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Seitenwechsel. Werner Bork hatte in Werder (Havel) eine Widerstandsgruppe gegründet und unterstützte sie später von West-Berlin aus. Die Stasi wollte ihn entführen.

© Andreas Klaer

Gedenkstätte Lindenstraße: Als Werner Bork Zigaretten holen ging

Hunderte Menschen wurden aus dem Westen in die DDR verschleppt. Werner Bork hatte im Mai 1953 Glück: Er konnte seine Verfolger bezwingen.

Menschenraub. Immer wieder Verschleppungen. Ja, auch das war die DDR – jener Staat, dem heute bisweilen attestiert wird, es sei dort ja nicht alles schlecht gewesen. Wie verhängnisvoll relativierend diese Zuschreibung ist, wurde einmal mehr am Donnerstagabend deutlich, als der Zeitzeuge Werner Bork in der Gedenkstätte Lindenstraße davon berichtete, wie er im Mai 1953 aus West-Berlin in die DDR entführt werden sollte.

Die DDR-Staatssicherheit wollte Bork aus seiner Wohnung in Berlin-Zehlendorf verschleppen. Bork, Jahrgang 1932, hatte 1948 in Werder (Havel) eine Widerstandsgruppe gegründet. „Ich war ein junger Mann und habe Flugblätter geschrieben“, erzählte er. Mit Schreibmaschine hätten er und einige Freunde die Schriften hergestellt. Man habe damit auf Missstände in der DDR, beispielsweise Wahlfälschungen, aufmerksam machen wollen. Schon 1949 zog Bork nach West-Berlin, wo er eigenen Angaben zufolge in den Jahren 1952/53 dem US-amerikanischen Nachrichtendienst MID Informationen über die DDR lieferte und auch weiterhin die Werderaner Widerstandsgruppe unterstützte. Den Kontakt zu den Amerikanern habe er über die antikommunistische „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ bekommen.

Zutat wie aus einem Agententhriller

Viele von Borks Mitstreitern blieben in Werder – und wurden 1952 verhaftet. Sieben von ihnen hätten ihren Widerstand sogar mit dem Leben bezahlt und seien in Moskau hingerichtet worden, sagte Bork. Auch hinter ihm war der Osten her. Dass ausgerechnet Zigaretten dem damals Anfang 20-Jährigen womöglich das Leben retteten, klingt in dieser Geschichte wie eine Zutat aus einem Agententhriller. An dem Abend, an dem Bork entführt werden sollte, kam er früher als gewöhnlich aus seiner Stammkneipe nach Hause. Der Grund: Er hatte Zigaretten für seine Freunde holen wollen – und überraschte dabei in seiner Wohnung offenbar zwei Männer bei ihren Vorbereitungen zu seiner Entführung. Mit Unterstützung seiner Freunde gelang es Bork, die Eindringlinge dingfest zu machen. Einer der Stasi-Schergen hatte sich in die Toilette eingeschlossen. Aber die Tür war kein unüberwindliches Hindernis, um den Kriminellen schließlich doch festnehmen zu können. „Den haben wir dann erst mal zu Boden geschlagen“, erinnerte sich Bork am Donnerstag. Der zweite Entführer sei durch die Dachluke aufs Dach geklettert, erzählte Bork. Doch derweil hatte schon eine Freundin des Beinahe-Entführungsopfers die Polizei gerufen. Auch der zweite Eindringling wurde schließlich festgenommen. Allerdings: Vier Monate später, so Bork, seien die beiden Männer wieder aus der U-Haft entlassen worden – die versuchte Entführung konnte man ihnen damals nicht nachweisen.

Wäre die Entführung gelungen, wollte die Stasi ihr Opfer selbst zu einem Spion machen. Andernfalls sollte Bork verurteilt werden – so jedenfalls der Plan, den Bork später in seiner Stasi-Akte nachlesen konnte. Womöglich hätte er das Schicksal seiner in Moskau hingerichteten Mitstreiter teilen müssen. Nach dem Ende der DDR folgte noch ein unappetitlicher Teil der Verfolgungsgeschichte: Bork hatte einen einst auf ihn angesetzten Stasi-Spitzel der Mitarbeit für den DDR-Geheimdienst bezichtigt. Darüber kam es zum Rechtsstreit. Den Stasi-Vorwurf konnte Bork vor Gericht nicht belegen. Erst später hätten ihm mit den Stasi-Akten eindeutige Beweise zur Verfügung gestanden, sagte er. Doch das sei für den Rechtsstreit zu spät gewesen.

Werner Borks Geschichte war kein Einzelfall

Entführungen von Menschen wie Werner Bork waren in der frühen DDR keine Einzelfälle. Ab den 1950er-Jahren bis Mitte der 60er seien rund 400 Menschen aus West-Berlin und der Bundesrepublik in die DDR entführt worden, hatte die Historikerin Susanne Muhle von der Gedenkstätte Berliner Mauer in ihrem Vortrag in der Gedenkstätte Lindenstraße erklärt, bevor im Anschluss daran der Historiker Rainer Potratz den Zeitzeugen Werner Bork zu seiner Entführungsgeschichte befragte. Nicht nur die Stasi, so Muhle, auch der sowjetische Geheimdienst verschleppte damals Menschen vom Westen in den Osten. Es folgten zumeist Anklagen gegen die Entführten wegen angeblicher politischer Straftaten. 24 der Verschleppten wurden sogar zum Tode verurteilt und hingerichtet. In einigen Fällen verhängten DDR-Gerichte die Todesurteile, andere Angeklagte landeten vor Sowjet-Tribunalen.

Die Entführungsmethoden waren unterschiedlich. Rohe Gewalt oder vielfach auch List und Tücke seien angewendet worden, so die Historikerin. So wurden die Opfer bisweilen nach einem Lokalbesuch im betrunkenen Zustand über die Grenze gebracht oder man schüttete ihnen Betäubungsmittel ins Getränk. Die kommunistischen Behörden hätten sich zur Umsetzung ihrer Entführungspläne häufig westlicher Krimineller bedient, sagte Muhle. Sie hatten dann die Aufgabe, den Kontakt zum späteren Opfer herzustellen und es zu entführen. Vor 1990 sei es dem Westen nur selten gelungen, die Täter vor Gericht zu stellen. Nach dem Ende der DDR habe es in mehr als 500 Verdachtsfällen strafrechtliche Ermittlungen gegeben. Letztlich seien nur 16 Menschen verurteilt worden. Ins Gefängnis musste keiner von ihnen.

Auf der Veranstaltung in der Gedenkstätte wurde auch die Frage aufgeworfen, ob derartige Entführungen nicht ebenso zum Repertoire westlicher Länder gehören. Es sei blauäugig zu glauben, demokratische Staaten würden so etwas nicht tun, räumte Muhle unter Verweis auf das US-Gefangenenlager Guantanamo ein. Was die Geschichte des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) anbelangt, so will die „Unabhängige Historikerkommission“ demnächst neue Forschungsergebnisse vorstellen. „Da bin ich selbst sehr gespannt, was dabei herausgekommen ist“, sagte Muhle.

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