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Zum Feind geworden. Die Nazis richteten August Bonneß hin.

© STADTARCHIV POTSDAM

Gedenkstätte beleuchtet Potsdamer Schicksale: Ein Opfer der Nazis, ein Opfer der Stasi

Die Gedenkstätte Lindenstraße zeigt, wie Liselotte Fröhlich und August Bonneß Opfer von politischer Verfolgung und Gewalt wurden - in unterschiedlichen deutschen Diktaturen.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es geht um Bespitzelung und Denunziation, um ein willkürliches Todesurteil und die unbarmherzige Verurteilung einer alleinerziehenden Mutter: Die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße hat die laufende Tourneeausstellung des Bundesarchivs über „Geschichte und Erinnerung“ nach eigenen Recherchen zum Schicksal eines Potsdamers und einer Potsdamerin nun um einen bewegenden Teil ergänzt. Die Historiker schildern mit Dokumenten und Fotos, wie der Verleger August Bonneß (1890 -1944) und die Babelsbergerin Liselotte Fröhlich (1917-2008) Opfer von politischer Verfolgung und Gewalt wurden - und warum beide zu unterschiedlicher Zeit in unterschiedlichen deutschen Diktaturen in der Lindenstraße inhaftiert waren.

Immer wieder erinnert die aus Mitteln des Landes und der Stadt Potsdam finanzierte Stiftung an die wechselvolle Geschichte des im Volksmund „Lindenhotel“ genannten Großen Holländischen Hauses, das 1733 bis 1737 im Auftrag des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. erbaut wurde. 1809 war es erster Tagungsort der ersten freigewählten Stadtverordnetenversammlung, ab 1820 Stadtgericht und Gefängnis. 

Die Nazis richteten dort ein Erbgesundheitsgericht ein, das helfen sollte, gemäß ihrer Rassenideologie die vermeintliche eigene „Rasse“ reinzuhalten, ab 1939 inhaftierten sie politische Häftlinge. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges brachte der sowjetische Geheimdienst NKWD Gefangene aus ganz Brandenburg dorthin, dann übernahm die DDR-Staatssicherheit. Als die Wende kam, zog unter anderen das Neue Forum ein, die Liegenschaft wurde zum Haus der Demokratie.

Bonneß untersagte seinen Mitarbeitern Nazi-Propaganda

Anhand der Schicksale von Bonneß und Fröhlich zeichnen die Potsdamer nach, wie erbarmungslos Diktaturen mit Bürgern umgehen, die in den bloßen Verdacht geraten sind, Abweichler zu sein. An zwei Tischen im ersten Stockwerk der Gedenkstätte sind die historischen Dokumente aufbereitet. Johannes Leicht, promovierter Historiker und Leiter der Forschung in der Lindenstraße 54/55, präsentierte sie den PNN. August Bonneß war ein in Potsdam angesehener Verleger, der mit seinem Kollegen Robert Hachfeld sogenannte Lernbriefe für den Selbstunterricht nach damals neuen pädagogischen und populärwissenschaftlichen Methoden herausgab. Seinen Mitarbeitern untersagte er Nazi-Propaganda.

Historiker Johannes Leicht präsentiert die Schicksale von  Liselotte Fröhlich und August Bonneß.
Historiker Johannes Leicht präsentiert die Schicksale von  Liselotte Fröhlich und August Bonneß.

© Andreas Klaer

Doch: „Bonneß war ein typischer konservativ-monarchischer, deutsch-national und militärisch gesinnter Potsdamer, der dem Nationalsozialismus schon 1933 nicht abgeneigt war“, sagt Leicht. Sein Verlag florierte, er galt als größter Steuerzahler der Zivilgemeinde in der Garnisonkirchengemeinde. Ein Bild von 1939 zeigt, dass die Kirche ein schwingendes Geläut erhielt, Bonneß und Hachfeld hatten eine nach Königin Luise, der Gemahlin von König Friedrich Wilhelm III., benannte Glocke gesponsert.

Bonneß trat mehreren nationalkonservativen und militärnahen Potsdamer Vereinigungen bei, gehörte auch dem Gemeindekirchenrat der Garnisonkirche und der Freimaurerloge Teutonia zur Weisheit an. Ins Visier der Geheimen Staatspolizei geriet er, als er sich auf Treffen der monarchistisch-konservativen Potsdamer Kasino Gesellschaft kritisch zur Kriegsführung der NS-Regierung äußerte, ihre Abtretung zugunsten einer Militärdiktatur und die Einführung der Monarchie forderte.

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Im August 1943 wurde Bonneß verhaftet, zeitweise saß er in der Lindenstraße ein. Am 15. Februar 1944 verurteilte ihn der wegen der Zerstörungen in Berlin in Potsdam tagende Volksgerichtshof zum Tode, sein Vermögen wurde eingezogen. Weil er namhafte Fürsprecher hatte, gelang ihm - damals höchst selten - ein Wiederaufnahmeverfahren. Am 8. Juli 1944 wurde er unter dem Vorsitz des NS-Richters Roland Freisler ein zweites Mal zum Tode verurteilt, er habe „durch defätistische Reden den deutschen Selbstbehauptungswillen zu zersetzen gesucht“. Bonneß wurde am 4. Dezember 1944 in Brandenburg-Görden, der nach Berlin-Plötzensee zweitgrößten Hinrichtungsstelle des Nazi-Reichs, umgebracht. Im Bornstedter Feld ist die August-Bonneß-Straße, eine Nebenstraße der Pappelallee, nach ihm benannt worden.

Liselotte Fröhlich kam 1952 ins Gefängnis in die Lindenstraße

Nach der Befreiung von den Nazis waren 1949 die Bundesrepublik und wenig später die DDR gegründet worden, aber der ostdeutsche Staat setzte die rigide politische Verfolgung von Bürgerinnen und Bürgern fort, die im Verdacht standen, Andersdenkende, wenn nicht gar Verräter zu sein.

Am 16. September 1952 schlug die DDR-Staatssicherheit bei Liselotte Fröhlich zu. Die verwitwete Babelsbergerin, die ihre neun Jahre alte Tochter allein erzog, arbeitete seit 1947 bei der brandenburgischen Landesverwaltung und später beim Rat des Kreises Potsdam. An jenem Tag im September tauchten Stasi-Leute an ihrem Arbeitsplatz auf, nahmen sie fest und brachten sie ins Untersuchungsgefängnis der Geheimpolizei in die Lindenstraße. „Im August 1952 hatte der sowjetische Geheimdienst NKWD das Haus an die Staatssicherheit übergeben. 

Ins Visier geraten. Liselotte Fröhlich wurde Opfer der Staatssicherheit.
Ins Visier geraten. Liselotte Fröhlich wurde Opfer der Staatssicherheit.

© PRIVAT

Liselotte Fröhlich, eine aus einfachen Verhältnissen stammende Frau, deren Mann im Krieg gefallen war, kam als eine der Ersten hier in Haft“, sagt Historiker Leicht. Der Tatvorwurf: Boykotthetze. Leicht erklärt: „Sie hatte Kontakte nach West-Berlin, das war nicht selten im damaligen Potsdam, die Mauer gab es ja noch nicht.“ Es sei nicht um Flucht oder Fluchthilfe gegangen, sagt Leicht, „die Stasi wollte wohl ein Exempel statuieren.“ Sie warfen ihr vor, einer anderen Person aus der DDR dabei geholfen zu haben, in West-Berlin als politischer Flüchtling anerkannt zu werden.

Auch in West-Berlin blieb Fröhlich im Visier der Stasi

An einem Abend wurde in einem Protokoll festgehalten, dass Fröhlich von 20.30 bis 23.15 Uhr vernommen worden sei. „Das ist der Typus Machtverhör“, so Leicht, „man verhört zu Zeiten, in denen die Beschuldigten kaum noch in der Lage sind, sich konzentriert zu äußern. Man will sie mürbe machen, damit sie Namen von Personen preisgibt, die dann inhaftiert werden können, das ist ein Teil des Repressionsapparats. Sie kam ja auch kaum zu Wort.“ Angeblich im Namen des Volkes wird die Mutter am 5. März 1953 vom Bezirksgericht Potsdam zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie sitzt in Brandenburg (Havel) und in Halle an der Saale ein und wird nach drei Jahren entlassen. Ihre in Rostock lebende Großmutter nimmt sie in dieser Zeit auf.

Offenbar grundlos hatte der DDR-Staat das Vertrauen in Liselotte Fröhlich verloren, diese nun aber in den Staat. Unmittelbar nach ihrer Haftentlassung im November 1956 floh sie nach West-Berlin, ihre Tochter folgte ihr im September 1957. Aber auch dort blieb sie im Visier der Stasi und wurde überwacht, weil sie Geschäftsführerin der Vereinigung der Opfer des Stalinismus war, die die Stasi als Agentenzentrale bewertete.

Was die Gedenkstätte vorgelegt hat, sind kleine Meisterstücke der Aufarbeitung der Potsdamer Geschichte geworden, die für die Erlebnisse vieler Zeitgenossen stehen. „Der Fall Bonneß steht für das hohe Gut von Meinungsfreiheit, der Fall Fröhlich für die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Beides sind Errungenschaften der Demokratie“, sagt Leicht. Beide Fälle werden nur in der Lindenstraße präsentiert und sind bis zum 28. Juli zu sehen.

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