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Streitfall Garnisonkirche. ZZF-Chef Martin Sabrow meint, man solle nur den Kirchturm bauen.

© S. Gabsch

Garnisonkirche in Potsdam: „Ein preußisches Walhalla“

Martin Sabrow, der Chef des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam spricht im PNN-Interview über die Bedeutung der Garnisonkirche, ihre symbolische Aufladung und den umstrittenen Wiederaufbau.

Herr Sabrow, der Journalist Matthias Grünzig hat kürzlich ein Buch über die Garnisonkirche vorgelegt. Darin schreibt er, in dem Gotteshaus hätten sich während der Weimarer Zeit vor allem jene Kräfte versammelt, die gegen die Demokratie eintraten. Hat Sie dieser Befund überrascht?

Nein, das ist ein zutreffendes Rechercheergebnis und auch nicht überraschend. Potsdam war eine Offiziers- und Adelsstadt. Sie stellte ein ganz eigenes Habitat dar. Und da war die Garnisonkirche eher ein Zentrum als ein Außenseiterplatz.

Trifft das auch auf andere Potsdamer Kirchen zu?

Vielleicht nicht in so starkem Maße. Das müsste man für jede einzelne Kirche genau untersuchen. Die Garnisonkirche hatte als preußische Staatskirche eine herausgehobene Stellung. Das ist eindeutig. Die symbolische Aufladung der Garnisonkirche war sicherlich höher als etwa die der „St. Peter und Paul“-Kirche oder der Nikolaikirche. Sie fügt sich in das Bild einer Stadt, deren Identität sehr stark deutschnational, monarchistisch und militaristisch geprägt war. Die Frage ist aber doch: Wozu müssen wir diese Unterscheidung so detailliert betreiben?

Man will die Kirche wiederaufbauen – oder jedenfalls den Turm.

Ja, das ist der Bezugspunkt in der gegenwärtigen Diskussion. Aber dennoch: Es ist doch selbstverständlich, dass beispielsweise auch das wiedererrichtete Potsdamer Stadtschloss für Aktivitäten steht, die nicht gerade republikanischen Geist atmen. Auch das neue Humboldt- Forum in der Mitte Berlins steckt in einer Schlosshülle, die von einer monarchischen Vergangenheit kündet. Selbst der Berliner Reichstag stellt aus demokratiegeschichtlicher Sicht als Sitz des Bundestags einen anfechtbaren Ort dar, an dem sich die Demokratie bis 1918 nur sehr begrenzt entfalten konnte.

Aber wenn man trotzdem einmal den Blick auf die von Ihnen angesprochene symbolische Aufladung der Garnisonkirche richtet: Wofür stand das Gotteshaus?

Die Garnisonkirche blieb bis zu ihrem Untergang das, was sie seit ihrer Errichtung war: Ausdruck eines kriegerisch verstandenen Bündnisses von Thron und Altar – mit ziemlich seltsamen Figuren und den erbeuteten Fahnen aus den Reichseinigungskriegen. Ein preußisches Walhalla. Das würde man heute nicht mehr mit Gottesdienst verbinden. Und es ist auch schwierig zu verstehen, weshalb im damaligen Schmuckprogramm die Kanzel von Mars und Minerva zugleich flankiert werden konnte. Wir stellen uns heute die Frage, inwieweit solche Zeichen der Vergangenheit noch Existenzrecht haben. Und diese Frage stellt sich im Falle der Garnisonkirche besonders scharf, weil sie gegenwärtig gar nicht mehr existiert und erst neu geschaffen werden muss, um sie dann als Vergangenheitszeugnis zu bewahren – eine gewisse Paradoxie. Früher hätte man gesagt, das geht gar nicht. Weg ist weg.

Viele sagen es auch heute noch.

Ja, und das ist auch ein legitimer Standpunkt, aber der entgegengesetzte ist es auch.

Ein Argument der Aufbaubefürworter ist, dass Angehörige des militärischen Widerstands gegen Hitler zur Militärgemeinde an der Garnisonkirche gehörten. Grünzig sagt nun, für den Widerstand habe das Gotteshaus eigentlich keine Rolle gespielt.

Mag sein, aber warum müssen wir darüber reden? Wir führen ja jetzt keine Diskussion über die Rolle des Widerstands in der deutschen Geschichte. Zu schauen, ob vergangene Ereignisse für oder gegen die Kirche zeugen, beruht auf der Annahme, dass wir grundsätzlich keine Bauwerke erhalten oder restaurieren wollen, die historisch kontaminiert sind.

Das ist dann wohl eine Ansicht, die Sie nicht unbedingt teilen.

Ja, ich sehe in einer solchen Herangehensweise eine fragwürdige Denkhaltung. Wir bewahren Gebäude doch häufig unabhängig von der Frage, ob sie in der Vergangenheit Schauplatz von Schuld geworden sind. Wir schätzen sie vielmehr wegen ihres ästhetischen und architektonischen Ranges und wegen ihrer historischen Zeugniskraft – nicht wegen ihrer Parteinahme für unsere Gegenwartsüberzeugungen.

Sie sehen also nicht die Gefahr einer Missdeutung einer wiederaufgebauten Kirche?

Ach, das ist in unserer Geschichtskultur heute völlig abwegig. In den 1960er- und 1970er-Jahren war das noch anders. In ihrem kulturbarbarischen Abrissakt von 1968 sah die SED-Führung sich auch durch die Stimmen aus dem Westen bestärkt, die mit dem Erhalt der Kirchenruine eine nostalgische Erinnerung an den „Geist von Potsdam“ verbanden. Eben diese Haltung machte die Abrissfrage damals zu einem weltanschaulichen Streit zwischen Reaktion und Fortschritt. Dieses Lagerdenken ist heute anachronistisch; unsere Geschichtskultur sortiert nicht mehr nach „links“ und „rechts“, sondern nach Aussagekraft und Authentizität.

Das Rechenzentrum ist aber auch authentisch. Dieser DDR-Bau müsste weichen, wenn man das barocke Kirchenschiff wiedererrichten würde.

Das wäre in der Tat genauso eine Auslöschung der Vergangenheit, die ich nicht bei der Garnisonkirche beklagen kann, um sie dann beim Rechenzentrum hinzunehmen. Man kann aber den Kirchturm ohne das Kirchenschiff bauen und durch die Nähe zum Rechenzentrum zugleich an den Umgang der DDR mit diesem Ort erinnern.

Das wäre dann ein spannendes Miteinander der Epochen?

Es ist bemerkenswert, dass die SED-Führung in den 1960er-Jahren ernsthaft annehmen konnte, dass der Verlust des Kirchenbaus von Philipp Gerlach wettzumachen sei durch einen fortschrittsverkörpernden Zweckbau samt der Apotheose der Einsteinformel E = mc² auf dem Umlauffries. Das ist so befremdlich und zeittypisch zugleich, dass es auch im Stadtbild erkennbar bleiben sollte.

Die Fragen stellte Holger Catenhusen

Zur Person:

Martin Sabrow, 63, hat Geschichte, Politik und Politikwissenschaft in Kiel und Marburg studiert. Er war seit 2004 Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Potsdam und folgte 2009 dem Ruf an die Humboldt-Universität zu Berlin. Im Dezember 2004 wurde Sabrow zum Direktor am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam berufen.

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