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Auf Bewährung. Bis 2020 soll der Forschungsreaktor dauerhaft abgeschaltet werden, im Moment wird er repariert.

© Lutz Hannemann

Forschungsreaktor Wannsee: Kritik an Katastrophenplan für Reaktor

Strahlenschutzexperten kritisieren, dass der Forschungsreaktor Wannsee nicht ausreichend auf einen schweren terroristischen Angriff vorbereitet ist. Die Evakuierungszone für den Ernstfall müsse deutlich ausgeweitet werden - auf fast ganz Potsdam.

Strahlenschutzexperten des unabhängigen im gültigen Katastrophenschutzplan überprüft. Mit niederschlagendem Resultat: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Katastrophenschutzplan für einen schwerwiegenden terroristischen Angriff nicht ausgelegt ist“, sagt Christian Küppers vom Ökoinstitut den PNN. Er plädiert für eine beträchtliche Ausweitung der Zone, innerhalb der im Ernstfall und je nach Witterung evakuiert werden könnte. Während der Plan der Betreiber derzeit einen Radius von 2,5 Kilometern vorsieht, geht Küppers von bis zu zehn Kilometern aus. Davon wären fast das komplette Potsdamer Stadtgebiet, aber auch Stahnsdorf, Kleinmachnow und Teltow betroffen. In Potsdam lägen lediglich die nördlichen Ortsteile sowie Nattwerder, Grube und Teile von Golm noch außerhalb. Nach dem gültigen Katastrophenschutzplan des Reaktors ist eine mögliche Evakuierung nur in einem Streifen von Klein Glienicke über Nord-West-Babelsberg bis nach Griebnitzsee vorgesehen.

Forscher rechneten Szenario eines schweren terroristischen Angriffs durch

Grund für die Neubewertung seien die geänderten Randbedingungen, sagte Küppers, der bereits 1990 an einem Gutachten für den Forschungsreaktor mitgewirkt hatte, den PNN. So habe man einerseits das Szenario eines schweren terroristischen Anschlags durchgespielt, andererseits die bisherigen Annahmen zum Verhalten des Reaktors bei einer großen Wärmefreisetzung – etwa durch einen Brand – neu bewertet. Zwar sei ein solcher schwerer Angriff sehr unwahrscheinlich, betont der Nukleartechniker: „Er wäre meines Erachtens aber möglich.“

Konkret müsste dafür nicht nur ein großes Flugzeug über dem Reaktor zum Absturz gebracht werden, es müsste zudem auch ein „Innentäter“ involviert sein, der im Reaktorgebäude zusätzliche Maßnahmen in die Wege leitet. Denn gegen einem Flugzeugabsturz mit anschließendem Brand allein wäre der Reaktorkern durch die umgebenden Betonstrukturen nach Ansicht von Küppers geschützt. Anders sieht es aber aus, wenn jemand beispielsweise dafür sorgt, dass das Wasser aus dem Reaktorbecken entweicht. Dann wäre der Reaktorkern empfindlicher gegen die beim Brand nach einem Absturz entstehende Wärmeentwicklung. „Bei einem solchen Szenario würde es zu höheren Freisetzungen von radioaktivem Material kommen als bisher offiziell angenommen“, sagt Küppers. Um die geltenden Vorschriften für Evakuierungen einhalten zu können, könnte bei einem solchen schweren Fall – abhängig immer auch von den Witterungsbedingungen – der besagte Zehn-Kilometer-Radius aktuell werden. Evakuiert werden muss laut der geltenden Vorschriften dann, wenn die Strahlenbelastung im Freien mindestens sieben Tage lang mindestens 100 Millisievert erreicht, erklärt Küppers. Zum Vergleich: Das Bundesamt für Strahlenschutz sieht für unter 18-Jährige in Ausbildung aktuell einen Grenzwert von einem Millisievert pro Kalenderjahr vor, für Erwachsene, die beruflich Strahlung ausgesetzt sind, gilt der Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr.

Im Ernstfall drohen keine akuten Strahlenschäden, aber ein erhöhtes Krebsrisiko

Ob man das Szenario eines schweren terroristischen Anschlags in die Katastrophenschutzplanung aufnehme, sei letztlich eine Abwägungsfrage, sagt der Physiker. Im Ernstfall könne es ohnehin vorkommen, dass man Maßnahmen ergreifen muss, die über das im Katastrophenplan vorgesehene hinausgehen. „Diese Maßnahmen würden dann aber voraussichtlich größere Schwierigkeiten bereiten, als wenn man das geplant hat.“

Zwar handele es sich bei dem Forschungsreaktor um eine kleine Anlage – ein reguläres Kernkraftwerk hat eine 400-mal höhere Leistung –, räumt Küppers ein: „Dafür gibt es beim Kernkraftwerk aber auch sehr viel mehr Sicherung als bei einem Forschungsreaktor.“ Selbst im Katastrophenfall in Wannsee seien keine Dosen zu erwarten, die zu akuten Strahlenschäden führen würden, so Küppers. Das Risiko für eine späteren Krebserkrankung könnte sich aber erhöhen.

Anti-Atom-Bündnis fordert seit Jahren Neubewertung des Terrorrisikos

Auf eine Neubewertung des Risikos von terroristischen Angriffen hatte das Anti-Atom-Bündnis in Berlin und Brandenburg schon lange gedrungen. Die Sprecherin des Helmholtz-Zentrums hatte vor wenigen Wochen in den PNN dagegengehalten: Als Betreiber der Anlage sei man nicht für die Bewertung von Terrorszenarien zuständig, sondern für den sicheren Betrieb. „Die Schutzmaßnahmen unserer Anlage decken alle äußeren Ereignisse ab. Egal, welchen Auslöser ein Ereignis hat.“ Der Reaktor werde so betrieben, dass er jederzeit sicher sei und das radioaktive Material im Reaktorbecken eingeschlossen bleibe.

Der Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums liefert Neutronen für wissenschaftliche Untersuchungen. In dem Reaktor werde keine Kerntechnik entwickelt oder erprobt, betonen die Betreiber. Anders als ein Atomkraftwerk arbeite der Reaktor bei Normaldruck und niedriger Temperatur. Im Jahr 2019 soll der Reaktor endgültig abgeschaltet werden.

Reaktor soll 2019 planmäßig abgeschaltet werden

Aktuell sind die Sicherheitsfragen zum Reaktor auch im laufenden Potsdamer Bürgerhaushalt: Dort ist der Vorschlag gemacht worden, dass die Stadt gegen die Betriebsgenehmigung für die Anlage klagen soll (PNN berichteten). Ein Stadtsprecher hatte zuletzt gesagt, dass das Anliegen sorgfältig geprüft werde.

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