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Frühling in Potsdam: Die Biene muss ihren Koffer packen

Beim Wettbewerb „Erlebter Frühling“ schickt die Naturschutz-Jugend Schüler auf die Suche nach Frühlingsboten.

Am gestrigen Dienstag war Frühlingsanfang – laut Kalender. Das Wetter wollte aber nicht mitspielen und schickte statt milder Brisen eisige Schneeschauer. Die Schülerinnen und Schüler der Internationalen Grundschule Potsdam konnten daher nur drinnen nach Frühlingsboten suchen: 15 Kinder wuselten durch das Naturkundemuseum Potsdam, und hielten bei der Museumsrallye Ausschau nach Honigbiene & Co. „Fledermaus und Star haben wir schon gefunden – welcher Frühlingsbote fehlt noch?“, fragt Inga Harms von der brandenburgischen Naturschutz-Jugend in die Runde. „Apfelbäume!“, kommt die Antwort zurück.

„Erlebter Frühling“ heißt die jährliche Aktion der brandenburgischen Naturschutz-Jugend (NAJU), bei der Kinder und Jugendliche die heimische Natur vor ihrer Haustür entdecken sollen. „Eine Aufgabe, die angesichts des Artenrückgangs sehr wichtig geworden ist“, sagt Claudia Günther, Jugendbildungsreferentin des NAJU. Bei dem Umweltbildungswettbewerb, der bis zum 31. Mai läuft, sind die Schülerinnen und Schüler dazu aufgerufen, sich kreativ mit vier Frühlingsboten – in diesem Jahr Star, Fledermaus, Honigbiene und Apfelbaum – auseinanderzusetzen. Zum Beispiel mit einem Forschungstagebuch, mit Basteleien, Plakaten, Fotos, Filmen oder Theaterstücken.

Die Kinder der Internationalen Grundschule sind jedenfalls mit Eifer dabei: Akribisch suchen sie rund um die Vitrinen und Ausstellungsstücke nach Apfel-Karten und legen sich dabei auch flach auf den Boden, um keine Ecke undurchsucht zu lassen. „Wer hat Äpfel gefunden?“, fragt Harms. Vier Kinder zeigen Apfel-Karten hoch und lesen sie vor – auf jeder steht eine Ursache für das Insektensterben: „Bauern besprühen ihre Felder mit Pestiziden und Giften, um ihre Getreide vor Insekten zu schützen“, liest eine Schülerin vor.

Tatsächlich hat das Insektensterben dramatische Ausmaße angenommen: Seit 1989 sind in Deutschland über drei Viertel der Insekten verschwunden und damit auch die Lebensgrundlage für Vögel und viele andere Wildtiere. „Durch Pestizide, Dünger und Monokulturen geht die biologische Vielfalt immer mehr verloren“, warnt Günther. „Es gibt kaum noch Ackerrandstreifen, wo Insekten und andere Tiere Nahrung oder Unterschlupf finden.“

Der massive Rückgang der Insektenpopulation, der 2017 viele Naturschützer schockierte, ist das Hauptthema der Museumsrallye. Auch der Klimawandel zählt zu den Ursachen: „Der Biene wird es hier langsam zu heiß, deshalb muss sie ihre Koffer packen“, erklärt die Lehrerin der Grundschulklasse. „Der Eisbär muss auch seine Koffer packen!“, ergänzt ein Schüler korrekt.

Nicht nur den Insekten geht es schlecht: Dadurch, dass Pestizide von Insekten aufgenommen werden, die dann wieder von Vögeln an ihren Nachwuchs verfüttert werden, leiden auch Jungvögel darunter. „Wir haben einen deutlichen Singvogelrückgang“, sagt Günther. 2017 bestätigte die Bundesregierung, dass zwischen 1990 und 2013 die Bestände von Feldlerchen um 35 Prozent zurückgegangen sind, bei Braunkehlchen sind es 63 Prozent, bei Kiebitzen sogar 80 Prozent. „Die konventionelle Landwirtschaft ist der Hauptverursacher dafür, und die hat eine starke Lobby“, sagt Günther. Sie findet, dass der Naturschutz in Brandenburg gegenüber der Landwirtschaft eine zu untergeordnete Rolle spielt. „Von Seiten der Ministerien wurde der Naturschutz immer mehr abgebaut. Aber man muss irgendwann begreifen, dass man nicht ewig so weiter machen kann.“

Deprimierende Zustände, doch der NAJU resigniert nicht: „Die Kinder sollen gemeinsam überlegen, was man dagegen unternehmen kann“, sagt Günther. Eine Möglichkeit ist die bundesweite NAJU-Aktion „Bee Inn“, bei der die deutschlandweit größte Wildbienen-Hotelkette entstehen soll: Jeder kann sich um insgesamt 500 Starterkits bewerben, zu denen unter anderem Bauanleitungen, Bestimmungskarten und Beutel mit einer Wildblumensamen-Mischung gehören, mit der „Bienenweiden“ angelegt werden können.

Auf diese Weise sollen die Kinder und Jugendlichen vor ihrer Haustür Bienen- und Insekten-Hotels errichten, die je nach „Komfort“ mit einem, zwei, drei oder vier Sternen bewertet werden: Von der kleinen Bienenpension bis zum Luxushotel mit eigens angelegter Wildblumenwiese. Die Fotos der fertigen Hotels werden auf einer interaktiven Online-Karte auf www.najuversum.de hochgeladen. „Im Herbst wird dann eine Kinderdelegation der Politik ihre Beobachtungsbögen und den Hotelkatalog überreichen“, sagt Günther.

Bevor es dazu kommt, wird erst einmal der Theorie-Teil im Museum abgeschlossen: „Jetzt suchen wir eine Biene“, sagt Inga Harms zu den Schülerinnen und Schülern. Die Kinder sind schnell fündig geworden, gleich im nächsten Ausstellungsraum hängt eine ganze Tafel mit präparierten Bienen, darunter auch so unbekannte Arten wie die Wollbiene oder die Felsenkuckuckshummel. Das ist natürlich nur der erste Schritt, sagt Günther: „Nach dem Museumsbesuch sollen die Kinder in die Natur rausgehen und selber nach den Frühlingsboten suchen.“ Denn trotz des Wintereinbruchs können Frühblüher und Singvögel schon jetzt beobachtet werden: „Sogar Zitronenfalter gibt es schon“, sagt Günther.

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