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Dunkelbraun getüncht. Die Lincrustatapeten im alten Offizierskasino wurden von den Sowjets gefärbt. Was aus dem Casion wird, ist unklar.

© Sebastian Gabsch

Führungen in Krampnitz: Luxustapeten im Kasernenalltag

In Krampnitz gibt es seit Sonntag Führungen über das Gelände, auf dem einst 10 000 Soldaten lebten. Die Termine sind bereits bis zum Sommer ausgebucht.

Krampnitz - Die Luxuskabinen auf der Titanic wurden mit ihr ausgestattet, das Weiße Haus in Washington und: das Offizierscasino auf dem ehemaligen Kasernengelände in Krampnitz. Gemeint sind sogenannte Lincrustatapeten, benannt nach den lateinischen Wörtern für Leinen und harte Schale. Die stabilen, linoleumartigen Wandbeläge schmückten nach ihrer Erfindung 1877 nur die vornehmsten Innenräume dieser Welt und gelten bis heute als äußerst luxuriös. „Die Tapeten für Krampnitz kamen aus einer Fabrik in Hannover, wo sie seit 1884 hergestellt wurden“, erzählt Johannes Westerkamp am Ostersonntag etwa 25 Zuhörern, denen die Faszination darüber, was sie gerade besichtigen, anzusehen ist. Sie sind nach Krampnitz gekommen, um an der ersten öffentlichen Führung über das Kasernengelände teilzunehmen und stehen mitten im großen Saal des bisher unzugänglichen Offizierscasinos, das unter Denkmalschutz steht.

„Ein historisches Ereignis“, kommentiert Westerkamp diese Führung, die vom Entwicklungsträger ProPotsdam organisiert wurde. Das Betreten des Kasernengeländes war schließlich seit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland verboten. Und selbst die, die sich seither unbefugt Zutritt zum Areal verschafft haben, gelangten nur mit viel Mühe in das Innere der verbarrikadierten Häuser. Das Eindringen war mit Blick auf Bodenschächte, Munitionsreste und einsturzgefährdete Dachstühle äußerst gefährlich – der Reiz jedoch, das Gelände zu erkunden, scheint sehr hoch zu sein. Das Interesse an den Führungen zeigt es: Sie sind bereits bis Juni ausgebucht.

Truppen der Sowjetunion nutzten das Gelände

Als Westerkamp erklärt, wofür einst die besagte Luxustapete im Offizierscasino angefertigt wurde, gibt es wissendes Kopfnicken. Die Wandverkleidung soll das Gebäude der 1937 nach Plänen des Architekten Robert Kisch gebauten „Heeres Reit- und Fahrschule und Kavallerieschule“ der Wehrmacht schmücken. Hier werden sowohl Pferde zugeritten als auch Soldaten an Autos und Motorrädern ausgebildet. Ab 1945 wird das Gelände von Truppen der Sowjetunion genutzt, die dort bis Ende 1991 bleiben. Die Sichtbarkeit dieser Geschichtsepochen an einem Ort gilt als etwas Besonderes.

Den größten Raum bei der Führung nimmt die Zeit nach 1945 ein. Westerkamp erläutert, wie die sowjetische Armee das Areal für sich erschloss. Hausfassaden wurden von gelb zu grau getüncht, An- oder Vorbauten oft ohne Fachwissen an Klinkerbauten errichtet. Im Innern wurden die Wände neu gestrichen und mit politischen Losungen versehen. Durch die Wände der verfallenen Sporthalle hindurch ist eine große Malerei zu sehen, welche die Freundschaft zwischen der DDR und der UdSSR als Handschlag zeigt. Und im Casino wurde die helle Lincrustatapete zu einer dunkelbraunen, die dem Gebäude eine düstere Atmosphäre verschafft. Vielleicht war das Gebäude auch deshalb in den 2000er-Jahren gefragte Filmkulisse, unter anderem drehte Tom Cruise hier „Operation Walküre“, Jean-Jacques Annaud verfilmte „Enemy at the Gates“.

 „Ich durfte sogar mit dem Panzer mitfahren."

Den Alltag der Soldaten beschreibt der Gästeführer als trist. „Oftmals kamen die Männer aus ,nichteuropäischen Republiken'“, so Westerkamp. Die Rekruten sollten sich fremd fühlen und sich auf den militärischen Alltag konzentrieren. Sie verließen das Gelände nur selten. Das Kasernenleben war darum auf Selbstversorgung ausgelegt, ab den 70er-Jahren für rund 10 000 Menschen. So wurde sogar eine eigene Schweinezucht betrieben, die Stallanlagen sind noch gut erkennbar. Außerdem gab es Tankstellen, Wäschereien und ein Kino. Als vor den Besuchern ein altes Getränkelager auftaucht, ist die Überraschung groß: Hier stapeln sich noch Kisten mit leeren Fruchtsaftflaschen, etwa des VEB Lausitzer Früchteverarbeitung. Die Etiketten sind gut lesbar.

Am Ende des Rundgangs zeigt Westerkamp noch das sogenannte Bergviertel. Hier stehen Häuser aus den 30er-Jahren, in denen sowjetische Offiziere mit ihren Familien lebten. Unerwartet meldet sich dazu ein älterer Herr zu Wort: „Hier habe ich als Kind gewohnt!“ Herr Scholz, der nur seinen Nachnamen nennen möchte, habe 1947 oder 1948, er sei nicht mehr sicher, mit seiner Familie das Haus auf Anweisung durch die sowjetische Armee verlassen müssen. Die Soldaten seien jedoch freundlich zu ihm gewesen: „Ich durfte sogar mit dem Panzer mitfahren, sehr zum Schrecken meiner Mutter“, erinnert sich der 76-Jährige.

Schicksal des Offiziercasinos ist noch offen

Mit der begonnenen Erschließung des Kasernengeländes für Wohnungen werden schon bald viele Geschichtsspuren für immer verschwinden. Hubert Lakenbrink von der ProPotsdam, der die erste öffentliche Führung am Sonntag begleitet, sagt jedoch, dass einiges erhalten bleiben soll, Reliefs oder Inschriften etwa. „Wir dokumentieren außerdem alles in einem Fotoarchiv“, so der Prokurist.

Was mit dem Offizierscasino passieren wird, ist noch offen. Will noch der ein oder andere Filmemacher aus Hollywood die unheimliche Atmosphäre dort nutzen, muss er sich beeilen – die dunkle Luxustapete soll mit großer Wahrscheinlichkeit restauriert werden.

Andrea Lütkewitz

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