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Vor 30 Jahren wurde die Klement-Gottwald-Straße, Potsdams Einkaufsstraße, wieder zur Brandenburger Straße. Zur Umbenennung kam auch der Komponist der Brandenburg-Hymne, Gustav Büchsenschütz.

© Repro: Manfred Thomas

Geschichte: Wie die Brandenburger Straße ihren Namen zurückbekam

Es blieb nicht die letzte Straßenumbenennung: Vor 30 Jahren erhielt die Brandenburger Straße als erste in Potsdam ihren alten Namen zurück. Die Zeremonie wurde zum Volksfest. 

Potsdam - Im Volksmund hatte sie ihren alten Namen sowieso nie verloren. Vom „Broadway“ oder der „Brandenburger“ sprachen auch die Potsdamer der späten DDR, wenn sie die Flaniermeile in der Innenstadt meinten, erinnert sich Karin Markert. Dabei war die Straße 1955 nach dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten Klement Gottwald benannt worden. „Klement Gottwald war Stalinist, und zwar ein hartgesottener“, sagt Karin Markert. Die Journalistin, die seinerzeit für die PNN-Vorgängerzeitung Brandenburgische Neueste Nachrichten (BNN) schrieb, steckte hinter der Initiative zur Rückbenennung in Brandenburger Straße. Am Sonntag, dem 9. Februar, jährt sich das Ereignis zum 30. Mal.

Der Platz vor dem Brandenburger Tor war an jenem Freitagmorgen vor 30 Jahren gut gefüllt, die Straße zudem mit Menschen gesäumt, als das Orchester der Volkspolizei aus Richtung Bassinplatz heranmarschierte, erzählt Karin Markert. Eine Szene, wie sie nur vier Monate vorher undenkbar gewesen wäre: Am 7. Oktober 1989 war es auf der Straße noch zum gewalttätigen Zusammenstoß zwischen Demonstranten und Polizei gekommen. Inzwischen hatte sich die Stimmung gewandelt. Von einem Volksfestcharakter spricht Karin Markert, wenn sie vom 9. Februar 1990 erzählt. „Die Menschen waren sowas von euphorisch“, sagt sie: „Diese ersten Monate im Jahr 1990 waren etwas ganz Besonderes, das kann man nicht vergessen.“

1989 gab es einen Aufruf zur Leserdiskussion

„Märkische Hymne erstmals nach 40 Jahren auf der Brandenburger“ stand am nächsten Tag in den BNN. Denn bei der Rückbenennung der Brandenburger Straße gab es besonderen Besuch aus Berlin-Steglitz: Das 87-jährige Gustav Büchsenschütz, Komponist der inoffiziellen Brandenburg-Hymne „Märkische Heide, Märkischer Sand“, war mit dabei – und nahm schließlich sogar den Taktstock in die Hand. „Er musste die Hymne immer wieder dirigieren, die Leute waren so begeistert“, sagt Karin Markert. Seine Frau Irmgard hatte vorsorglich Textblätter mitgebracht. Denn in der DDR sei das 1923 komponierte Lied wegen der späteren Vereinnahmung durch die Nazis verpönt gewesen, nur ältere Menschen seien noch textsicher gewesen, erzählt Karin Markert.

Die Idee für die Rückbenennung hatte die Journalistin, die seit ihrer Einschulung 1949 in Potsdam lebt, gemeinsam mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann Kurt, damals Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts im Schloss Lindstedt. Und das bereits kurz nach der besagten Oktoberdemonstration, wie sie auch in ihrem im Jahr 2000 erschienenen Buch „Unsere Brandenburger“ schildert. Nach Rücksprache mit ihren Kollegen bei der Zeitung veröffentlichte die BNN Ende Oktober 1989 einen Aufruf zur Leserdiskussion über die Rückbenennung der Straße. Die Resonanz war enorm: Innerhalb von zwei Wochen trafen fast 300 Leserbriefe ein, die allermeisten sahen den Vorschlag positiv – die Gegenstimmen ließen sich an einer Hand abzählen, erinnert sich Markert. Am 14. November gab sie 297 Leserbriefe im Büro von Oberbürgermeister Manfred Bille ab.

Der Bürgermeister hatte eigentlich andere Sorgen

Der hatte zu dieser Zeit andere Sorgen. Zur Erinnerung: Am 5. Dezember stimmte er der Bildung des von Bürgerrechtlern geforderten „Rates der Volkskontrolle“ zu, einer provisorischen Regierung für die Stadt. Für die Straßenumbenennung gab es schließlich Ende Dezember grünes Licht aus dem Rathaus. Vor der Umbenennung wurde noch eine Einwohnerversammlung einberufen, erinnert sich Karin Markert: Die Anwohner stimmten dem Plan Mitte Januar zu. Für sie sei in der Gaststätte „Schlachteplatte“ in der Dortustraße ein Büro eingerichtet worden, in der sie alle Formalitäten zur Adressänderung erledigen konnten.

Die Vorbereitung der eigentlichen Umbenennung lag danach praktisch in den Händen von Karin und Kurt Markert, wie sie berichtet. Sie nahmen auch Kontakt zu Komponist Büchsenschütz auf. Der habe seine Teilnahme sofort zugesagt, erinnert sich Karin Markert. Am 6. Februar wurden zunächst die Straßenschilder ausgetauscht. An diesem Tag lud die BNN in einer Meldung auf der Titelseite die Potsdamer zur „Straßenrückbenennung unter den Klängen der Märkischen Hymne“ drei Tage später ein.

36 Potsdamer Straßen wurden rückbenannt

Es war die erste Rückbenennung in Potsdam, blieb aber nicht die einzige. Bis 1993 wurden insgesamt 36 Straßen umbenannt, sagte der Stadthistoriker und Straßennamenexperte Klaus Arlt den PNN. Größtenteils sei es um Namen gegangen, die mit der SED- oder DDR-Geschichte verbunden waren: Die Leninallee wurde wieder zu Zeppelinstraße, die Wilhelm-Külz-Straße zur Breiten Straße, die Straße der Jugend zur Kurfürstenstraße. Es gab auch Ausnahmen, wie bei der Ebräerstraße in der Innenstadt, die bereits unter den Nazis 1934 in Kupferschmiedgasse umbenannt worden war und 1993 ihren alten Namen zurückerhielt – er verweist auf ein früheres jüdisches Gebetshaus dort.

Den Eindruck, die Straßenrückbenennungen nach 1989 zielten vornehmlich in eine monarchistische Richtung, findet Arlt anhand der Daten nicht bestätigt. Nur in 15 Fällen sei auf ältere Namen von vor 1945 zurückgegriffen worden, rechnet er vor. Und dabei sei es nur in drei Fällen um Personennamen mit royalistischem Hintergrund gegangen: Bei der Charlottenstraße, zu DDR-Zeiten nach Wilhelm Pieck bekannt, dem Luisenplatz – ehemals Platz der Nationen – und der Kaiser-Friedrich-Straße, zu DDR-Zeiten schlicht Hauptstraße. Es wurden auch neue Namen gefunden, wie etwa bei der nach der Friedensnobelpreisträgerin benannten Bertha-von-Suttner-Straße in der Jägervorstadt, zu DDR-Zeiten Straße der Jungen Pioniere und davor Bismarckstraße.

Archive helfen nicht immer bei der Namensforschung

Streitigkeiten gab es vor allem um zwei Straßennamen, die letztendlich aber erhalten blieben: Die Friedrich-Ebert-Straße und den Platz der Einheit. Beide Namen waren im März 1946 vergeben worden, unmittelbar vor der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Arlt nimmt an, dass mit Friedrich Ebert der sozialdemokratische Reichspräsident der Weimarer Republik gemeint war und mit der Einheit die zu dieser Zeit noch offiziell angestrebte Einigung Deutschlands. Ganz sicher sei das aufgrund fehlender Information in den Archiven aber nicht, betont er. Beides könnte auch eine Art Zugeständnis an die SPD auf lokaler Ebene gewesen sein, damit diese der Vereinigung mit der KPD zustimmt, vermutet Arlt. Erst später seien die Namen dann durch die SED umgedeutet worden, dahingehend, dass mit Friedrich Ebert nun dessen Sohn, der SED-Politiker und spätere Oberbürgermeister von Ost-Berlin, gemeint war. 1946 habe Ebert Junior noch gar nicht eine solche Machtposition gehabt, als dass sie eine Straßenbenennung gerechtfertigt hätte, argumentiert Arlt. Die Einheit im Platz der Einheit wurde im Sinne der SED zur Einheit der Arbeiterklasse umgedeutet. Von der CDU nach dem Mauerfall unternommene Anläufe, den Platz der Einheit in „Platz der Deutschen Einheit“ umzubenennen, scheiterten bereits vor Jahren. Zuletzt fiel 2018 auch ein entsprechender Antrag der AfD im Stadtparlament durch.

Bei der Friedrich-Ebert-Straße wäre eine Rückbenennung allein schon aus logistischen Gründen kompliziert geworden, erklärt Arlt. Denn sie bestand vor 1946 aus drei Teilen mit verschiedenen Namen – Spandauer Straße, Nauener Straße und Hohewegstraße – mit entsprechender Nummerierung. „Da fiel auch den wildesten Umbenennern nicht ein, was man daraus machen konnte“, sagt der Straßennamenexperte. Arlt sieht die Namensfrage ohnehin eher pragmatisch. Bei Straßennamen handele es sich nicht um Denkmale, sondern um ordnungsrechtliche Maßnahmen, sagt der 85-Jährige: „Feuerwehr und Polizei wollen wissen, wo sie hinmüssen.“

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