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Hilfe: In die Tafel-Ausgabestelle in der Drewitzer Straße liefern Händler noch haltbare Lebensmittel.

© PNN / Ottmar Winter

Exklusiv

Gegen Verschwendung: In Potsdam soll weniger Essen weggeworfen werden

Das rot-grün-rote Rathausbündnis will ein Netzwerk gründen, damit in Potsdam nicht so viele Lebensmittel vergeudet werden. Schon jetzt gibt es in der Stadt diverse Initiativen, die sich dafür stark machen.

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Das rot-grün-rote Rathausbündnis will stärker gegen Lebensmittelverschwendung in Potsdam vorgehen. Auf Anregung der Linken-Stadtverordneten Anja Günther wollen Rathaus-Kooperation und Verwaltung ein Netzwerk gründen – mit Vertretern aus Gastronomie oder Einzelhandel und Akteuren aus der Lebensmittelrettung wie dem Tafel-Hilfsverein. An diesem Tisch sollen weitere Schritte und Ideen entwickelt werden, damit in Potsdam weniger Nahrung weggeworfen wird. Diese Initiative ist am Dienstagabend im Sozialausschuss der Stadtverordneten einstimmig beschlossen worden. Damit gilt eine Zustimmung im Stadtparlament ebenfalls als sehr wahrscheinlich.

In Deutschland wird zu viel Essen weggeworfen

Günther verweist in ihrem Antrag auf Zahlen des Bundeszentrums für Ernährung, wonach in Deutschland pro Jahr rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll landen. Dabei hätten die Vereinten Nationen das Ziel formuliert, die Lebensmittelverschwendung bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Dieses Ziel sollte auch Potsdam verfolgen, so Günther. Im Ausschuss ergänzte Jana Schulze (Linke), man müsse auch die Menschen für ihr individuelles Konsumverhalten sensibilisieren – auch da könnte ein Netzwerk helfen.

Anja Günther
Anja Günther

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Unterstützung kommt etwa von der Potsdamer Tafel, deren Chefin Imke Eisenblätter zugleich die SPD-Fraktion anführt und den Sozialausschuss leitet. Die Idee der Linken unterstütze sie, sagte Eisenblätter den PNN schon vor der Sitzung: Es gebe zwar in Potsdam schon viel Engagement gegen das Wegwerfen von Nahrung, „aber nicht genug“. Vor allem die Vernetzung verschiedener Akteure fehle. Der Tafelverein, der bekanntlich aus dem Handel aussortierte Ware an Bedürftige weitergibt, habe im vergangenen Jahr im Schnitt 40 Tonnen Lebensmittel pro Monat retten können, in diesem Jahre seien es sogar 55 Tonnen. „Wir haben inzwischen mehr Partner“, sagte Eisenblätter. Doch bekommen sie manchmal auch so große Mengen an Lebensmitteln angeboten – zuletzt auf einen Schlag zum Beispiel tausende Brötchen – dass man trotz rund 1300 Hilfebedürftigen pro Woche kaum noch wisse, wohin mit den vielen Lebensmitteln. „Durch das Netzwerk könnte man das alles besser koordinieren“, hofft Eisenblätter.

Imke Eisenblätter
Imke Eisenblätter

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Das Problem kennen auch Potsdamer Obstbauern: So hatte Neumanns Erntegarten am Rande von Bornim in diesem August diverse soziale Einrichtungen zur kostenlosen Selbsternte eingeladen, weil die Pflaumenernte immens ausgefallen war und die Inhaber nicht wussten, wohin mit dem vielen Obst.

Übrig gebliebene Lebensmittel kann man in Potsdam inzwischen auch mit der Handy-App „Too Good to Go“ lokalisieren. Essen, das sonst im Müll landet, kann damit vergünstigt gekauft werden. In Potsdam nehmen rund 25 Restaurants und Läden teil, etwa Nordsee in den Bahnhofspassagen, Real im Stern-Center oder die Bäckerei Braune an der Friedrich-Ebert-Straße. Deutlich mehr Teilnehmer werden aber für Berlin angezeigt. Laut Unternehmenssprecherin Franziska Lienert konnten in Potsdam bisher 8000 Mahlzeiten von 4300 App-Nutzern gerettet werden.

Kreative Ansätze

Ähnlich kreativ engagiert sich das Start-Up Marktkost gegen Lebensmittelverschwendung. Das in den Räumen der Fachhochschule Potsdam ansässige Unternehmen beliefert einmal die Woche Firmen mit Mahlzeiten in Mehrweggläsern. Die Mitarbeiter können vorab online aus verschiedenen Gerichten auswählen und diese dann nach Bedarf aufwärmen. Bei der nächsten Lieferung werden die Gläser abgeholt, gereinigt, sterilisiert und wiederverwendet. „Wir wollen den Verpackungsmüll reduzieren und etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun“, so Unternehmensgründerin Laura-Maria Horn.

Auch ein Kantinenbetreiber engagiert sich

Schon in einem anderen Netzwerk gegen Lebensmittelverschwendung ist die Potsdamer Firma Widynski & Roick GmbH mit Sitz in der Seestraße, die unter anderem die Kantinen im Stadthaus und im Landtag betreibt. Geschäftsführer Frank Roick sagte den PNN auf Anfrage, seit etwa zwei Jahren sei man in dem bundesweiten Netzwerk „United against waste“ organisiert, in dem auch Schwergewichte der Branche wie Sodexo, Nestlé und auch Hotelketten versammelt sind.

Der gemeinnützige Dachverein hat gerade für Catering-Firmen ein Abfall-Analyse-Tool entwickelt – dabei werden alle Küchenabfälle in transparenten Sammelbehältern gesammelt und dokumentiert – für eine disziplinierende Wirkung. „Das hat bei uns dazu geführt, dass wir inzwischen 40 Prozent weniger Lebensmittel wegwerfen“, sagte Roick. So versuche man zum Beispiel, den Einkauf mit digitaler Hilfe zu optimieren, aber auch übrig gebliebene Nudeln einen Tag später etwa in Salaten mit anzubieten. Allerdings unterliege man auch gesetzlichen Pflichten, sagte Roick – wie der zwingenden Einhaltung der aus seiner Sicht oft zu kurz angesetzten Mindesthaltbarkeitsdauer, gerade für Molkereiprodukte. Hier müsse die Bundespolitik flexiblere Vorgaben machen, um Lebensmittelvergeudung zu bekämpfen.

ZUM HINTERGRUND

Ein Vorbild in Sachen Lebensmittelrettung ist seit Jahren die Stadt Hamburg. Dort findet auf Initiative der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz seit 2015 jährlich ein Runder Tisch zum Thema Lebensmittelverschwendung statt. Im Gremium vertreten sind unterschiedliche Akteure aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung, darunter die Verbraucherzentrale Hamburg und die Hamburger Tafel. Gemeinsam wird über Maßnahmen zur Vermeidung und Reduzierung von Lebensmittelverschwendung beraten. Wie auch in Hamburg engagieren sich unter anderem auch in Berlin und München mehrere Initiativen und Start-Ups, um gegen die Verschwendung zu kämpfen. Der Berliner Onlineshop und Restesupermarkt „Sirplus“ bringt Waren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bald ablaufen wird oder schon überschritten ist, an den Kunden. Der Großhändler „Querfeld“ aus München verkauft Obst und Gemüse, das bereits bei der Ernte aufgrund der Ästhetik aussortiert wurde. Lebensmittel nicht zu verschwenden gilt auch als Beitrag zum Klimaschutz: Weil dann weniger Nahrung hin und her transportiert werden muss.

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