sie erst nach Kontakt mit anderen Menschen auf der Arbeit, in Kita, Schule oder der Freizeit." Doch viele dieser Kontakte, die helfen und ermutigen können, fielen derzeit weg. Zugleich seien viele Frauen mit dem gewalttätigen (Ex-)Partner dauerhaft auf engstem Raum zusammen. "Unter normalen Umständen gibt es mehr Gelegenheiten, Zeit außer Haus zu verbringen", erklärt Burkard. Die räumliche Nähe sei ein zusätzlicher Stressfaktor. Dazu kämen Existenzängste durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit als finanzielle Stressfaktoren.

One Billion Rising. Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen tanzten rund 60 Potsdamer:innen 2020 auf dem Alten Markt.
One Billion Rising. Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen tanzten rund 60 Potsdamer:innen 2020 auf dem Alten Markt.

© Andreas Klaer

Neben der Polizei ist im akuten Fall von häuslicher Gewalt das Potsdamer Frauenhaus unter Tel.: (0331) 96 45 16 erreichbar. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter Tel.: 08000-116 016 ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Es ist 365 Tage, rund um die Uhr erreichbar. Wer Beratung wünscht, kann unter Tel.: (0331) 97 46 95 einen Termin in der Frauen- und Mädchenberatungsstelle des Autonomen Frauenzentrums vereinbaren. Wer Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, sollte sich auf jeden Fall medizinisch untersuchen lassen. Weitere Informationen zu Handlungsmöglichkeiten und zur vertraulichen Spurensicherung gibt es hier.

Aktionswoche wird digital

Schwieriger ist es in der Pandemie auch geworden, auf das Problem überhaupt aufmerksam zu machen. "Am 14. Februar hätte in normalen Jahren am Alten Markt die Aktion One Billion Rising stattgefunden – ein Tanzflashmob mit Kundgebung, der Gewalt gegen Frauen thematisiert und ihr Ende einfordert", teilte das Autonome Frauenzentrum mit. Denn weltweit erlebe jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Gewalt, das ergebe insgesamt die erschreckende Zahl von einer Milliarde („One Billion“) Frauen.

Doch aufgrund der Corona-Pandemie musste das Autonome Frauenzentrum die Veranstaltung dieses Jahr absagen. Um dennoch für eine breite Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu schaffen, läuft seit dem 8. Februar eine digitale Aktionswoche gegen Gewalt an Frauen. Noch bis Sonntag, dem 14. Februar, veröffentlicht das Autonome Frauenzentrum auf Facebook und auf der eigenen Webseite unter „Aktuelles“ jeden Tag ein Video, in dem Akteurinnen aus der Frauenpolitik ein Statement zum Thema abgeben. Mit dabei sind etwa die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg Ursula Nonnemacher (Grüne) oder Potsdams Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth (Linke).

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Das erste Video stammt von Nonnemacher. "Nur zu gerne würde ich wie im letzten Jahr auf der Straße tanzen", sagte sie darin. Die Zahl der erfassten Gewaltakte sei hoch, die Dunkelziffer höher. Die Pandemie scheine die Gewalt gegen Frauen zu verschärfen. "Schaut alle hin, reagiert und helft", so die Ministerin.

Fehlende soziale Kontrolle im Lockdown

Seit Beginn der Pandemie gibt es Befürchtungen, dass auch mehr Kinder unter Gewalt leiden. Das Forschungsnetzwerk Medizinischer Kinderschutz hatte am Mittwoch dazu in Hamburg eine Studie vorgelegt. Die Experten vermuten eine Verlagerung von Taten ins Dunkelfeld. Grund dafür könnte unter anderem die durch den pandemiebedingten Lockdown fehlende soziale Kontrolle sein, die sonst zum Beispiel in Schulen oder Kitas stattfinde.

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Nach vorläufigen Daten der Potsdamer Stadtverwaltung deutet einiges auf ein wachsendes Problem hin. Im Rathaus wird derzeit am Kinderschutzbericht für das Berichtsjahr 2020 gearbeitet - fertig ist er noch nicht. Voraussichtlich im April sollen die Ergebnisse im Jugendhilfeausschuss den Stadtverordneten vorgestellt werden. In der Statistik tauchen nur beendete Verfahren auf. Das heißt also, dass die Verfahren teilweise im Vorjahr begonnen wurden und das nicht beendete Verfahren im jeweiligem Berichtsjahr nicht berücksichtigt wird. Es kann zu einem Kind auch mehrere Verfahren geben. 

Tendenzen sind zu erkennen. So stieg die Zahl der Verfahren zur Kindswohlgefährdung von 64 im Jahr 2019 auf 109 im Jahr 2020. Ob die Erhöhung der bestätigten Fälle von Kindeswohlgefährdungen mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 in Verbindung steht, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht seriös zu beantworten, hieß es auf PNN-Anfrage. Am häufigsten geht es in den Verfahren wie im Vorjahr um Vernachlässigung von Kindern. 64 Verfahren wurden dazu geführt, im Vorjahr waren es 41. Fälle körperlicher Gewalt sanken von 15 auf elf, Fälle psychischer Gewalt stiegen deutlich von 13 auf 47, Fälle sexueller Gewalt stiegen von drei auf acht. In der Statistik sind Mehrfachnennungen möglich.

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