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Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos).

© Andreas Klaer

Flüchtlinge in Potsdam: „Wir schaffen das“

Die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger spricht im PNN-Interview über die Herausforderungen der Flüchtlingskrise für Potsdam – und die Stimmung in der Stadt.

Frau Müller-Preinesberger, der Ton bei den Anwohnerversammlungen zu Flüchtlingsunterkünften in Potsdam ist rauer geworden, in Drewitz wurden Redner direkt niedergeschrien. Enttäuscht Sie das?

Ich würde das gar nicht so deutlich bestätigen. Sicher ist es eine große Herausforderung, da ruhig zu bleiben, auch angesichts der persönlichen Angriffe. Das war aber weder erschreckend, noch neu.

Inwiefern?

Wir hatten auch in der Vergangenheit, zum Beispiel bei der Grotrianstraße am Stern, schwierige Bürgerversammlungen mit teilweise unsachlichen Äußerungen. Es hat sich dann aber gezeigt: Schon bei der zweiten Veranstaltung war die Stimmung viel besser. Und wenn wir den Standort heute anschauen, da gibt es kein Vertun. Ich glaube, dass bei den Versammlungen Ängste, Unwissenheit, Befürchtungen, auch manipulierte Meinungen zum Ausdruck kommen, denen wir nur in einer Form begegnen können: Indem wir immer wieder für Information sorgen, aufklären und Gesprächsbereitschaft signalisieren.

Was heißt das für Drewitz?

Wir werden die Bürgersprechstunden, die wir seinerzeit am Stern vorgeschlagen haben, auch in Drewitz anbieten. Wir möchten, dass die Bürger, die vielleicht unzufrieden aus dieser Versammlung rausgegangen sind, merken: Wir sind vor Ort. Dann können wir viel erreichen.

Was macht Ihnen momentan mehr Sorgen: Die Unterbringung der Flüchtlinge oder die Befürchtung, dass Potsdam sein freundliches Gesicht in Sachen Willkommenskultur verlieren könnte?

Ich glaube nicht, dass Potsdam sein freundliches Gesicht verliert. Ich würde es auch nicht so interpretieren, dass sich das Stimmungsbild dreht. Denn es ist eine große Unterstützung und Hilfsbereitschaft vorhanden. Bei den Bürgerversammlungen waren bisher überall – auch in Drewitz – sofort auch Menschen da, die gefragt haben, wie sie sich einbringen können. Diese Hilfsbereitschaft ist nicht nur spontan, sondern dauerhaft. Und sie trägt. Was wir uns aber nach Babelsberg klar vorgenommen haben ...

... dort musste am Montag die geplante Bürgerversammlung abgesagt werden, weil der Raum zu klein war.

So etwas darf nicht nochmal passieren. Wir wussten, dass wir nach Drewitz mit mehr Menschen rechnen mussten. Da müssen wir sorgfältiger werden.

Wo steht die Stadt bei den Unterkünften?

Wir haben die Zielgerade erreicht. Wir haben – nach heutigem Stand – in diesem Jahr insgesamt 1596 Menschen (inklusive der Verpflichtung aus dem Jahr 2014 in Höhe von 140 Plätzen) aufzunehmen. Für 1023 Menschen haben wir eine neue Bleibe gefunden, bis Ende des Jahres müssen noch 573 Menschen untergebracht werden. Die Plätze werden in den nächsten Tagen realisiert. Summa summarum haben wir für 2015 momentan sogar eine Reserve von fast 150 Plätzen – ohne die Caligarihalle, die als Notunterkunft auch noch genutzt werden könnte. Wir gehen also mit einem Plus ins nächste Jahr.

Mit einem Abreißen des Flüchtlingsstroms ist nicht zu rechnen. Welche weiteren Standorte sind im Gespräch?

Wir sind in Verhandlungen über diverse Standorte, über die ich noch keine Details nennen möchte. Wir gehen aber derzeit davon aus, dass wir für 2016 rund 1500 Plätze in der Planung haben. Das sind Plätze in festen Unterkünften, in Neubauten oder umgebauten Gebäuden. Wir haben also nicht mehr die Ausnahmesituation, die wir im September hatten.

Wie sieht es mit dem „Kreml“ auf dem Brauhausberg aus?

Die Verhandlungen laufen. Wir gehen davon aus, dass wir den Alten Landtag 2016 nutzen können.

Das Potsdamer Integrationskonzept sieht langfristig eine Unterbringung in Wohnungen vor

Genau, daran halten wir auch fest.

Wie soll das unter den aktuellen Bedingungen realisiert werden?

Das ist die offene Flanke, die wir jetzt bearbeiten müssen. Es gibt die ersten vorsichtigen Förderprogramme für sozialen Wohnungsbau – die sind aus unserer Sicht nicht ausreichend. Wir werden zusammen mit den Wohnungsunternehmen in Potsdam, auch den privaten, darüber beraten, wie wir sozial vertretbaren Wohnraum – nicht nur für Flüchtlinge – neu schaffen können. Wer baut? Wer nimmt Fördergelder in Anspruch? Was ist angemessener Wohnraum? Da geht es um Quadratmeter und Mietkosten. Wir werden uns auch die Angebote der sogenannten Low-Cost-Häuser genauer anschauen.

Flüchtlinge sind auch Thema im Bildungsbereich. Was passiert an Kitas?

In diesem Jahr konnten wir allen Kindern einen Platz anbieten – und es musste kein deutsches Kind auf einen Platz verzichten, das betone ich gern. Wir haben für die Flüchtlinge schon 2014 einen Puffer eingeplant bei der Kita-Bedarfsplanung. Für 2016 haben wir das ebenfalls gemacht. Wir haben im Herbst die Entscheidung getroffen, den Kitas 240 Euro pro Flüchtlingskind und Monat zur Verfügung zu stellen – für pädagogisches Material, Honorarkräfte, zur Bewältigung dieser besonderen Herausforderung.

Und die Schulen?

Auch der Schulentwicklungsplan wird angepasst – nicht nur wegen der Flüchtlingskinder, sondern auch, weil die Stadt schneller wächst als vorhergesehen. Wir haben derzeit fünf Willkommensklassen und verhandeln mit dem Landesschulamt über zwei weitere. Wir sind auch dabei, die Willkommensklassen mit den sogenannten Bundesfreiwilligendienstlern zu unterstützen, einfach, um mehr Manpower hineinzugeben. Dann sind wir auch beim Thema Schule gut aufgestellt.

Wie sieht es mit der Integration der Flüchtlinge in Arbeit aus?

Wir gehen davon aus, dass etwa 60, 70 Prozent der Flüchtlinge, die derzeit hier sind, erwerbsfähig sind. Das sind derzeit ungefähr 500 Menschen. Von ihnen kommen 40 Prozent nach unserer Einschätzung – die Asylverfahren sind noch nicht abgeschlossen – aus so genannten sicheren Herkunftsländern. Für sie muss eine andere Orientierung erfolgen, da geht es um Rückführung.

Was heißt das konkret?

Ihnen wird erst angeboten, freiwillig auszureisen. Wer sich verweigert, wird über die Ausländerbehörde den Rückführungsbescheid bekommen und abgeschoben.

Was bedeutet das – auch angesichts der Beziehungen, die diese Menschen in Potsdam zu Helfern aufgebaut haben?

Dass notleidende Menschen ihr Land in der Hoffnung auf ein Leben mit besseren Chancen verlassen, ist nachvollziehbar. Aber klar ist auch, dass das kein Asylgrund ist. Den Helfern haben wir immer gesagt, dass dieser Personenkreis keine Bleibeperspektive hat. Trotzdem brauchen die Menschen Hilfe und ich finde es gut, wenn Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler da unterstützen.

40 Prozent ist ein großer Anteil.

Das betrifft die Menschen, die schon hier sind. Bei den Neuankömmlingen hat sich der Anteil geändert: Seit einigen Wochen kommen fast ausschließlich Syrer, Afghanen, Iraker und Menschen aus Afrika an.

Zurück zum Arbeitsmarkt.

Für die Integration der Flüchtlinge haben wir im Bündnis für Beschäftigung eine Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur, dem Jobcenter, den Kammern und mit Betrieben und Bildungseinrichtungen organisiert. Da geht es darum, Abschlüsse anzuerkennen, Kompetenzen festzustellen und die Menschen in eine Ausbildung oder in einen Beruf zu vermitteln. Dazu gibt es Vorschläge von der Universität, der Fachhochschule. Die Arbeitsagentur kümmert sich gemeinsam mit den Kammern um eine Qualifizierung.

Wie steht es um die medizinische Versorgung der Flüchtlinge?

Die Menschen werden im Rahmen der Erstaufnahmebetreuung alle medizinisch untersucht. Dazu gehört auch eine Tuberkulose-Röntgenaufnahme. Das Klinikum hat mir erst gestern bestätigt, dass die Menschen keine schweren Erkrankungen haben, es besteht kein besonderes Infektionsrisiko. Im Krankheitsfall haben sie Anspruch auf ärztliche Versorgung.

Die Flüchtlingskrise ist die bisher größte Herausforderung Ihrer Amtszeit – wie gehen Sie damit um?

Ich bin ja 1986 in Berlin Ausländerbeauftragte geworden, da hatten wir auch eine Flüchtlingssituation – seitdem hat sich viel geändert. Wir erleben heute aus meiner Sicht eine Gesellschaft, die offen ist, anpackt, bereit ist, Willkommenskultur zu leben - und zwar quer durch die Bevölkerungsschichten. Sicher, eine Herausforderung ist es. Aber nach jetzigem Kenntnisstand kann ich sagen: Wir schaffen das.

Das Gespräch führte Jana Haase

ZUR PERSON: Elona Müller-Preinesberger (62) ist seit Juni 2003 Sozialbeigeordnete der Landeshauptstadt Potsdam. Sie ist parteilos. Ihre Laufbahn begann sie 1973 als Stadtinspektoranwärterin in Berlin-Spandau und studierte an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege. 1986 wurde sie im Bezirk Berlin-Spandau Ausländerbeauftragte. Müller-Preinesberger ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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