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Garnisonkirchenstiftung: Zusammenarbeit als Aha-Erlebnis

Lea Voitel lebt mit einer Behinderung und hat früh gelernt, beharrlich um das Leben ihrer Wahl zu kämpfen Dazu gehört auch ein anspruchsvoller Arbeitsplatz bei bei der Garnisonkirchenstiftung.

Potsdam - Zehnte-Klasse-Abschluss, Fachabitur Bautechnik, anschließend eine Ausbildung zur Kauffrau für Tourismus und Freizeit: So sieht der bisherige Lebensweg von Lea Voitel aus. Vielleicht wird sie auch noch studieren, sagt die 22-Jährige. Irgendwas mit Sprache und Schreiben, und später als Reisejournalistin arbeiten.

Aber jetzt kam erstmal alles anders. Seit drei Wochen arbeitet Voitel bei der Garnisonkirchenstiftung, bei der sie vor zwei Jahren als Praktikantin in der Ausbildung begonnen hatte. Jetzt wurde daraus eine feste Arbeitsstelle. Voitel wird sich in den kommenden Jahren hauptsächlich um die geplante Ausstellung im Garnisonkirchturm kümmern. Im Grunde ganz normal, und doch wieder nicht: Lea Voitel ist schwerbehindert und sitzt in einem Rollstuhl. Sie kann Arme und Beine nur eingeschränkt bewegen. Ihr Sprechen ist langsam, die Artikulation manchmal schwierig. Dass sie einen Arbeitgeber gefunden hat, der sich darauf einließ, sei in Potsdam noch ungewöhnlich, sagt sie. Lea Voitel kann das zwar verstehen. Es gebe viel Unsicherheit und Nichtwissen auf der anderen Seite. Und ergänzt: „Wer was wissen will, der soll einfach fragen.“ Dem wird Voitel schon sagen, dass sie mit zwei Fingern ziemlich schnell tippen kann.

Ein Aha-Erlebnis

Es ist – neben der fachlichen Qualifikation – auch die erfrischende, offene Art von Voitel, die ihr Chef Peter Leinemann, Vorstand der Stiftung Garnisonkirche, schätzt. „Die Zusammenarbeit ist für uns alle hier ein großes Aha-Erlebnis“, sagt Leinemann. „Wir achten beispielsweise mehr aufeinander und hören in Gesprächsrunden und Meetings aufmerksamer einander zu, damit man Frau Voitel auch noch am Tischende versteht.“

Auch Voitel sei eine gute Zuhörerin, geduldig, beharrlich sowie schnell und vorausschauend im Mitdenken. Ein wenig habe er sich bei eigenen Vorurteilen ertappt, sagt Leinemann: „Man darf sich kein Bild machen und vom äußeren Eindruck des Menschen auf sein Inneres schließen, aber das tun wir leider zu oft.“

Es gebe noch viel zu wenige Arbeitgeber, die Menschen mit einer Behinderung einstellen, sagt Voitel: „Die sind oft super qualifiziert, haben IHK-zertifizierte Ausbildungen, aber spätestens nach dem Vorstellungsgespräch, vor allem, wenn es sprachliche Barrieren gibt, ist eben Schluss.“

Von Anfang an barrierefrei denken

Die Stiftung wurde auf Voitel aufmerksam, weil ihre Schule, das Oberlinberufsbildungswerk, in der Presse nach einem Praktikumsplatz suchte. Weil die Büros in der Gutenbergstraße barrierefrei und mittels Fahrstuhl erreichbar sind, kamen beide Seiten zusammen und lernten sich schätzen. „Es ist sehr hilfreich, wenn man direkt im Team jemanden hat, der uns hilft, von Anfang an barrierefrei zu denken und die Ausstellung für alle gleichermaßen zu entwickeln“, sagt Leinemann. Als natürlicher, begleitender Prozess, kein später aufgesetztes Korrektiv. Man wolle bereits jetzt auf der Baustelle zeitnah einen Pfad einrichten, auf dem sich auch Rollstuhlfahrer und Menschen mit Rollator gut bewegen können. Bisher sei das komplett unmöglich, sagt Leinemann. Das sei ihm aufgefallen, als Voitel ihn auf die Baustelle begleitete.

Voitels Stelle werde zunächst über explizit dafür geworbene Spender finanziert. Es gebe zwar Finanzierungshilfen über die Arbeitsagentur, ebenso Fördermittel für nötige Umbauten, aber das dauerte der Stiftung zu lange, sagt Leinemann. Zu viel Bürokratie. Dass das für andere Arbeitgeber hilfreich sein kann, stehe außer Frage. Vor allem brauche es zwei Dinge, wenn man zusammenarbeiten will: „Keine Angst voreinander haben und gemeinsam Lösungen entwickeln.“

Gelernt, für sich einzutreten

Lea Voitel hat von Anfang an gelernt, für sich zu kämpfen. Seit ihrer Geburt leidet sie an einer spastischen Tetraparese. Spätestens im Internat während der Berufsausbildung sei sie sehr selbstständig geworden, erzählt sie. Jetzt lebt sie mit ihrem Freund in einer eigenen Wohnung in Potsdam-West. Nicht explizit barrierefrei, aber Erdgeschoss, den Rest haben sie sich alleine umgebaut. Zudem erkämpfte sie sich Alltagshilfe in Form einer persönliche Assistenz – nicht nur einen Pflegedienst, an dessen Rhythmen sie sich dann anpassen müsste. Ein selbstbestimmtes Leben wäre so nicht möglich. Jetzt kümmern sich mehrere Kräfte tagsüber je nach Bedarfslage. „Früh aus dem Bett holen, frühstücken, dann fahren wir zusammen mit dem Bus zur Arbeit.“

Im Büro kommt sie alleine zurecht. In der Mittagspause kommt die Assistenz, nachmittags alles retour. Lea Voitel geht gerne ins Kino, trifft Freunde, geht auf Reisen. Sie war bereits in Griechenland, London, Prag und auf Teneriffa. Von ihren Erfahrungen schreibt sie auf ihrer Homepage. Man darf sich nicht von den Umständen entmutigen lassen, sagt Lea Voitel: „Wenn man was will – einfach machen.“

Zermürbende Bürokratie

Jetzt möchte sie, da sie schließlich länger hier arbeiten wird, einen höhenverstellbaren Schreibtisch und hat diesen bei der Arbeitsagentur beantragt. Es wird erfahrungsgemäß ein Weilchen dauern, sagt Voitel, aber sie werde sich nicht abwimmeln lassen. Auch wenn diese Bürokratie zermürbend sein kann. Für den Schreibtisch muss also erneut ein ärztliches Gutachten her. „Nicht dass ich plötzlich wieder laufen kann“, sagt sie mit leiser Ironie. Und fragt sich: „Wie machen das Menschen, die weniger beharrlich und fit sind im Kopf? Wie sollen die selbstbestimmt leben können?“ Sie hat sich für ihren Job entschieden und wird die künftige Ausstellung und Veranstaltungen entwickeln und die Webseite betreuen. „Das passt gut zu mir.“

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Lea Voitels Homepage: www.handicaptation.de

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