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Landeshauptstadt: Geschichtengräber, Blogger, Tramfans

Die Stadtführer Robert Leichsenring und Rainer Müller sind profunde Potsdamkenner und geben ihr Wissen in den Blogs „Story of Potsdam“ und „PotsTram“ weiter

Robert Leichsenring geht den Dingen gerne auf den Grund: Als er auf Ebay einen alten Kleiderbügel ersteigert hatte, fiel ihm die Aufschrift „Lindemann & Co. A.G. Potsdam“ auf. Was hatte es damit auf sich? Der Hobby-Historiker fand heraus, dass er ein altes Stück aus dem ehemaligen Kaufhaus in der Brandenburger Straße ergattert hatte, wo sich heute Karstadt befindet. Damals gehörte es noch der Familie Lindemann, in deren Geschichte sich Leichsenring nun hineinarbeitete: „Ich habe wochenlang alte Zeitungen gelesen und Professoren angeschrieben, ob sie mir etwas darüber erzählen können.“ Am Ende der Recherche stand ein akribischer Artikel über die Entwicklung des Hauses, inklusive alter Fotos, Werbeanzeigen und Produktlabels.

Es ist nur einer von vielen Texten, die Leichsenring seit 2012 auf dem Blog „Story of Potsdam“ veröffentlicht. Ein gefundenes Fressen für alle Lokalhistoriker, denn die Artikel behandeln so unterschiedliche Themen wie das Mosaik am Rechenzentrum, die Geschichte der Droschken in Potsdam, den Hauptbahnhof in den 80er-Jahren oder das vergessene Wohn-Bauprojekt „Wald-Potsdam“ am Brauhausberg und gehen dabei stets in die Tiefe.

Vor Kurzem ist Leichsenring auf ein Foto in einer alten Zeitung gestoßen, auf dem das Potsdamer Rathaus am Alten Markt mit zwei Kuppeltürmen zu sehen war. „Es stellte sich heraus, dass es in den 1920er-Jahren einen Wettbewerb zum Umbau des Rathauses gab – es sollte abgerissen werden“, sagt Leichsenring. „Das Bild war ein Entwurf.“ Noch ist der Artikel nicht online, Leichsenring recherchiert noch.

Es ist nicht der einzige Blog, den Leichsenring betreibt: 2007 rief er den Blog „PotsTram“ ins Leben, der die Geschichte der Potsdamer Straßenbahnen beleuchtet, nebenbei schreibt er in Fachzeitschriften über Straßenbahnen. Auch wörtlich gibt Leichsenring sein Wissen weiter: Zusammen mit seinem Lebenspartner Rainer Müller gründete er 2016 das Unternehmen „Fritz & Peter“, das Stadtführungen durch Potsdam und Reisen nach Russland anbietet.

„Stadtgeschichte hat mich seit frühester Kindheit interessiert, besonders die Straßenbahnen“, sagt der 35-jährige Potsdamer. Sein doppeltes Interesse für Potsdam und Russland erklärt er auf der „Fritz & Peter“-Webseite so: „Nahe der russischen Kolonie aufgewachsen und umgeben von zahllosen sowjetischen Kasernen, ist offensichtlich schon früh eine gewisse Affinität zu dem großen Land im Osten entstanden.“ Leichsenring lebte nach dem Abitur zwei Jahre in St. Petersburg, begeisterte sich an den dortigen Straßenbahnen, und reiste in den folgenden Jahren durch das ganze Land: „Kein Ort mit einer Straßenbahn war vor mir sicher.“ Zu Hause in Deutschland studierte er Slavistik und Osteuropa-Studien.

„Das russische Potsdam gehört zu den Spezialitäten bei unseren Führungen“, sagt auch Rainer Müller, die andere Hälfte von „Fritz & Peter“. Der 44-jährige Diplom-Geograf ist eher durch Zufall zum Stadtführer geworden: „Wir wohnen in der Nähe von Sanssouci und ich habe immer meine Familie herumgeführt und dabei erzählt“, sagt Müller. Da er ebenfalls viel und gerne reist, lag die Gründung von „Fritz & Peter“ nahe: Hinter dem Namen verbergen sich die „zwei Großen“, also Friedrich II. und Peter der Große, nach dem St. Petersburg benannt ist – hierher organisieren Leichsenring und Müller die meisten Touren. „Wir gehen dann auch in die Hinterhöfe und zeigen, wo Dostojewskis Romane gespielt haben“, sagt Leichsenring.

In Potsdam machen es die beiden nicht anders: „Wir führen die Leute gerne durch die vielen Hinterhöfe und zeigen, wie das früher mit Manufakturen vollgestopft war“, sagt Müller. Besonders gerne führen sie Interessierte in den Bereich rund um die ehemalige Heilig-Geist-Kirche: „Da ist das authentische alte Potsdam noch gut zu sehen und wie es in Konflikt mit der DDR-Architektur geriet“, so Müller.

Wie auf dem Blog „Story of Potsdam“ machen die beiden gerne auf übersehene Details aufmerksam, etwa ein Wandrelief mit vermeintlichen Engelsfiguren am Häuserblock gegenüber der Max-Dortu- Schule: „Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass die Figuren Pionierhalstücher tragen“, sagt Müller. Für Leichsenring und Müller ist Potsdam wie ein Buch, in dem man immer wieder stöbern kann: „Fast alle Epochen sind in der Stadt irgendwie sichtbar“, sagt Müller.

An ihren Stadtführungen – per Fuß, Rad oder historischer Tram – nehmen auch häufig Potsdamer teil, die sich besonders für die neu entstehenden Wohngebiete im Norden interessieren: „Viele wissen gar nicht, was da gerade alles passiert“, sagt Leichsenring. Um gute Stadtführer zu sein, müssen Müller und Leichsenring nicht nur Geschichtsbücher wälzen, sondern auch täglich Zeitung lesen: „Man muss immer über aktuelle Entwicklungen in der Stadt Bescheid wissen, denn viele Leute fragen danach“, sagt Leichsenring. Dass es in Potsdam so viele Debatten um Architektur und Stadtplanung gebe, freut die beiden: „Potsdam hat eine rege Bürgerschaft“, sagt Müller. „Es wird selten so viel in einer Stadt diskutiert und das ist gut so.“

storyofpotsdam.wordpress.com

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