zum Hauptinhalt
Stefan Kabisch und Soyoung Q Park (rechts).

© Sebastian Gabsch

Gesunde Ernährung: "Man könnte wohl auf die Hälfte der Produkte verzichten"

"Der Kunde wird überrumpelt": Forscher aus Potsdam-Rehbrücke beschäftigen sich mit der Verführung im Supermarktregal, Lust am Essen und der Frage, wie Lebensmittel das Verhalten beeinflussen.

Ernährung geht längst weit über die Nahrungsaufnahme hinaus und scheint mehr denn je eine Lebens- und Weltanschauung zu sein. Die Zahl der verarbeiteten Lebensmittel, der Fertigprodukte und Nahrungsergänzungsmittel steigt, die Zeit für gemeinsame Mahlzeiten dagegen sinkt. Die Psychologin und Hirnforscherin Soyoung Q Park und der Ernährungsforscher Stefan Kabisch untersuchen am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), wie Menschen Ernährungs- und Konsums entscheidungen treffen, wie sich die Ernährung auf unsere Gesundheit auswirkt und welche Rolle Sozialisation, Psyche und Gehirn spielen.

Ein mittelgroßer Supermarkt in Deutschland bietet in seinen Regalen mehr als 10.000 unterschiedliche Lebensmittel an. Ihr Kommentar dazu als Hirnforscherin und Ernährungsforscher?
Soyoung Q Park: Als Konsum- und Entscheidungsforscherin sehe ich, dass ein großes Bedürfnis nach Freiheit der Auswahl besteht. Wie eine unserer Studien zeigt, empfinden Menschen die Tatsache, dass sie auswählen können, als wertvoll und schön.

Stefan Kabisch: Von der Stoffwechselseite her muss man sagen, die Auswahl an ungesunden Lebensmitteln ist deutlich größer als die an gesunden. Verschärft wird das Problem durch den Werbeaspekt. Die ungesunden sind stärker aufgemotzt und viel präsenter. Da viele Menschen nicht wirklich ein Bewusstsein dafür haben, was gesunde Lebensmittel sind, ist es am Ende leichter, das zu greifen, was mir ins Auge springt, attraktiv ist und leuchtet - ohne dass viel dahinter sein muss. Man könnte wohl auf die Hälfte der Produkte verzichten.

Mit der Vielzahl an Lebensmitteln steigt scheinbar auch die Zahl unterschiedlicher Ernährungsweisen. Vegan, vegetarisch, low-carb, also mit wenig Kohlenhydraten, ist in. Woran liegt das?
Kabisch: Wir sind auch nach vielen Jahrzehnten der Forschung noch nicht so weit, dass wir eine klare Empfehlung geben können, welche Ernährung wirklich geeignet ist - weder für die Gesamtheit der Bevölkerung noch für bestimmte Untergruppen wie Diabetiker oder Bluthochdruck-Patienten. Es gibt zwar eine grobe Richtung: Esst mehr Gemüse und Vollkornprodukte, verzichtet auf rotes Fleisch. Aber auch hier widersprechen sich viele Studien, das heißt, ein Großteil der Ernährungsempfehlungen steht auf tönernen Füßen.

Die Menschen sind heutzutage gut informiert, und dennoch boomen Fertigprodukte - und Nahrungsergänzungsmittel. Ein Widerspruch?
Park: Ich weiß nicht, ob die Menschen tatsächlich so gut informiert sind. Ernährung ist eine sehr implizite Sache und schwer in Worte zu fassen. Das sind viele körperliche, metabolische Prozesse, die wir nicht ausdrücken können. Niemand sagt: Ich habe heute einen höheren Insulin-Spiegel. Gleichzeitig verliert der moderne Mensch auf Grund der stark verarbeiteten Nahrungsmittel die Fähigkeit, diese auf natürliche Art und Weise zu kategorisieren und sich dafür zu entscheiden, was der Körper gerade benötigt.

Kabisch: Unsere Studien zeigen, dass viele Menschen manches sehr genau wissen, dass gesättigte Fette und Fleisch nicht so gut sind, man mehr Fisch und Vollkornprodukte essen sollte. Schwierig wird es aber bereits bei der praktischen Umsetzung, wenn sie im Supermarkt oder beim Bäcker das Vollkornbrot identifizieren sollen. Schuld daran sind die Bewerbung und Verarbeitung der Lebensmittel: Der Kunde glaubt, dunkles Brot ist ein gesundes Brot. Ein weiteres Beispiel: Seit 40 Jahren wird dafür geworben, fettarme Joghurtzubereitungen zu essen. Dass gerade dieser mit Zucker versetzt ist, steht auf der Verpackung nicht drauf. Der Kunde geht häufig implizit davon aus, dass er die richtige Entscheidung trifft, wird aber von industriellen Mechanismen überrumpelt.

Verarbeitete Lebensmittel machen immerhin fast die Hälfte der in Deutschland verzehrten Nahrungsmittel aus. Welche Rolle spielt der Faktor Zeit bei der Entscheidung für die Fertigpizza?
Kabisch: Wir nehmen uns deutlich weniger Zeit zum Essen - auch im Berufsalltag. Der soziale Wert des gemeinsamen Essens geht zunehmend verloren. Ein Trend sind zum Beispiel Fertig-Shakes, mit denen man Mahlzeiten ersetzen kann. Vor 20 Jahren hat man sie nur als Diät für stark Übergewichtige angeboten, jetzt findet man sie zum Beispiel im Prenzlauer Berg in den hippsten Läden.

Inwiefern beeinflussen Psyche und Gehirn unsere Ernährung?
Park: Das ist vielfältig. Essen ist eine Gewohnheitssache. Was wir bevorzugen, wird früh geprägt. Die Geschmackssinne und -wahrnehmung sind gut trainiert, man hat recht feste Vorstellungen, wie was zu schmecken hat, und daran orientiert man sich beim Konsum. Im Supermarkt steuert man gezielt bestimmte Produkte an. Ebenfalls essentiell ist der soziale Faktor. Bestimmte Markenprodukte und Mahlzeiten werden uns häufig ein Leben lang begleiten. Eltern zeigen ihren Kindern zum Beispiel, dass man Schokolade nicht mit Kartoffeln isst.

Welche konkrete Rolle übernimmt dabei das Gehirn?
Park: Zucker kann relativ schnell in Energie umgewandelt werden. Lange Zeit hat die Menschheit in großer Nahrungsunsicherheit gelebt. Es ist sinnvoll, in schwierigen Zeiten mehr zu essen und das als Reserve im Körper zu speichern. Das Gehirn reagierte auf solche einfachen und effizienten Energiequellen anders als auf Lebensmittel, die schwer verdaubar sind, wie Vollkornprodukte oder Salate. Die Forschung geht davon aus, dass die Psyche und das Gehirn immer noch darauf ausgelegt sind, solche effizienten Energiequellen, die hoch im Zucker- und Fettgehalt sind, sehr zu bevorzugen.

Kabisch: Es gibt zwei metabolische Grundtriebe fürs Essen. Der eine sorgt dafür, die Funktionen aufrechtzuerhalten, der andere hat mit Energiebilanz und Lust am Essen zu tun. Diese Zweiteilung zeigt sich an den Nährstoffen. Es gibt den Hunger nach Eiweiß - einem essentiellen Nahrungsbestandteil, ohne den wir langfristig nicht leben können. Unser Körper hat ein gutes Gefühl dafür, wie viel er davon braucht. Bei den Fetten und Kohlenhydraten ist es nicht so. Sie dienen im Prinzip der Deckung des Energiebedarfs und der Anreiz dazu kommt durch Lustbefriedigung. Wenn man genug Eiweiße etwa in Form von Quark oder Hähnchen zu sich nimmt, ist dieser Lustanteil stark abgedämpft. Kohlenhydrate kann man fast unbegrenzt zu sich nehmen. Was in der Natur nicht vorkommt: Verarbeitete Lebensmittel kombinieren häufig Kohlenhydrate mit Eiweiß oder Fett.

Frau Park, Sie haben dazu geforscht, dass der Blick von Menschen andere bei ihren Kaufentscheidungen beeinflusst...
Park: Es gibt das Phänomen des Futterneides. Das Essen, das der Kollege bestellt, sieht immer besser aus als das eigene. Wir Menschen scheinen uns stark an der sozialen Umgebung zu orientieren und diese als Informationsquelle zu nutzen. Wir haben untersucht, ob ein Lebensmittel, das von anderen angeschaut wird, als wertvoller angesehen wird als eines, das ignoriert wird. Tatsächlich waren gesunde, junge Probanden dazu bereit, mehr Geld für Produkte zu bezahlen, die von anderen Menschen angeschaut wurden.

Was weiß man darüber, welchen Einfluss umgekehrt die Ernährung auf unser Verhalten hat?
Park: Lange Zeit hat man nicht geglaubt, dass Ernährung einen Einfluss auf unsere Gedanken und unser Handeln hat. Es wurde vermutet, dass wir mit mehr Blutzucker mehr Geduld und Selbstkontrolle aufbringen können. Das konnten wir in unserer Studie nicht bestätigen. Allerdings hat die Zusammensetzung der Makronährstoffe, also ob wir mehr Proteine als Kohlenhydrate essen, einen Einfluss darauf, wie wir uns gegenüber anderen Menschen verhalten.

Und?
Park: Wenn der Proband mehr Kohlenhydrate als Proteine gegessen hatte, hat er sensibler und strenger auf unfaire Situationen reagiert. Wenn es umgekehrt war, zeigte sich derselbe Mensch toleranter.

Selbstkontrolle scheint schwierig. Wie lässt sich dennoch das Ernährungsverhalten verändern?
Kabisch: Ernährungsempfehlungen müssen verständlich, eindeutig und nicht zu strikt sein. Wenn man sich auf nur zehn Lebensmittel festlegt, hält das kein Mensch durch. Vielfalt ist besser, damit man auswählen kann. Gut funktionieren auch Vorbilder, bekannte Persönlichkeiten, die eine bestimmte Ernährung vorleben. Weil Menschen häufig resistent gegenüber Ratschlägen sind, muss man auch an den Lebensmitteln selbst arbeiten. Wir brauchen verarbeitete Produkte, diese müssen aber nicht schlechter sein.

Ein Vollkornbrot zum Beispiel behält einen gesunden Nährstoffwert. In zehn Jahren wissen wir hoffentlich mehr darüber, welche Komponenten besonders wichtig sind und können Lebensmittel dann entsprechend mit Ballaststoffen, Mineralien, sekundären Pflanzenstoffen anreichern.

Was halten Sie von einer Steuer auf Salz und Zucker?
Kabisch: Das ist ein wirksames ernährungspolitisches Instrument. Aus Großbritannien weiß man, dass die Industrie schnell reagiert. Als Zucker besteuert wurde, hatten am Tag danach sämtliche Softdrinks nur noch die Hälfte des Zuckers. Das ist leicht umzusetzen. Die Übergewichts- und Diabetesraten konnten dort gesenkt werden.

Andere Ideen?
Kabisch: Das Labeling von Fertigprodukten verändern. Gerade Lebensmittel, die sehr ungesund sind, werden mit lecker, modisch, neu beworben. Auf gesunden Lebensmitteln steht nur gesund oder: jetzt nur noch halb so viel Zucker. Da steht nicht drauf: lecker. Das ist die Botschaft, die der Kunde braucht. Man könnte den Spieß herumdrehen und gesunde Lebensmittel wie den Dinkel-Grünkernbratling mit "leckere_SDLq bewerben.

Nun soll ein Ampel-System auf Verpackungen kommen. Ist das eine gute Nachricht?
Kabisch: Unbedingt, denn viele Menschen können selbst mit den Grundbegriffen Kohlenhydrate, Proteine und Fette wenig anfangen. Sie haben noch immer die 40 Jahre alte Regel' wenig Fett essen' im Kopf und bunkern lieber Kohlenhydrate. Hinzu kommt, dass die Nährstoffangaben täuschen: Statt Zucker stehen da Tarnnamen wie Glucose- oder Malzsirup.

Park: Im Supermarkt gibt es mittlerweile immer häufiger ein Labeling-System an der Fleischtheke, das zeigt, wie das Tier gehalten wurde. Für Schweine, die unter schlechtesten Bedingungen gehalten wurden, gibt es die Stufe eins oder die Farbe Rot. Die Stufe vier ist grün. Ich finde beeindruckend, wie ich mittlerweile mein eigenes Konsumverhalten danach richte.

 * * *
Soyoung Q Park arbeitet seit Anfang des Jahres für das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). Zuvor leitete sie fünf Jahre lang den Bereich "Sozialpsychologie und Neurowissenschaften der Entscheidunge" am Institut für Psychologie der Universität zu Lübeck.
Stefan Kabisch hat in Leipzig Human­medizin studiert. 2014 hat er an der Uni-Klinik Leipzig und am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neuro­wissenschaften promoviert. Seit 2012 ist Kabisch als Studienarzt am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke(DIfE) tätig.

Isabel Fannrich-Lautenschläger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false