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Landeshauptstadt: Frau Babelsberg

Von der Hoteldisponentin zur kaufmännischen Leiterin: Marlies Deponte arbeitete 40 Jahre bei den Babelsberger Filmstudios – eine Karriere, wie sie selten geworden ist

Die sechste Etage war für den Film reserviert: Die Defa-Studios hatten seinerzeit im Interhotel – dem heutigen Mercure – ein ganzes Stockwerk permanent gemietet. Und Marlies Deponte buchte Stars und Filmteams aus dem In- und sozialistischen Ausland dort ein. „Disposition der Hotelzimmer“ hieß ihre erste feste Stelle bei den Babelsberger Studios. 1975 trat die damals 25-Jährige den Dienst an, als junge Mutter vor allem froh über die geregelten Arbeitszeiten – beim Film sonst die Ausnahme.

Heute kann Marlies Deponte auf eine Studio-Karriere zurückblicken, wie sie selten geworden ist in Babelsberg: 40 Jahre war die Potsdamerin in der Traumfabrik beschäftigt – zuletzt als kaufmännische Leiterin des Art Departments, zu dem die Kulissenbauer und der Requisitenfundus gehören. Jetzt verabschiedete sich Marlies Deponte mit 65 Jahren in den Ruhestand.

Und das soll ein Thema für die Zeitung sein? Marlies Deponte zögert mit der Zusage für ein Gespräch. Im Mittelpunkt zu stehen ist nicht ihre Sache. So wie sie auch in den 40 Jahren beim Film für die Öffentlichkeit unsichtbar dafür gesorgt hat, dass berühmte und weniger berühmte Regisseure und Szenenbildner ihre Visionen umsetzen konnten. Wie zuletzt Wes Anderson mit seinem „Grand Budapest Hotel“. Die vier Oscars, die die Tragikomödie in Hollywood verliehen bekam, machen auch Marlies Deponte stolz. Besonders der Oscar für das Produktionsdesign – der Ritterschlag für die Arbeit des Babelsberger Art Departments. „Eine kleine Krönung zum Schluss“, sagt Marlies Deponte und lächelt.

Dass sie zum Film gehen würde, das sei ihr schon früh klar gewesen: „Wir haben schon während der Schulzeit gejobbt als Kleindarsteller“, erzählt die gebürtige Potsdamerin. Für einen der künstlerischen Berufe fühlte sie sich nach dem Abi mit Berufsausbildung – „heute würde man sagen Industriekauffrau, damals hieß es Industriekaufmann“ – aber nicht berufen. „Bei mir war es eher die soziale Ader, ich wollte mit Menschen arbeiten.“ 1969 begann sie das Studium der Film- und TV-Produktion an der Babelsberger Filmhochschule. In dieser Zeit lernte sie auch ihren Mann Hans-Jürgen Deponte, einen Szenenbildner, kennen.

Dieses Jahr werden die Depontes ihren 44. Hochzeitstag feiern – „das ist für eine Film-Ehe schon etwas“, sagt Marlies Deponte. Denn Feierabend und Wochenende sind Fremdworte, wenn ein Filmdreh läuft. Dann sind die Mitarbeiter wochenlang eingespannt, mitunter auch im Ausland – eine Bewährungsprobe für jede Ehe und Herausforderung für das Familienleben. Ihre Tochter bekam Marlies Deponte noch während des Studiums. Die feste Stelle als Hoteldisponentin kam daher gelegen. Etwa drei Jahre lang koordinierte Marlies Deponte die Unterbringung der Filmleute für die Defa. Dann fragte Studiochef Gert Golde, ob sie nicht lieber Filmgeschäftsführerin werden wollte: „Sie haben doch studiert!“

Einen solchen Filmgeschäftsführer, von denen es beim Studio rund ein Dutzend gab, bekam jede Filmproduktion. „Man war der Buchhalter der Produktion“, erklärt Marlies Deponte. Ein Bürojob war das nicht: „Man bezahlte ja alles mit Bargeld – jeder, vom Schauspieler bis zum Taxifahrer, hat jeden Tag sein Geld in bar bekommen.“ Durchschnittlich 30 000 DDR-Mark zahlte Marlies Deponte pro Tag aus, fuhr mit dem Geld auch zu Dreharbeiten auswärts. Die Starschauspieler erhielten um die 500 DDR-Mark, in Einzelfällen sogar 1000 DDR-Mark pro Drehtag. Einmal war sie mit der Rekordsumme von 750 000 DDR-Mark in der Tasche unterwegs. Angst vor Überfällen habe sie nie gehabt, sagt sie. Und es passierte auch nie etwas.

Geld, das war bei der staatlichen Defa kein Problem – dafür haperte es oft am Material. Deswegen sei das Studiogelände zum Beispiel mit Magneten abgefahren worden, um heruntergefallene Nägel zur Wiederverwendung aufzusammeln, erinnert sich Marlies Deponte. Über die Qualität vieler Defa-Produktionen macht sie sich heute keine Illusionen. Die Filme, an die sie sich gern erinnert, die sind aus der Zeit kurz vor oder während der Wende: „Treffen in Travers“ von und mit Michael Gwisdek zum Beispiel, „Stein“ von Egon Günther oder „Die Architekten“ von Peter Kahane.

Die Wende machte sich im Studio zuerst mit einer Litfaßsäule bemerkbar, erzählt Marlies Deponte. Irgendwann im Herbst 1989 wurde sie vor der Kantine aufgestellt: „Da konnte jeder seine Befindlichkeiten dranschreiben.“ Berechtigte Kritik landete neben anonymen Beschuldigungen, Marlies Deponte las jeden Tag – „eine verrückte Zeit“, sagt sie.

Filme sind weiter gedreht worden. Bis unter der Treuhand die erste große Kündigungswelle begann. Auch Marlies Deponte hatte schon den blauen Brief, als sie gefragt wurde, ob sie nicht beim neuen Ausstattungszentrum, das Kulissenbauer und Requisitenfundus vereinigen sollte, dabei sein wolle. „Da hab ich meine Abfindung wieder eingezahlt und die Arbeit ohne Unterbrechung aufgenommen“, erzählt sie. Kaufmännische Leiterin wurde sie für die Abteilung, die heute den internationaleren Namen Art Department trägt.

Es begannen wieder Lehrjahre für Marlies Deponte und andere gestandene Kollegen: „Wir haben gelernt, wie die US-Amerikaner arbeiten.“ Dazu gehörte die Tatsache, dass der Kunde – internationale Regisseure und Szenenbildner – König sein musste, wenn man auf weitere Aufträge hoffen wollte. „Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, das war die Defa nicht“, sagt Marlies Deponte. Sie war dabei unter anderem für Aufträge, Organisation und die Rechnungslegung zuständig.

1998 kam mit dem Kriegsfilm „Duell – Enemy at the Gates“ die erste große US-Produktion nach Babelsberg, im Jahr darauf mit Roman Polanskis „Der Pianist“ eine Produktion, die weltweit viel Anerkennung erfuhr. Für die Mitarbeiter in Babelsberg seien solche Erfolge wichtig, denn sie zeigten, dass die Babelsberger Filmhandwerkstradition hollywoodtauglich ist. „Eine schöne Erkenntnis“, sagt Marlies Deponte, die neben Art-Department-Chef Michael Düwel für die Mitarbeiter zur festen Größe geworden ist.

Den Ruhestand will sie nun mit ihrem Mann und Kater Boris genießen, gemeinsam verreisen – und sich ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel für Flüchtlinge. Bei einem Nachbarschaftsprojekt habe sie sich schon erkundigt: „Die brauchen Hilfe bei Behördengängen.“ Papierkram und die Arbeit mit Menschen – für Marlies Deponte die ideale Kombination.

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