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Christian Müller mit seinem Münchner Strafverteidiger Benjamin Ruhlmann (r.).

© Carsten Holm

Gerichtsprozess in Potsdam: Pogida-Müller wieder vor Gericht

Der 36-jährige Potsdamer ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung angeklagt. Er soll eine 91-Jährige misshandelt und geschlagen haben.

Von Carsten Holm

Potsdam - Seit Montag steht ein über die Stadt hinaus bekannter Potsdamer einmal mehr vor Gericht: Der 36-jährige Christian Müller, der 2016 die „Abendspaziergänge” des örtlichen Pegida-Ablegers „Pogida” organisiert hatte, muss sich wegen vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt ihm zur Last, am frühen Morgen des 15. Novembers 2019 die 91 Jahre alte Erika F. in ihrer Wohnung misshandelt und geschlagen zu haben. Müller soll der Seniorin mehrfach mit der Hand ins Gesicht geschlagen und sie gestoßen haben, worauf sie mit dem Gesicht auf ihren Rollator fiel und, so Staatsanwalt Markus Nolte, „massive Gesichtsschwellungen und Hämatome” erlitt.

Müller betrat den Saal 24 Amtsgerichts in Handschellen, er wurde aus der Untersuchungshaft in Neuruppin ins Potsdamer Justizzentrum gebracht. Sein Vorstrafenregister weist 26 Einträge aus, er war erst im April 2019 wegen Körperverletzung in fünf Fällen vom Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er kam am 4. November 2019 frei. Müller wollte sich am Montag nicht zum neuen Tatvorwurf äußern. Als Richterin Kerstin Nitsche ihn aber fragte, aus welchen Gründen er vorzeitig entlassen worden sei, antwortete er: „Wegen guter Sozialprognose.”

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Müller war bei Erika F. eingezogen

Doch schon nach elf Tagen in Freiheit erwies sich die Prognose, wenn die Anklage zutreffend ist, als zu optimistisch. Müller war bei Erika F. eingezogen, die ihn als „Stiefsohn” bezeichnete. Vor Gericht trat ein zwischenmenschliches Drama zu Tage, das wohl bald nach dem Einzug des Haftentlassenen begann. Es spricht viel dafür, dass die rüstige Dame, die Zeugen als gehbehindert, aber für ihr Alter als bemerkenswert geistig rege schilderten, in ihrer Drei-Raum-Wohnung nahe des Bassinplatzes ein wahres Martyrium durchlitten haben muss – weil sie froh darüber war, nicht mehr so einsam zu sein.

Die Seniorin lebte dort allein, ihr Mann ist schon vor längerer Zeit verstorben, das Ehepaar war kinderlos geblieben. Müller, ein getrennt lebender Vater von vier Kindern, der nach eigener Aussage trotz seines Jobs als Geschäftsführer einer Cocktailbar auf der Kanareninsel Lanzarote und einem Monatseinkommen von 1500 Euro „zur Zeit keinen Unterhalt” zahlt, hatte das Vertrauen von Erika F. gewonnen. Betreuerin Susanne K. sagte aus, dass die 91-Jährige ihr eines klargemacht habe: Wenn Müller „Sachen passiert” seien, die „nicht in Ordnung” seien, wolle sie „davon nichts wissen”. Ihr „Stiefsohn” sei „ein guter Junge, er kümmert sich”.

Der gute Junge erhielt Kontovollmacht und kümmerte sich um die Finanzen seiner Wohnungsgeberin wohl mehr, als ihr lieb sein konnte. Müller, so berichtete die Betreuerin, habe „das letzte Geld vom Konto geräumt”. Er habe Benzin und Spirituosen mit der Kontokarte bezahlt und für sich eine private Krankenversicherung abgeschlossen. Die immerhin hat Susanne K. kündigen können.

Das gesamte Gesicht war geschwollen

Am frühen Morgen des 15. November schickte Erika F. ihre Pflegerin Natalie B., die sie täglich zweimal aufsuchte und sie um 6.30 Uhr waschen wollte, sofort weg. Weil B. aber das „dunkelrot gefärbte Gesicht” der Frau gesehen hatte, informierte sie ihre Chefin, die sofort Polizei und Notarzt alarmierte. Was die Polizisten erlebten, empfanden sie als schlimm: Polizeibeamtin Anne K. kümmerte sich um die 91-Jährige, die bitterlich weinte und zunächst sagte, sie sei auf ihren Rollator gefallen. Dann korrigierte sie sich: Müller habe sie „geschubst”. Das gesamte Gesicht der Frau sei geschwollen gewesen, so die Polizistin vor Gericht, „ein Auge war kaum zu sehen“. Für sie sei „ohne Zweifel”, dass der Angeklagte „mehrfach auf sie eingewirkt” habe. Auch Ärzte im Klinikum „Ernst von Bergmann“, wohin das Opfer gebracht worden sei, hätten diagnostiziert, „dass Hämatome zu sehen sind, die nicht von diesem Tag stammen”.

Pflegerin Natalie B., die Erika F. täglich wusch, hat in den Tagen vor dem mutmaßlichen Tattag davon allerdings nichts bemerkt. Die Polizeibeamten ermittelten einen Atemalkoholgehalt von 2,02 Promille bei Müller, der sich in der Wohnung aufhielt. Es blieb offen, warum keine Blutprobe angeordnet wurde. Der Prozess wird am 20. Mai um 9 Uhr fortgesetzt. 

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