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Flüchtlingshilfe Babelsberg: Mit Rad und Tat

Der Verein Flüchtlingshilfe Babelsberg ist auf den Brauhausberg gezogen. Wie zuvor bieten die Ehrenamtlichen viele Projekte für Flüchtlinge an – zum Beispiel eine Fahrradwerkstatt.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Male Komann ist noch nicht zufrieden. Das Schutzblech schleift noch am Vorderrad, die Schraube muss nachgezogen werden. Der 20-Jährige setzt ein weiteres Mal an, sein zwei Jahre älterer Freund Motaz Alessa hält das auf einem Montageständer hängende Fahrrad fest. Die beiden stammen aus Syrien, sie sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und leben seit einigen Monaten in der Gemeinschaftsunterkunft am Potsdamer Brauhausberg. Immer am Donnerstag gibt es hier am alten Landtag eine Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge, haben sie gehört. Deshalb sind sie heute hier.

Die Werkstatt ist in einer kleinen Halle neben dem eigentlichen Landtagsgebäude eingerichtet. Reifen, Fahrradrahmen, Werkzeugkisten, Luftpumpen und auch einige schon funktionierende Räder stehen herum; ein paar Baumarktlampen, die an den Rohren baumeln, erhellen den dunklen Raum an diesem trüben Herbstnachmittag notdürftig. Chef hier ist Dirk van Daacke, er leitet die Arbeitsgruppe Fahrradwerkstatt des Vereins Flüchtlingshilfe Babelsberg – ehrenamtlich natürlich. Als die bislang einzige Babelsberger Flüchtlingsunterkunft an der Sandscholle geräumt wurde, sind die meisten Bewohner in diesem Sommer in den alten Landtag umzogen – und der Unterstützerverein gleich mit.

Über 2000 Stunden ehrenamtliche Deutsch-Stunden

Die Haupttätigkeit des Vereins besteht wie schon vor dem Umzug darin, Flüchtlingen Deutschunterricht zu geben. Über 2000 Stunden ehrenamtliche Arbeit wurden dafür seit der Gründung im Oktober 2015 geleistet, wie es im aktuellen Tätigkeitsbericht des Vereinsvorsitzenden Marc Liebscher heißt. Doch auch viele andere Projekte hat die Flüchtlingshilfe Babelsberg auf die Beine gestellt, die 90 Vereinsmitglieder sind in zwölf Arbeitsgruppen organisiert. Neben der AG Sprache gibt es etwa auch eine AG Recht, die Flüchtlinge bei juristischen Fragen berät oder eine AG Begleitung, deren Mitglieder mit den Asylsuchenden zum Arzt oder zu Behörden gehen. Oder eben die AG Fahrradwerkstatt. „Mobilität ist für die Geflüchteten ein wichtiges Instrument, um sich in Potsdam zurechtzufinden und am Stadtleben teilzuhaben“, heißt es vom Verein. Interaktion durch Mobilität, so das Motto der AG.

„Wir bekommen Fahrräder von privaten Spendern oder über das Portal Help To“, sagt Dirk von Daacke. Als im Sommer der Andrang immer größer wurde, habe er auch schon mal günstige Räder über das Internetportal Ebay Kleinanzeigen besorgt. Die Flüchtlinge müssen für die Fahrräder etwa 15 oder 20 Euro zahlen – und im Normalfall selbst dabei helfen, sie auf Vordermann zu bringen. „Wir haben am Anfang auch Fahrräder kostenlos herausgegeben“, sagt von Daacke. „Aber Dinge, für die man etwas zahlt, schätzt man einfach mehr wert.“

Es fehlt an allen Ecken und Enden

Die Arbeitsstunden leisten Dirk von Daacke und seine zwei bis vier Helfer, die ihn jede Woche unterstützen, natürlich unentgeltlich. Und doch fehlt es an allen Ecken und Enden. Neue Schläuche und Mäntel, ein Nachschub an Schrauben oder Ventilen – all das kostet Geld. „Einen Teil der Materialien können wir über den Verein finanzieren“, sagt er. Außerdem gebe es jetzt eine Förderung durch die Stadt Potsdam. Unerwähnt will er auch die Arbeiterwohlfahrt (Awo) nicht lassen. Sie betreibt die Unterkunft am Brauhausberg und hat sich darum gekümmert, dass der Verein nicht nur ein eigenes Büro im Landtagsgebäude bekommt, sondern auch die Halle als Werkstatt nutzen kann.

Vieles hat Dirk von Daacke auch aus eigener Tasche beigesteuert, zum Beispiel einen Großteil des Werkzeugs. „Mein verstorbener Vater war ein großer Hobby-Bastler“, erzählt er. Von ihm hat der 54-Jährige vieles geerbt, was jetzt in der Flüchtlingswerkstatt eingesetzt wird. Von seinem Vater habe er auch viel über Fahrräder gelernt, sagt von Daacke. Und auch später bestand keine Gefahr, aus der Übung zu kommen: „Ich habe drei Kinder – da ist ständig was zu reparieren“, sagt er lachend.

Im Fünf-Minuten-Takt kommen Leute vorbei

Viel Zeit zum Erzählen hat Dirk von Daacke allerdings nicht, im Fünf-Minuten- Takt kommen jetzt Menschen in die Werkstatt, die etwas von ihm wollen. Ein etwa elfjähriger Junge hat einen platten Reifen. Das Vorderrad auszubauen, das schafft er noch alleine, doch beim Mantelaushebeln braucht er Hilfe. Eine Familie sucht hingegen ein neues Rad für die kleine Tochter. Zwei Kinderfahrräder hat von Daacke gerade zu vergeben, doch eines ist schon zu klein, das andere noch zu hoch. Ob man den Sattel herunterschrauben kann? Und ein anderer junger Mann war schon letzte Woche da. Ob es jetzt ein Rad gibt, das er kaufen kann?

Dirk von Daacke lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, hört geduldig jedem zu und arbeitet ohne Hektik eine Sache nach der anderen ab. „Jetzt ist gerade vergleichsweise wenig los“, sagt er. „Im Sommer kamen hier manchmal zehn Leute gleichzeitig rein.“

Es gibt jetzt auch einen Spielplatz am Kreml

400 Menschen leben mittlerweile in dem alten Landtag, der wegen seiner Vergangenheit als Sitz der SED-Bezirksleitung im Volksmund „Kreml“ genannt wird. Einst war er vor allem für Familien gedacht, doch nun sind eben auch die knapp 100 Männer aus der Sandscholle hier. Die beiden Gruppen werden räumlich weitestgehend getrennt – die Zimmer liegen an verschiedenen Enden des riesigen Gebäudes, sogar getrennte Küchen gibt es. Die Sanitär-Container stehen immer noch auf dem Hof – obwohl es mittlerweile auf allen Etagen Duschen und Toiletten gibt. Aber daneben gibt es jetzt einen neuen Kinderspielplatz.

Auch wenn es jetzt kühler ist, will Male trotzdem Fahrrad fahren. In Syrien hatte er keines, nein. „Dort ist es viel zu hügelig“, sagt er und macht eine Wellenbewegung mit der Hand. Das Schutzblech schleift jetzt nicht mehr, von Daacke wirft noch einen abschließenden Blick auf das Fahrrad. Dann heben Male und Motaz es vom Ständer und schieben es hinaus in den Nieselregen. Drinnen warten schon drei weitere junge Männer auf Dirk von Daacke.

Die Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge hat immer donnerstags von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Fahrradspenden oder Helfer sind herzlich willkommen

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