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Die Ausstellung in der Nikolaikirche ist bis zum 30. August zu sehen.

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Foto-Ausstellung in der Nikolaikirche: Porträts von Überlebenden der Shoah

Mit dem Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion ab Juni 1941 begann auch der systematische Völkermord an den Juden Europas. Neun Überlebende werden in einer kleinen Ausstellung proträtiert.

Potsdam - Sechs Frauen und drei Männer, Jüdinnen und Juden, geboren zwischen 1930 und 1941 in der damaligen Sowjetunion: In großformatigen Aufnahmen porträtiert die Fotografin Varvara Smirnova neun Menschen, die die NS-Verbrechen überlebt haben und heute in Brandenburg zuhause sind. Die Ausstellung „Potsdamer Überlebende der Shoah“ wird am Freitag in der evangelischen Nikolaikirche am Landtag eröffnet und ist dort bis zum 30. August zu sehen.

Die Frauen und Männer, die überwiegend aus der heutigen Ukraine stammen, blicken meist ernst in die Kamera. Smirnova zeigt sie in Wohnräumen, auf dem Sofa, vor Gemälden und gerahmten Fotos. Aus ihren Erinnerungen erzählen die neun Potsdamerinnen und Potsdamer knapp auf Deutsch und Russisch auch in einer kleinen Broschüre. „Wir waren so jung“, fasst der Titel die Zeit von Verfolgung, Flucht und Überleben zusammen.

Der Leichnam der Mutter durfte nicht nach Hause gebracht werden

„Zwei ukrainische Polizisten und ein Deutscher nahmen meine Eltern mit“, erzählt dort Galina Karbievska, geboren 1940: „Sie fuhren nach Narodytschi, und auf dem Weg - etwa einen Kilometer hinter unserem Dorf - wurden meine Eltern von ukrainischen Polizisten erschossen. Es war der 22. September 1943.“ Der Leichnam des Vaters sei dann ins Elternhaus gebracht worden. „Bis heute habe ich dieses Bild vor meinen Augen: Wie er da liegt in seinem schönen blauen Anzug und das Blut tropft herunter“, erzählt Karbievska: „Der Leichnam meiner Mutter durfte nicht nach Hause gebracht werden, weil sie Jüdin war.“

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Michail Tkach, Jahrgang 1938, erzählt von der Flucht. Er erinnere sich an Verwandte, die zuerst mitgingen, aber dann beschlossen, umzukehren, weil der Großvater sich an den Ersten Weltkrieg und daran erinnerte, dass es damals keinen Kampf gegen die Juden gegeben habe, beschreibt er die Situation, die zum Verhängnis wurde: „Nach dem Krieg erfuhren wir, dass alle zurückgekehrten Verwandten von den Deutschen erschossen worden waren und nur der Großvater am Leben blieb, da er Tischler war und beim Bau der Kirche helfen musste. Aber 1943 wurden auch alle Bauarbeiter erschossen.“

In Potsdam eine neue Heimat gefunden

Jahrzehnte später entschlossen sich die neun Frauen und Männer dennoch, nach Deutschland auszuwandern. Heute leben sie alle in Potsdam. Die Ausstellung erinnere daran, „dass unter uns Menschen leben, die Opfer der Schoah sind“, betonte Kulturministerin Manja Schüle (SPD): „Freunde, Bekannte, Nachbarinnen, deren Schicksale wir nie vergessen wollen.“ 

Seit 30 Jahren hätten Juden und Jüdinnen aus der früheren Sowjetunion in Potsdam eine neue Heimat gefunden, die ihnen und ihren Kindern Zukunft verheiße, betonte Schüle: „Wir erfahren dieses Vertrauen als Anerkennung unserer Entschlossenheit, niemals wieder in unserem Land solche grauenvollen Verbrechen zuzulassen und aufkommendem Antisemitismus die Stirn zu bieten.“

Projekt hat persönliche Bedeutung für Fotografin

Das Fotoprojekt, das vom brandenburgischen Kulturministerium mit einem Mikrostipendium zur Unterstützung von Kulturschaffenden in der Coronakrise unterstützt wurde, habe für sie auch eine persönliche Bedeutung, schreibt Varvara Smirnova in der Begleitbroschüre zur Ausstellung. Denn ihre Oma väterlicherseits sei Jüdin gewesen. „Früher konnte ich nicht verstehen, warum die Juden immer wieder verfolgt werden und was das bedeutet - Jüdin zu sein“, schreibt sie: „Ich hatte nur die Erzählungen meiner Oma, die immer Angst hatte, offen darüber zu sprechen.“

Bis zum Ende ihres Lebens habe die Großmutter Albträume gehabt, betont die Fotografin, die aus St. Peterburg stammt und in Potsdam lebt: „Es ist wichtig, die Geschichten und Gesichter der Zeitzeugen zu zeigen, weil wir nur so verstehen können wie der Krieg uns alle beeinflusste und was wir daraus lernen können.“ Das Projekt wurde auch von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz unterstützt. (epd)

Yvonne Jennerjahn

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