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Erinnerungen. Wolfgang Bolten war vor 50 Jahren bei der Sprengung der Garnisonkirche dabei. Sein Büro befand sich damals genau gegenüber der Kirche. Hinter dem Absperrband hätte sich kaum jemand getraut, Zweifel zu äußern, erzählt er.

© Andreas Klaer

Garnisonkirche Potsdam: Hinterm Absperrband

Erinnerungen eines Zeitzeugen: Heute vor 50 Jahren wurde der Turm der Garnisonkirche gesprengt. Der Potsdamer Wolfgang Bolten war live dabei.

Von Valerie Barsig

Potsdam - Wolfgang Bolten spricht lauter. Mit seiner Stimme versucht der 84-Jährige, die Autos zu übertönen, die an der Baustelle der Garnisonkirche vorbeirauschen. „Da, wo jetzt der Lkw steht“, sagt er und deutet in Richtung der Ampel am Lustgarten. „Da war das Absperrband.“ Einen Augenblick lang ist er für ihn wieder da, jener Moment am 19. Juni 1968, als der Turm der Garnisonkirche gesprengt wurde. „Die hintere Hälfte fiel zusammen“, erinnert sich Bolten und stützt sich fest auf seinen Gehstock. „Die vordere Hälfte des Turms schwankte und wir sagten noch: ,Wenn die in Richtung Straße fällt, dann ist das Büro im Eimer.’“

Bolten wendet sich um und deutet auf das roséfarbene Gebäude der IHK. Damals war dort das Büro der Bezirksdirektion Kraftverkehr – Boltens Büro. Jeden Tag blickte er auf den Eingang der Garnisonkirche. Langsam steigt Bolten die wenigen Treppenstufen des Fußwegs hinauf, der an der Baustelle vorbei zur Nagelkreuzkapelle führt. Er geht um die Ecke und ein paar Schritte auf die sandige Baustelle, auf der bereits die 38 Gründungspfähle für den Neubau des Turms gesetzt sind. Beim Anblick der Bagger kommen die Erinnerungen wieder hoch.

„Erinnerung, Auseinandersetzung und Versöhnung, dafür ist diese Kirche ein Denkmal“

„Ich werde das nie vergessen. Mein Büro war wirklich genau gegenüber“, sagt der 84-Jährige und hält kurz inne. „Damals war ja auch noch der Stadtkanal da, aber der war so vermüllt, dass sie ihn irgendwann zugemacht haben ...“ Dann zieht Bolten eine kleine silberne Digitalkamera aus der Tasche und knipst ein paar Bilder, erkundigt sich nach den Fortschritten auf der Baustelle, blickt sich um. „Nach der Sprengung musste das Rechenzentrum auf dem Kirchengelände gebaut werden, damit ja nichts mehr davon übrig bleibt“, sagt er und blickt auf den Bau gegenüber.

Bolten ist in Stettin geboren, am „Tag von Potsdam“ war er noch kein Jahr alt. Mit dem Handschlag zwischen Hitler und Hindenburg am 21. März 1933 sei der Grundstein für die Zerstörung Deutschlands gelegt worden, sagt er. „Aber man darf sich nicht an 1933 hochziehen. Dafür war die Kirche nicht da, aber natürlich ist das ihr wunder Punkt.“ Trotz alledem, sagt Bolten, „Erinnerung, Auseinandersetzung und Versöhnung, dafür ist diese Kirche ein Denkmal“. Immer wieder kommt er im Gespräch darauf zurück.

Bolten und seine Familie wurden 1945 aus ihrem Heimatort vertrieben. Später kam er nach Teltow und zog 1972 mit seiner Frau nach Potsdam, 1996 nach Berlin. Vor zwei Jahren kam der Vater von zwei Töchtern zurück nach Potsdam. Berlin, das habe ihm nicht mehr gefallen. Schließlich seien er und seine Frau nicht mehr die Jüngsten, sagt Bolten.

Sprengung aus Sicherheitsgründen

Die Sprengung der Kirchenruine, die am 26. April 1968 von der Potsdamer Stadtversammlung – bei vier Gegenstimmen – beschlossen wurde, begann am 14. Mai 1968. In mehreren Abschnitten wurde das Kirchenschiff gesprengt. „Damals wurde das auch mit der Sicherheit von Fußgängern und des Verkehrs begründet“, erzählt Bolten. Und winkt ab: „Dabei fuhr gerade mal alle zehn Minuten ein Trabi oder ein Wartburg vorbei.“ Bolten schmunzelt. Dann sagt er nachdenklich: „So haben die uns das tatsächlich begründet. Mit der Sicherheit.“

Der Turm der Kirche fiel nach einem missglückten Sprengversuch am 19. Juni am 23. Juni vollends in sich zusammen. Bolten war an jedem der Tage der Zerstörung vor Ort. „Das habe ich mir doch nicht nehmen lassen!“ Hinter dem Absperrband habe bei den ersten Sprengungen jeder in sich hineingegrübelt, die Stimmung sei gedrückt gewesen. „Aber alle haben bloß Fragen nach der Technik gestellt.“ Schließlich sei dort auch die Stasi unterwegs gewesen. Als sich am 23. Juni dann die Staubwolke legte, hätten dann aber doch einige der Zuschauer ihre Bedenken geäußert.

Bolten würde den neuen Turm gerne noch erleben

Auch für Bolten waren der Beschluss zur Sprengung der Garnisonkirche und der zur Zerstörung des Stadtschlosses Wendepunkte: „Ich war ja beim Staat angestellt. Aber mit diesen Beschlüssen kamen die Zweifel“, sagt er. Und er fügt hinzu: „Ich schäme mich, so lange in der Partei gewesen zu sein.“ In seinem Blick liegt aufrichtige Traurigkeit. Gemeint ist die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die SED. Bolten war Mitglied bis kurz vor der Wende.

1989, noch vor dem Mauerfall, kam der endgültige Bruch. Boltens Tochter hatte einen Ausreiseantrag gestellt, weil ihre Schwiegermutter in Westberlin lebte. Das bekamen Bolten und seine Frau auf der Arbeit zu spüren. „Meine Frau wurde rausgeekelt, mir warf man schlechte Erziehung vor“, erzählt er. Daraufhin habe er im Rathaus sein Parteibuch seinem Vorgesetzten auf den Tisch geknallt. „Er hat gesagt, ,die Ratten verlassen das sinkende Schiff’“, erinnert sich der 84-Jährige. Als unmittelbar vor dem Mauerfall die Demonstrationen auch vor die Stasi-Zentrale in der Hegelallee zogen, schlossen sich Bolten und seine Frau an.

Bolten wendet der Baustelle des Kirchturms den Rücken zu. Manchmal, erzählt er, geht er zum Glockenspiel an der Plantage und hört einfach in Ruhe zu. „Ich würde mich freuen, wenn ich es noch erlebe, wie der Turm wieder steht“, sagt er. „Auch wenn die Kirche dann immer nur ein Nachbau sein wird“, fügt er hinzu. „Aber sie gehört zu Potsdam.“

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Der 50. Jahrestag der Sprengung der Garnisonkirchen-Ruine am 23. Juni 1968 gibt den Anlass, an die Geschichte der Kirchengemeinde zu erinnern, die damals ihr Provisorium im Turmstumpf aufgeben musste. Die Heilig-Kreuz- Gemeinde, die ehemalige Zivilgemeinde der Garnisonkirche, zog um in ihr Gemeindehaus. Am heutigen Dienstag um 19 Uhr lädt die Martin-Niemöller-Stiftung in die Kiezstraße 10 ein, um diese kaum noch bekannte Entwicklung öffentlich vorzustellen. Der Autor Matthias Grünzig spricht über die Entwicklung der Gemeinde bis zur Wende. Zudem kommen zwei Zeitzeugen zu Wort: Der Wissenschaftler Helmut Domke war viele Jahre im „Heilig-Kreuz-Haus“, gehörte der Synode der evangelischen Kirche in der DDR an und war Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Übergangs-DDR-Regierung.

Joachim Briesemann war lange Jahre Mitglied im Gemeindekirchenrat der Heilig-Kreuz-Gemeinde und engagiert sich seit 1983 für Projekte in Afrika und Mittelamerika. Pfarrer Tobias Ziemann leitet den Abend ein.

Am morgigen Mittwoch berichten um 19 Uhr Augenzeugen unter dem Titel „Mein Potsdam“ in einem Erzählpodium in der Nagelkreuzkapelle am Baufeld der Garnisonkirche vom Tag der Sprengung – darunter Gerhard Rütenik, Hannchen Borchers, Gebhard Falk, Peter Radicke, Dieter Wendland, Christa Urig und Hartmut Knitter – von der Sprengung und wie sie den 23. Juni 1968 erlebt haben. Es moderiert Pfarrerin Cornelia Radeke- Engst. Um 18 Uhr gibt es die Gelegenheit, an einem Friedensgebet teilzunehmen.

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