zum Hauptinhalt
Frisch frisiert. Nach vielen Jahren werden um Satzkorn, Fahrland und Kartzow herum erstmals wieder etwa 300 Kopfweiden beschnitten.

© C. Schneider, Naturschutzfonds

Landeshauptstadt: Friseure unterwegs in der Feldflur

Im Potsdamer Norden werden derzeit alte Kopfweiden beschnitten

„Verwachsene Weiber“ hat sie der Schriftsteller Günter Eich einst genannt, Weiber „mit zottigem Kopf“. Gemeint waren damit die Weiden, speziell wohl die Kopfweiden. Noch gehören sie, die von Natur und Mensch geformten Gestalten, zur Landschaft um Potsdam. Doch sie erscheinen wie Relikte aus alter Zeit. Sozusagen als die Quastenflosser der Kulturlandschaft.

In Potsdams nördlichen Gefilden sind jene „verwachsenen Weiber“ recht zahlreich zu Hause. Satzkorn, Fahrland, Kartzow: Hier ist ein kleines Eldorado für die Damen mit dem zottigen Haar. In diesen Wochen werden viele von ihnen zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder einem Friseur vorgestellt: Sie werden beschnitten. Alle sieben bis zehn Jahre sollte ihr Austrieb eigentlich gebändigt werden, erzählt Anett Franz von der Stiftung „Naturschutzfonds Brandenburg“. Doch viele der Exemplare, die beispielsweise zwischen Kartzow und Satzkorn die Felder zieren, seien schon 30 oder 40 Jahre nicht mehr beschnitten worden, schätzt Jan Bornholdt vom „Verein für Landschaftspflege Potsdamer Kulturlandschaft“.

Bornholdts Verein hat sich in den vergangenen Monaten dafür stark gemacht, dass in diesem Winter endlich einmal wieder die „Friseure“ durch die Feldflur ziehen und die knorrigen Weiden zurechtstutzen. 78 000 Euro kostet der Friseurbesuch bei den Weiden in Satzkorn, Fahrland, Kartzow und Grube.

Doch der Landschaftspflegeverein, dessen stellvertretender Vorsitzender Bornholdt ist, muss diese Kosten nicht selbst aufbringen. Er hat sich Finanziers gesucht: Fast 60 000 Euro trägt das brandenburgische Landesamt für ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung. Die übrigen knapp 20 000 Euro übernimmt die Stiftung „Naturschutzfonds Brandenburg“. Die Fördermittel sind Zuschüsse, müssen vom Verein also nicht zurückgezahlt werden. Der Verein führt den Baumschnitt jedoch nicht selbst durch. Er hat eine Landschaftsbaufirma mit den Arbeiten beauftragt. Nach Angaben von Anett Franz vom Naturschutzfonds werden diese Arbeiten komplett von den Fördermittelgebern bezahlt. Der Landschaftspflegeverein hat nur den organisatorischen Aufwand.

Aber warum werden die Weiden heute überhaupt noch beschnitten? Die Weidenzweige sind schließlich längst nicht mehr so begehrt wie früher, als man für sie allerlei Verwendung hatte. Jahrzehntelang ungepflegte Kopfweiden seien windbruchgefährdet, erklärt Franz. Wenn einmal damit begonnen wurde, einen Baum zu beschneiden, müsse man dies von Zeit zu Zeit wiederholen. Je älter die Bäume werden, desto zerklüfteter und knorpeliger werden ihre Stämme. „Zerlumpt sind ihre Röcke“, dichtete Günter Eich. Die derart geschundenen alten Damen können riesige emporragende Äste oft nicht halten. Sie brechen dann leicht auseinander. Darum der Rückschnitt.

Doch nicht nur die alten Weiden werden derzeit beschnitten. Laut Bornholdt bringe man auch neue Steckhölzer in die Erde, also Weidenruten, aus denen später Bäume werden. Einschließlich der Steckhölzer arbeite man in diesem Winter an etwa 300 Bäumen, so Bornholdt. Laut Thomas Kuhlow, in der Potsdamer Stadtverwaltung für den Naturschutz zuständig, bleibe ein Großteil der abgeschnittenen Äste zwischen den betagten Weiden liegen, um den Artenschutz zu gewährleisten. Dies sei eine „naturschutzfachliche Auflage“. Kleintiere sollen im Geäst zwischen den alten Damen ein neues Zuhause finden. „Die Läuse nisten im Zopf“, dichtete Lyriker Eich. Holger Catenhusen

Zur Startseite