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Das Innere des Brauhausbergs. 2014 gelang ein Blick in den Bunker unterhalb der früheren SED-Bezirkszentrale.

© Andreas Klaer

Frühere Bunker in der Landeshauptstadt: Potsdams Unterwelt

Wegen der Kriegsangst steigt das Interesse an Bunkern: Wo befinden sich frühere Schutzräume in Potsdam?

Von Carsten Holm

Potsdam - In der fünften Woche sorgt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine für zunehmende Unsicherheit in der Bevölkerung: Ein Potsdamer sucht im Kleinanzeigen-Portal Ebay einen „Bunker zur Miete/Kauf (Nähe Potsdam)“. Beim Berliner Unternehmen Bunker Schutzraum Systeme Deutschland (Bssd) sind schon „einige Anfragen“ aus Potsdam und Umgebung eingegangen, erzählt Mitarbeiter Jean-Paul Piedje den PNN. „Die Menschen haben Angst“, sagt der Bunkerbauer. Die Familienfirma stellt unter anderem Privatbunker mit Panzertür und Trockentoilette her, „ein Kunde aus Potsdam hat gerade einen bestellt“.

Keine funktionstüchtigen Bunker 

Wo aber lässt sich Schutz suchen, wenn sich der Krieg in der Ukraine auf andere europäische Länder ausweitet? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) will beruhigen: Dass Deutschland wegen des Kriegs „einem Luftangriff ausgesetzt sein wird, ist unwahrscheinlich.“ Dennoch stelle man sich „natürlich die Frage nach Schutzräumen, sollte es so weit kommen“.

Die Antwort ist einfach: Fehlanzeige überall. „In Potsdam gibt es keine funktionstüchtigen Bunker mehr“, sagte die für Sicherheit zuständige Beigeordnete Brigitte Meier (SPD) den PNN, „aber nicht die Stadt hat sie geschlossen, für ihren Weiterbetrieb wäre der Bund zuständig.“

Bunkeranlagen bundesweit aufgegeben

Tatsächlich haben sich Bund und Länder 2007 darauf geeinigt, die damals allein im Westen noch rund 2000 Bunker bundesweit aufzugeben. Das Szenario eines konventionellen Krieges mit großflächigen Bombardierungen und dem Einsatz chemischer und nuklearer Waffen sei nach der Beendigung des Ost-West-Konflikts „nicht mehr zeitgemäß“, hatte das BBK analysiert. Damit war das Ende der Bunker beschlossene Sache, sie wurden verkauft, zu Wohnungen umgebaut oder rotten vor sich hin. Die Bunker in den neuen Bundesländern entsprachen darüber hinaus nicht geltenden DIN-Standards, sie hätten mit enormem Finanzaufwand angepasst werden müssen.

Die private Nachfrage nach Bunkern boomt

Wenig überraschend also, dass die private Nachfrage nach Bunkern plötzlich boomt. Aber auch das Bundesinnenministerium will nach eigenen Angaben „das aktuelle Rückbaukonzept für Schutzräume" überprüfen. Wer einen Garten hat, kann jenseits der Frage, wie sinnvoll das ist, dort einen Bunker vergraben lassen. Die Webseite des Berliner Bunker-Produzenten Bssd klickten vor Kriegsbeginn täglich rund 300 Besucher an, nach den ersten Bomben stieg die Zahl auf mehr als 10.000 täglich. Der Typ B 1 misst 18 Quadratmeter, kostet 95.000 Euro und ist laut Homepage „sofort verfügbar“.

Bunker für eine Person. Vier dieser Mini-Schutzräume aus Weltkriegszeiten stehen im Babelsberger Industriegebiet.
Bunker für eine Person. Vier dieser Mini-Schutzräume aus Weltkriegszeiten stehen im Babelsberger Industriegebiet.

© Ottmar Winter

Fällt das noch unter nachvollziehbare Angst? Oder ist das Hysterie? Das BBK wiegelt ab: Die in Deutschland vorhandene Bebauung biete „generell guten Schutz“, sowohl vor fliegenden Objekten als auch vor der Kontamination mit chemischen oder nuklearen Stoffen. Ein Tipp vom Amt: „Im Fall eines Angriffs gehen Sie am besten in einen innenliegenden Raum mit möglichst wenigen Außenwänden.“ Weitere Ratschläge: „Wenn Sie innerhalb einer Stadt unterwegs sind, gehen Sie in ein Gebäude mit Innenräumen oder suchen Sie am besten unterirdische Gebäudeteile auf, zum Beispiel U-Bahn-Stationen.“

Früherer Bunker unter dem Brauhausberg

Lange Zeit gab es in Potsdam mitten im Zentrum noch einen größeren Bunker für bis zu 200 Personen, ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten. Der heute 40-jährige Sebastian Meinke und sein 41-jähriger Kollege Björn Lasinski entdeckten hauptsächlich anhand von Stasi-Akten brandenburgische Bunker der Staatssicherheit und der Volksarmee, die zu DDR-Zeiten hochgeheim waren. Die Freunde arbeiten als Regeltechniker an der Berliner Humboldt-Universität und bauten die Webseite „untergrund-brandenburg.de“ auf. Lasinski war dabei, als ein Mitarbeiter der Stadtwerke im Februar 2014 die meterhohe Tür zu dem geheimnisumwobenen Bunker im Brauhausberg für die PNN öffnete, die Feuerwehr hatte das Bauwerk nach der Deutschen Einheit übernommen und als Katastrophenschutzlager genutzt.

Das einstige Terrassenrestaurant "Minsk" galt als so genannter Tarnbau über einem Bunker. Der wurde ins Innere des Brauhausbergs gebaut.
Das einstige Terrassenrestaurant "Minsk" galt als so genannter Tarnbau über einem Bunker. Der wurde ins Innere des Brauhausbergs gebaut.

© PNN-Archiv/Heidemarie Milkert

Über den meisten Bunkern, wurde, so Lasinski, ein sogenannter Tarnbau installiert, damit Feinde sie nicht aus der Luft identifizieren konnten. So entstand Ende der 1970er Jahre über dem Bunker das Terrassenrestaurant „Minsk“, ein beliebter Ausflugsort mit Blick über die Innenstadt. Der Bunker unterhalb der ehemaligen SED-Bezirkszentrale auf dem Brauhausberg, in die nach der Wende zunächst der Landtag einzog, war im Ernstfall aber den „Führern, Lenkern und Vordenkern“ vorbehalten, sagte der Stadtwerke-Mann.

Es gab zwei Notausgänge: einer hatte eine Schleuse mit einer Dusche, damit sich Mitarbeiter im Fall eines Atomschlags den radioaktiven Fallout vom Schutzanzug duschen konnten. Ein anderer sei, so der Bunker-Führer, „offenbar für den Moment gedacht“ gewesen, in dem sich der Brauhausberg „in Feindeshand“ befunden hätte. An dieser Stelle hätten sich die Menschen aus dem Bunker „mit einem Spaten durch eine meterdicke Sandschicht“ ins Freie graben müssen. Der Ausstieg dort sei zur Tarnung „von einer Hecke überwachsen“ gewesen.

Inzwischen gibt es keinen Zugang zum Bunker mehr. Überraschend kaufte die Stiftung des SAP-Gründers und Potsdamer Mäzens Hasso Plattner 2019 das verfallene „Minsk“. Plattner will dort in diesem Frühjahr nach einer umfangreichen Sanierung ein Museum für zeitgenössische und DDR-Kunst eröffnen.

Bunker in Bornim

Ein paar Kilometer weiter, im Stadtteil Bornim, stießen die Freizeitforscher auf weitere Bunker. Dort fanden sie nach dem Studium der Stasi-Akten unter der Erde die „Ausweichführungsstelle“ (AFÜST) der Stasi-Bezirksverwaltung Potsdam, Tarnname „Mitwisser-5“, im Funkverkehr „Goldbarren“. Sie war als „Ausbildungsobjekt“ legendiert, 580 Quadratmeter groß, hatte 20 Gänge von je 14 Metern Länge und sollte bis zu 100 Personen Platz bieten. Für den Fall, dass die Stasi-Gebäude in der Stadt im Kriegsfall nicht mehr zugänglich sein würden, sollten die Geschicke der Geheimen von dort aus gelenkt werden.

Von außen erkennbar war der Bunker, der eine Wasserreserve von 6000 Litern hatte, nicht. „In einem kleinen, eingezäunten Gelände“ notierte Hobby-Historiker Lasinski, „liegen die beiden Tarnbaracken“ mit den Zugängen zum Bunker. 2020 wurden sie abgerissen, der Bunker zubetoniert. Lasinski hat von ehemaligen Stasi-Offizieren erfahren, mit welchen Tricks die Horchs und Gucks arbeiteten, wenn sie Rauch und Abwärme beim Probebetrieb von Elektromotoren für die Bunker verschleiern wollten. Um dies vor Spionagesatelliten oder Wärmebildkameras zu verbergen, wurden kurzerhand ein paar Männer zum Würstchengrillen abgeordnet.

Fünf Kilometer von der „AFÜST“ entfernt fanden die die beiden Männer einen weiteren, hinter Gebüsch versteckten Bunker. Es war die im Stasi-Jargon so genannte „Abgesetzte Sendestelle“ der Ausweichführungsstelle – für den Fall, dass die Sendung von Funksprüchen nicht mehr aus der Stadt möglich gewesen wäre.

Belüftungsanlage im Stasi-Bunker in Bornim. Der Schutzraum wurde als Ausweichführungsstelle bezeichnet.
Belüftungsanlage im Stasi-Bunker in Bornim. Der Schutzraum wurde als Ausweichführungsstelle bezeichnet.

© Lasinski / Untergrund-Brandenburg

„Um die alten Bunker rankte immer ein Mythos“; sagte der Berliner Sachbuchautor, Fotograf und Reiseführer Martin Kaule den PNN. Er hat schon Tausende durch brandenburgische Bunker geführt, zwei Drittel der Teilnehmer, erzählt er, seien geschichtsinteressierte Männer der Altersgruppe 50plus. Seit einigen Jahren gesellen sich, so Kaule, sogenannte Urban Explorer dazu, 20- bis 30-Jährige, die sich in den Katakomben-ähnlichen Mauerwerken auf Fotopirsch begeben. Wer ihn begleitet, lernt, wie Mythen in sich zusammenbrechen. „Es gibt, anders als es gerüchteweise hieß, in den Bunkern weder Silos für Interkontinentalraketen noch versteckte russische Panzer oder eingelagerte Flugzeuge. Auch wurden sie nicht zehn Etagen tief in die Erde getrieben, sondern eine oder zwei“, weiß Kaule.

In der Nähe von Potsdam gibt es heute nur noch einen funktionstüchtigen Großbunker. Vom märkischen Kiefernwald getarnt schützt sich das seit 2001 in Geltow residierende Einsatzführungskommando der Bundeswehr, das alle Auslandseinsätze steuert, mit einer rund 3000 Quadratmeter großen Bunkeranlage. Einlass, auch im Ernstfall: nur für Soldaten.

Ein-Mann-Bunker in Babelsberg

In Potsdam selbst existieren noch Relikte aus der Nazizeit. Als ob sie zu schwer für den Abtransport seien, fläzen sich vier hüfthohe Ein-Mann-Bunker im Babelsberger Industriegebiet am Beetzweg. Keine Türen mehr, vollgemüllt – und niemand weiß, wer sie wann für wen gebaut hat. 

Der Potsdamer Heinz Matysiak an einem der Mini-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg im Beetzweg.
Der Potsdamer Heinz Matysiak an einem der Mini-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg im Beetzweg.

© Ottmar Winter PNN

Die vor zwei Jahren verstorbene Leserin Eva Matysiak schrieb den PNN 2015, die Betonklötze im Pilz-Design seien in den 1940er Jahren als Bunker für die Siedlung Mitteldamm vorgesehen gewesen. Ihr 88 Jahre alter Witwer Heinz Matysiak, der seit Jahrzehnten dort wohnt, glaubt zu wissen, dass es solche Mini-Bunker sogar in einigen Gärten gab, irgendwann seien sie abgerissen worden. Oder ist doch wahr, was andere Babelsberger vor Jahren mutmaßten: dass die Schutzbunker für die Chefs eines nahen Rüstungsbetriebes gebaut wurden, des Arado-Flugzeugwerks etwa?

Bunker retteten viele Leben

Ein fast vergessener Bunker rettete 1945 in der Bombennacht vom 14. April 1945, als 1593 Menschen starben und 60 000 obdachlos wurden, manchen Potsdamern das Leben. 1944 hatten die Nazis Stollen 100 Meter tief in den Winzerberg vis-á-vis von Sanssouci treiben lassen, 300 Personen fanden Platz. In den 1960er Jahren wurde der Bunker zugeschüttet, damit er nicht einstürzte. 

Schutz unter Weinreben. Am Winzerberg gab es während des Zweiten Weltkriegs ein Bunker für bis zu 300 Potsdamer. In den 1960er-Jahren wurde der Stollen schließlich zugeschüttet.
Schutz unter Weinreben. Am Winzerberg gab es während des Zweiten Weltkriegs ein Bunker für bis zu 300 Potsdamer. In den 1960er-Jahren wurde der Stollen schließlich zugeschüttet.

© privat

Die Feinkosthändlerin Monika Lange-Zibolsky, stellvertretende Vorsitzende des Bauvereins Winzerberg, erzählt, wie der Verein den Berg 2005 wieder herrichtete. Sogar die alten Rundbögen am Eingang wurden mit helleren Steinen nachgemauert, damit erkennbar bleibt, wo er sich befand.

Egal, wie der Krieg weitergeht: Ein neues Programm für den Bunkerbau wird es kaum geben. Armin Schuster, Präsident des BBK, sagte dem Deutschlandfunk Kultur, Bunker seien wegen der „kurzen Vorwarnzeiten bei heutigen Waffen“ kein Allheilmittel. Sinnvoll seien eher Fördermaßnahmen für Schutzräume in Privathäusern.

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