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Abendmahl. Lucas Cranach d. J. malte Martin Luther und Theologen.

© Archiv

Landeshauptstadt: Gefüllter Weißkohl mit Rosinen und Singvögeln

Die Historikerin Elke Strauchenbruch verrät, was im Hause Martin Luthers gegessen wurde

„Ich fresse wie ein Böhme und saufe wie ein Deutscher – dafür sei Gott gedankt!“ Diesen Ausspruch Martin Luthers haben nicht wenige als Beleg dafür genommen, dass der Reformator ausgiebigen Mahlzeiten nicht abgeneigt war, zumal zeitgenössische Darstellungen Luther als recht korpulent zeigen. Ein Irrtum, erklärt Elke Strauchenbruch: „Das hat nichts mit Fresssucht zu tun. Luther schrieb dies in einem Brief, nachdem er sich von einer Krankheit erholt hatte und sagen wollte: Ich kann wieder essen, es geht mir wieder gut.“ Tatsächlich habe Luther bei vielen Festmahlen befreundeter Fürsten eher zu Mäßigung und Nüchternheit aufgerufen.

Diese und viele andere Einblicke gab die Wittenberger Historikerin und Autorin am Mittwoch vor rund 25 Besuchern im Bildungsforum zum Auftakt der Veranstaltungsreihe „Im Gespräch mit Luther“, die anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Reformation stattfindet. Dabei sollen verschiedene Aspekte Luthers beleuchtet werden, unter anderem sein Einfluss auf die deutsche Sprache, sein Verhältnis zur Erotik sowie sein Antisemitismus.

Unter dem Titel „Luthers Küchengeheimnisse“ hat sich die Stadtverwaltung als Veranstalter zunächst an ein leichteres Thema gewagt: Was aß man im Hause Luther? Elke Strauchenbruch, die ein Buch darüber geschrieben hat, stellte diese Frage vor ein Problem, denn von Luther selbst sind so gut wie keine Aussagen zum Essen überliefert. Eine der wenigen Ausnahmen ist ein belegter Fall, in dem Luther angesichts einer Nierenkolik nach „Brathering und Erbsenbrei“ verlangte.

In seinem wohlhabenden Elternhaus habe Luther nicht gehungert, so die Autorin. „Man hat im Mittelalter sehr vielfältig gegessen, wenn man es sich leisten konnte.“ Kartoffeln, Nudeln und Tomaten kannte man noch nicht, der Schwerpunkt lag auf Brot und Hirsebrei. Billig war das nicht: Ein Drittel der Einkünfte sei für Lebensmittel benötigt worden.

Essen hatte zur Zeit der Reformation eine religiöse und politische Dimension, denn die Reformation schaffte neben vielen anderen katholischen Ritualen auch das Fasten ab: Über das ganze Jahr verteilt gab es im Mittelalter mehr als 100 Tage, an denen gefastet wurde. Mit Heilfasten hatte das nichts zu tun, zur Fastenzeit durfte nur kein Fleisch gegessen werden. Luther selbst hatte es als junger Mönch mit dem Fasten übertrieben: „Er hat sich fast zu Tode gehungert", schreibt Elke Strauchenbruch. Später verwarf er das Fasten als unnötig für den wahren Glauben. „Nach 1520 wurde bei der Wittenberger Ratswahl mitten in der Fastenzeit demonstrativ Fleisch gegessen, zum Beispiel Ochsenzunge mit Meerrettich, Rind oder Hecht, der besonders teuer war.“

Für viele Menschen sei der Bruch mit der Fastentradition damals ein Schock gewesen, nicht nur in religiöser, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht: „Auf einem Nürnberger Holzschnitt von 1524 klagt unter anderem ein Fischer, dass er nicht mehr gebraucht wurde, denn der Absatz an Fisch ging nun zurück“, erklärt die Autorin in ihrem Buch. Ähnlich erging es Branntwein-Brennern. Ihr Umsatz brach ein, als die deutschen Kurfürsten zum Protestantismus übertraten und katholische „Götzendienste“ wie Reliquienschauen nicht mehr durchführten, bei denen Branntwein ein fester Bestandteil war.

Im Zuge der Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten konnte man sich in ernste Gefahr begeben, wenn man das Fasten ignorierte. Wenn in einer katholischen Stadt zur Fastenzeit aus irgendeinem Fenster Bratengeruch gekommen sei, verriet man sich. Um Protestanten aufzuspüren, sei man in Italien sogar so weit gegangen, Bratenriecher einzusetzen. Buchstäbliche Schnüffler, die verdächtige Haushalte auf Einhaltung der Fastenregeln überprüften, erklärt die Historikerin.

In Luthers eigenem Haus in Wittenberg wurde viel und oft gegessen, denn im Schnitt lebten rund 40 Personen in seinem Haushalt: Familie, Freunde, Studenten, Gelehrte, Gäste, entflohene Mönche und Nonnen. Was bei diesen großen Tischrunden gegessen wurde, verrät Strauchenbruchs Buch „Luthers Küchengeheimnisse“, in dem einige Rezepte enthalten sind, zum Beispiel für gefülltes Weißkraut. Ein Weißkohl wird ausgehöhlt und mit gehacktem Kalbfleisch gefüllt, in das auch Rosinen und kleine Vögel gemischt werden. „Bis ins 18. Jahrhundert wurden in Deutschland massiv Singvögel gegessen“, heißt es in dem Buch. Man habe damals die Gerichte auch gerne eingefärbt, etwa Hirsebrei mit Veilchenblüten blau gefärbt.

Da Nahrung nur unzureichend konserviert werden konnte, musste vieles direkt vor Ort angebaut und gekauft werden. Luthers Ehefrau Katharina von Bora braute zudem selbst Bier. Der Konsum von Bier und Alkoholismus waren weit verbreitet, da Bier die einzige keimfreie Alternative zum Wasser darstellte, das nur die Ärmsten tranken. Luthers berühmter Tischreden-Ausspruch „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmecket?“ ist laut Elke Strauchenbruch nirgendwo belegt, wurde also vermutlich nie von ihm geprägt. Es gibt allerdings genügend andere Luther-Aphorismen, die nebenbei gute Trinksprüche abgeben, zum Beispiel: „Iss was gar ist, trink was klar ist, red was wahr ist.“ Erik Wenk

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