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Zwei Zimmer, Wohnküche, Bad. Lange haben Amin und seine Frau Reem auf eine eigene Wohnung gewartet, Anfang Oktober war es endlich so weit. Jetzt können sie wieder Gäste empfangen – und sie an ihrem eigenen Tisch bewirten. Zuvor hattedie Familie zu dritt in einem einzigen Zimmer gelebt.

©  Andreas Klaer

Flüchtlingsfamilie in Potsdam: Ein eigenes Zuhause

Endlich hat der syrische Flüchtling Amin Aljarmakani, den die PNN regelmäßig begleiten, eine eigene Wohnung für sich und seine Familie gefunden. Und nicht nur das.

Von Katharina Wiechers

Fast neun Monate ist es nun her, seit die PNN das erste Mal über Amin Aljarmakani berichteten. Der 31-jährige Syrer war nach den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht zu einer Art Sprachrohr für die Flüchtlinge in Potsdam geworden, indem er einen offenen Brief geschrieben hatte. Darin hatte sich Amin Aljarmakani von den Taten distanziert, Hunderte folgten seinem Aufruf und unterschrieben. Seitdem haben die PNN ihn immer wieder getroffen und berichten in unregelmäßigen Abständen über sein neues Leben in Potsdam. Im Mai konnte er seine Frau und seinen zweijährigen Sohn Allith aus Damaskus nachholen, im Juli konnte er über seine Fortschritte im Deutschkurs berichten, der endlich begonnen hatte. Seitdem hat sich einiges getan bei der kleinen Familie.

Endlich können Amin und Reem ihre Gäste in ihren eigenen vier Wänden empfangen. Es gibt Tee und Kuchen, der kleine Allith spielt auf dem großen Teppich im Wohnzimmer. Über vier Monate hat die kleine Familie auf engstem Raum gelebt, im umgebauten Arbeitszimmer einer Babelsberger Familie. Seit etwa einem Monat haben sie nun aber eine eigene Wohnung, drei Zimmer in der sogenannten Nutheschlange.

Überglücklich über die eigene Wohnung

Manche Potsdamer Freunde hätten die Stirn gerunzelt, als sie die Adresse im Zentrum Ost genannt hätten – so nah an der Nutheschnellstraße, sagt Amin. „Für die Potsdamer ist es vielleicht wichtig, in welchem Teil der Stadt sie wohnen“, sagt er. „Für uns nicht.“ Er und seine Frau seien überglücklich über die schöne Wohnung. Die Schnellstraße sei laut, klar. Aber nach hinten raus sei es umso schöner, Allith könne dort im Sommer gut spielen.

Die Wohnungseinrichtung ist schon fast komplett. Einen Teil konnte sich die Familie mit der Summe kaufen, die das Jobcenter beim Erstbezug einer Wohnung stellt. Anderes bekamen sie von Freunden geschenkt. Mehrere Teppiche liegen jetzt auf dem Boden, ein gemütliches Sofa, eine Schrankwand und ein großer Esstisch stehen im Wohnzimmer.

Eigentlich müsste man Wohnküche sagen, aber die Küche ist das einzige, was noch fehlt. Der Wasserkocher für den Tee steht noch auf dem Boden, Töpfe und Pfannen kommen auf eine elektrische Herdplatte, nur eine kleine Spülinsel steht einsam in der Ecke. Amin ist noch dabei, eine günstige Küche zu suchen. Und eine, die passt – die Wohnung in einem einstigen Vorzeigebau kommt schließlich fast ohne rechte Winkel aus.

Nach wie vor enger Kontakt zur Babelsberger Familie

Mit der Babelsberger Familie, die sie so lange aufgenommen hat, seien sie immer noch in engen Kontakt, erzählen die beiden. Vor allem den kleinen Allith vermisse das Ehepaar sehr. Schon oft seien sie seit dem Umzug zu Besuch gewesen.

Nicht nur die Suche nach einer Wohnung war nach Monaten voller Auf und Abs endlich erfolgreich – ein Appartement in Babelsberg bekam die Familie kurzfristig doch nicht –, auch einen Kita-Platz für Allith gibt es nun, wenigstens vorübergehend. Eine Potsdamer Kita hat sich bereit erklärt, den Jungen kostenfrei aufzunehmen, während Reem den Integrationskurs besucht. Vergangenen Montag hat Reem mit der Eingewöhnung begonnen, bisher laufe es sehr gut, sagt sie. Allith habe nicht geweint, als sie gegangen sei, und mit den anderen Kindern spiele er schön. Mit der Sprache gibt es keine Probleme. „Die Erzieherin versteht er besser als ich“, sagt die Mutter stolz. Genannt wird er in der Kita schlicht „Leo“, Allith, gesprochen mit einer Art britischen „th“ am Schluss, sei für die anderen zu kompliziert. „Leo“, wiederholt der Kleine mit den schwarzen Korkenzieherlocken und grinst die Gäste verschmitzt an. Nur mit dem Mittagsschlaf habe es bislang noch nicht geklappt, berichten die Eltern. Sie hoffen, dass sich das bald ändert. Am morgigen Mittwoch fängt schließlich schon Reems Kurs an.

An der Volkshochschule Potsdam hat sie einen gefunden. Jeden Vormittag von 8.30 bis 13.30 Uhr wird sie dort Deutsch lernen, etwa sechs Monate lang. Anschließend kommt der sogenannte Orientierungskurs, in dem es unter anderem um die deutsche Rechtsordnung, Geschichte und Kultur oder gesellschaftliche Werte geht.

Gefallen an der Schauspielerei

Amin hat schon vor einigen Monaten mit dem Kurs begonnen, er steht jetzt am Ende des Sprachkurses. Am 7. November beginnt für ihn der einmonatige Orientierungskurs. Wie es danach weitergeht, weiß er noch nicht genau. Dass er in seinem Beruf arbeiten kann, hat er schon so gut wie abgeschrieben – in Damaskus war er in der Pressestelle der syrischen Anwaltskammer tätig. „Wenn ich etwas in diese Richtung in Deutschland machen wollte, müsste ich die Sprache perfekt beherrschen“, sagt er. Verständigen kann Amin sich mittlerweile gut, doch „professionelles Schreiben“ liegt für ihn noch in weiter Ferne. Er könnte sich vorstellen, eine Ausbildung zu machen, vielleicht als Fotograf oder Kameramann, sagt er.

Auch an der Schauspielerei hat er Gefallen gefunden, seit ein paar Wochen erarbeitet und probt er am Hans Otto Theater gemeinsam mit anderen Flüchtlingen für das Stück „Gehen und Bleiben“. „Ich hätte nie gedacht, dass mir Theater so viel Spaß macht“, sagt er. Im März 2017 soll das Stück zu sehen sein (PNN berichteten).

Reem weiß noch nicht, wo sie ihre berufliche Zukunft sieht. Sie ist gelernte Juristin, doch das deutsche und das syrische Rechtssystem dürften gravierende Unterschiede aufweisen. Sie will jetzt erstmal den Deutschkurs beginnen. Und eine Küche finden. Schritt für Schritt.

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