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Gesundheit: Abschied von zwei Kinderärztinnen in Potsdam

Die letzte Impfung: Nach 27 Jahren geben die Kinderärztinnen Erxleben und Knuppe-Andree ihre Praxis aus Altersgründen auf

Potsdam - Die letzte reguläre Patientin von Birgit Erxleben, Ruby, steht schon lange fest. Kein bisschen zufällig ist sie die Enkelin von Schwester Karin Schroeder, die mehr als zwei Jahrzehnte lang das Team der Arzthelferinnen angeführt hat in der Kinderarztpraxis Dr. Erxleben und Dr. Knuppe-Andree in der Kurfürstenstraße. Vier Wochen alt ist Ruby, prächtig entwickelt. Erxleben schaut sie gründlich an, tastet das Bäuchlein ab, horcht an der Brust, biegt die Beinchen, scherzt mit Mutter und Kind – und dann ist es vorbei.

Eigentlich. Denn danach kommen, wie so oft, noch drei Kinder an der Hand der Eltern: einmal Fieber, zwei Mal vergessene Impfung. Sie haben nicht mitbekommen, dass die Praxis nun wegen Umbaus knapp zwei Wochen lang geschlossen wird. Birgit Erxleben und Sabine Knuppe-Andree, 68 und 65 Jahre alt, geben die Praxis aus Altersgründen auf. Die Nachfolger der beiden, Jörg Ketteler und Simone Dröscher, sollen ganz frische Räume übernehmen. Am 2. Januar öffnen sie die neue Praxis.

Eine Party mit Patienten

„Die letzte Impfung fühlte sich komisch an“, sagt Knuppe-Andree. Kurz nach halb zwei ist dann aber wirklich Schluss. Die Schwestern kommen hinterm kindersicheren Tresen hervor, servieren Häppchen und Sekt. Der Ehemann von Knuppe-Andree macht Fotos von den Gratulanten, die sich bedanken und verabschieden. Wohl über hundert werden es am Ende des Tages sein. Es kommen Mütter, Väter, Patienten, Kollegen und Helferinnen, Freunde, Bekannte. Eine Party im Café um die Ecke gab es auch schon. „Da haben die Eltern ihre Kinder aus dem Studium von Jena und sonstwo herzitiert, um sich zu verabschieden“, erinnert sich Birgit Erxleben lachend – eine große Freude war das.

Auf dem Tresen liegt ein Klapp-Fotoalbum, das Knuppe-Andree immer mal wieder zur Hand nimmt, um an die Anfänge zu erinnern. Die Schwestern haben es beim Schränke-Ausräumen wiedergefunden, es lag wohl zuunterst. Man sieht das hochherrschaftliche Haus an der Ecke Kurfürsten- und Hebbelstraße als Ruine: Kabel hängen aus den Wänden, Löcher gähnen in der Decke. „Man konnte von unten aus den Himmel sehen“, sagt Erxleben mit einem Lächeln.

Die kurzhaarige Dame mit der sanften Stimme hatte damals, im Frühjahr 1991, die Bauleitung für die Praxis übernommen. Gemeinsam mit 16 anderen Ärzten sollten insgesamt zwölf Praxen in dem Haus am Rande des Holländerviertels eingerichtet werden. Im Juni wurde eröffnet. Sie selbst, die Fachärztin für Kinderheilkunde und Kinder-Endokrinologie, Mutter zweier Kinder, war bis dahin Oberärztin in der Kinderklinik, dem heutigen Ernst-von-Bergmann. Ihre Freundin und Kollegin Knuppe-Andree hatte sich selbständig gemacht in der Schopenhauerstraße. Ärzte und Helferinnen schliefen mitunter auf der Baustelle, um die bereits gelieferten, kostbaren Geräte zu bewachen. „Man musste sich wirklich kümmern“, sagt Erxleben. Manchmal bis tief in die Nacht. „Einmal sind wir, nachts um halb zehn, an die Raststätte Michendorf gefahren und haben dort ein Eis gegessen, denn wir mussten die Wartezimmerstühle ausprobieren. Das hat uns der Einrichter empfohlen.“ Knuppe-Andree ergänzt: „Die haben ein Vermögen gekostet – 300 Mark.“ Gut angelegtes Geld: Noch heute nehmen Eltern und Patienten darauf Platz.

Platz für alle

An Patienten mangelte es der Kinder-Fachärztin mit Spezialisierung auf Pulmologie und Allergologie keineswegs. „Wir konnten uns immer aufeinander verlassen“, sagt Erxleben. „Das ist wichtig, wenn man in der Ambulanz ist. In der Klinik sind die Kinder auch am nächsten Tag noch da, aber in der ambulanten Praxis sieht man sie womöglich nur einmal.“ Was so auch nicht stimmt, denn die Wartezimmer vor den Räumen waren, trotz eifrig zuarbeitender Helferinnen, stets voll von Stammgästen – viele mit Termin, etliche akut.

Denn für die musste ja immer Platz sein. „Wir haben nie ein akut krankes Kind, Neugeborene oder Geschwisterkinder abgewiesen“, sagt Erxleben, „nur die, die Ärztehopping betreiben.“ Die Ärztinnen Erxleben und Knuppe-Andree setzten von Anfang an auf gezielt vielfältige Kompetenz im Haus. Wenn sich etwa bei ihnen im vierten Stock herausstellte, dass ein Bruch zu behandeln, etwas zu nähen oder zu operieren war, dann riefen die Schwestern in der Chirurgie im Parterre an und schickten die Papiere gleich mit. „Das ging natürlich nur mit der neuen Technik nach der Wende“, betont Knuppe-Andree. Ihre Arbeit haben die beiden Frauen immer geliebt, nur nicht die familienfeindlichen Nacht- und Wochenenddienste. Die Eröffnung des Ärztehauses erregte Aufsehen: sogar Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) kam. „Weil seine Frau eine Kollegin von uns war, die brachte ihn mit“, erzählt Erxleben.

Zehn Kinderärzte haben sie in 26 Jahren mit ausgebildet, dazu fünf Allgemeinmediziner und zehn Arzthelferinnen, an ihrer Spitze Kinderkrankenschwester Karin, die aus der Poliklinik mitgekommen war.

Haben sich Kinder und Krankheiten verändert in den vergangenen 30 Jahren? Eher nicht, finden die beiden. Nicht einmal die ständigen Impfdiskussionen machen ihnen Sorgen: „Die Durchimpfungsquote ist gut“, sagt Erxleben. „Eigentlich gibt es nur zehn Prozent Gegner, aber die sind sehr laut.“ Sie selbst befürwortet den Schutz: Die Stoffe seien sicher. „Wir haben in all den Jahren nie einen Impfschaden gesehen. Wer aber einmal erlebt hat, wie ein Kind an Meningitis stirbt, der wird das nie wieder los.“ Für sie jedoch ist die Diskussion jetzt vorbei.

Stefanie Schuster

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