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Besorgt. Olha Marushchak ist mit ihrer vierjährigen Tochter und ihrem Ehemann in Potsdam in Sicherheit.

© Andreas Klaer

Geflüchtete aus der Ukraine: „Bleib doch noch bis Samstag“

Glück im Unglück für die Ukrainerin Olha Marushchak: Ihr Mann und ihre Tochter besuchten sie in Potsdam, als in der Heimat der Krieg ausbrach.

Potsdam - Eigentlich hatte es nur ein kleiner Urlaub in Potsdam sein sollen: Die ukrainische Krankenhelferin Olha Marushchak, die im „Ernst von Bergmann“-Klinikum arbeitet, hatte Ende Januar Besuch von ihrem Mann und ihrer vierjährigen Tochter bekommen, die dazu aus der Ukraine angereist waren. Doch kurz bevor die beiden wieder abreisen wollten, brach in ihrer Heimat der Krieg aus. „Ich hätte niemals erwartet, dass Russland das tut“, sagt Marushchak. „Ich war geschockt.“ Von einem Tag auf den anderen waren ihr Mann und ihre Tochter zu Kriegsflüchtlingen geworden, nur mit dem Unterschied, dass sie sich bereits an einem sicheren Ort befanden, ohne vorher flüchten zu müssen.

„Eigentlich wollte er schon am 22. Februar wieder fahren“, sagt Marushchak. „Aber ich habe gesagt: Bleib doch noch bis Samstag. Da hat er sich ein Ticket für den 28. Februar gekauft.“ Am 24. Februar begann die Invasion der russischen Armee, zwei Tage nachdem ihr Mann eigentlich nach Hause fahren wollte. Marushchak schüttelt den Kopf: „Für mich war das ein Gefühl von Schock und Glück zugleich.“

Zwei Kilometer von ihrer Wohnung entfernt gingen Bomben nieder

Die 24-jährige Krankenpflegerin stammt aus Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine, sie arbeitet erst seit Januar in Potsdam. „Unsere Wohnung in Iwano-Frankiwsk liegt zwei Kilometer von dem Flughafen entfernt, auf den es so viele Luftangriffe gab“, sagt Marushchak. Als sie von ihrer Familie spricht, die sich noch in der Stadt befindet, kommen ihr die Tränen. „Mein ältester Bruder ist Soldat“, sagt sie. Die Familie ihres Mannes ist in Kiew und muss sich dort in Luftschutzkellern verstecken, weil sie nicht aus der Stadt herauskommt.

Auch ihre Schwester ist noch in Iwano-Frankiwsk: Sie ist Ärztin und wird vor Ort gebraucht. „Aber sie hat ihre zwei Töchter zu mir geschickt, weil es in der Stadt mittlerweile lebensgefährlich ist“, sagt Marushchak. Ein deutscher Bekannter hatte die sechs- und zehnjährigen Mädchen im Bus nach Deutschland gebracht, am Mittwoch waren sie in Potsdam angekommen.

Zu Fünft in der Ein-Zimmer-Wohnung

Zu Fünft wohnen sie nun in Marushchaks Ein-Zimmer-Wohnung im Wohnheim für die Klinikum-Mitarbeiter:innen an der Berliner Straße. Das Klinikum stellte zusätzliche Matratzen zur Verfügung, doch das Leben ist beengt. Wie lange dieser Zustand dauern wird, wissen sie nicht. Eine Alternative gab es für Marushchak nicht: „Ich musste ihnen einfach helfen.“ Die Kinder haben Angst und Heimweh, sagt Marushchak, sie würden verstehen, dass Krieg herrscht: „Aber wir spielen viel mit ihnen, schauen Kinderfilme oder lesen ihnen vor, damit sie nicht merken, dass wir Angst haben.“ Auch sich selbst versucht Marushchak vom Krieg abzulenken: „Ich verfolge natürlich die Nachrichten, aber Arbeiten hilft, um nicht zu viel darüber nachzudenken.“

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Vielen ihrer Kolleg:innen geht es ähnlich wie Marushchak: Im Klinikum arbeiten mehr als 100 Menschen aus der Ukraine, das Krankenhaus pflegt seit drei Jahren Kooperationen mit der Universitätsklinik in Kiew und mit einer Fachpflegeschule in Lwiw.

Die ukrainischen Mitarbeiter:innen des Klinikums helfen einander

Viele von ihnen wohnen ebenfalls in dem Wohnheim an der Berliner Straße, Marushchak tauscht sich regelmäßig mit ihnen aus: „Wir treffen uns entweder bei mir in der Wohnung oder in den Wohnungen der anderen“, sagt sie. Viele der ukrainischen Mitarbeiter:innen besuchen Deutschkurse zusammen, man hilft einander. Es gibt auch eine Whatsapp-Gruppe, in der sie miteinander Nachrichten austauschen.

„Viele von ihnen haben bereits die Reise ihrer Familien hierher organisiert“, sagt Marushchak. Auch diese kommen dann zum Teil im Wohnheim des Klinikums unter. „Jeden Tag bekommen wir Anfragen von Mitarbeitenden, ob die oder der Verwandte noch herkommen kann“, sagt Klinikum-Sprecherin Theresa Decker. „Wir versuchen das dann irgendwie hinzubiegen, in Absprache mit der Stadt.“

Marushchak befürchtet noch viele Tote

Marushchak ist dankbar für die Hilfsbereitschaft aus Deutschland: „Ich danke dem Klinikum und ich danke Deutschland für seine humanitäre Hilfe.“ Sie hoffe, dass der Krieg nicht lange dauern werde: „Ich bete, dass er bald vorbei ist.“ Die Sanktionen gegen Russland begrüßt Marushchak: „Ich denke, dass sie nach einer gewissen Zeit helfen werden. Aber bis sie wirken, werden viele Zivilisten und Soldaten sterben.“

Sie sei froh, dass ihr Mann und ihre Tochter bei ihr in Sicherheit seien. In der Ukraine hatte Marushchaks Mann als Koch und Schornsteinfeger gearbeitet. Würde er zurückreisen, könnte er für das Militär eingezogen werden. „Aber er will nicht kämpfen“, sagt Marushchak. „Gottseidank bleiben sie hier.“

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