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Flüchtlinge in Potsdam: "Wir machen es uns nicht leicht, wir müssen über den Winter kommen"

Die Situation in Potsdam ist angespannt: Im PNN-Interview warnt Sozialdezernentin Elona Müller-Preinesberger vor Aktionismus in der Flüchtlingskrise und fordert bessere Abstimmungen zwischen Kommunen und dem Land.

Frau Müller-Preinesberger, seit Wochen steigt die Zahl der Flüchtlinge, auch in Potsdam. Wie kommt die Stadt aktuell damit zurecht?

Wir müssen ganz klar weiterhin von einer angespannten Situation sprechen. Deswegen haben wir vier Standorte für Leichtbauhallen festgelegt, um sicherzustellen, dass die Menschen über den Winter kommen und zwar warm, trocken und vernünftig untergebracht. Wir suchen parallel dazu nach weiteren Standorten für Sammelunterkünfte und halten an dem Ziel kleiner Standorte mit bis zu 100 Personen fest.

Wäre es nicht einfacher, eine Großunterkunft zu suchen oder Turnhallen zu belegen, wie es andere Kommunen machen?

Nein, es ist zwar eine große Herausforderung an die Verwaltung, viele Standorte zu finden. Aber für mich ist die erfolgreiche Integration in die Nachbarschaften wichtig. Nur mit kleinen Unterkünften ist es möglich für die Anwohner, auch einen Zugang zu finden zu den Menschen. Das wäre bei einem Standort mit 1000 Plätzen viel schwieriger.

Der Main-Taunus-Kreis in Hessen hat am Freitag den Katastrophenfall ausgerufen, um dadurch einfacher Personal aktivieren zu können. Haben auch Sie über den Katastrophenfall nachgedacht?

Bis jetzt brauchen wir das nicht. Ich weiß, dass das Land darüber nachgedacht hat, weil damit auch die Entscheidungswege schneller werden. Wir sind in Potsdam gut aufgestellt durch die AG Asyl, in der alle Fraktionen vertreten sind. Die AG tagt jetzt alle 14 Tage. Wir haben relativ zügige Entscheidungswege. Auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) ist ständig eingebunden. Ich schließe den Katastrophenfall nicht gänzlich aus. Eine solche Entscheidung darf aber nicht aus Aktionismus getroffen werden.

Wie ist die Kommunikation auf Landesebene?Vergangene Woche gab es ja eine Gesprächsrunde im Innenministerium mit allen Kreisen und kreisfreien Städten?

Es hat auf Landesebene zum Teil nicht die ganz schnellen Entscheidungen gegeben. Es gab auch die Kritik an einem mangelnden Miteinander von Land und Kommunen. Die Nerven liegen bei vielen Mitarbeitern blank. Für uns ist wichtig, die Informationen möglichst sofort zu bekommen. Hier muss die Kommunikation direkter abgestimmt werden.

Wie viele Flüchtlinge kommen dieses Jahr noch?

Wir haben jetzt knapp 900 Menschen untergebracht und rechnen noch mit mindestens 600. Richtig festlegen kann und will sich da aber niemand. Die Zahlen in Bayern sind zuletzt etwas gesunken. Das ist aber ein bisschen wie Fischen im dunklen Teich. Fest steht: Bevor jemand obdachlos in der Stadt wird, müssen wir vorbereitet sein und Kapazitäten schaffen.

Was hat sich durch die Potsdamer Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt geändert?

Das kam sehr plötzlich. Geändert hat sich dadurch aber nichts. Wir wollen, dass es eine echte Erstaufnahme wird, dass die Asylbewerber hier registriert werden und Anträge stellen können. Es geht nicht, dass die Flüchtlinge von Potsdam aus dauernd nach Eisenhüttenstadt fahren müssen. Wenn man weiß, was so eine Fluchtsituation bedeutet, muss man überlegen, was man den Menschen zumutet, wenn sie hier ankommen.

Muss die EU, die Bundesregierung den Zuzug an Flüchtlingen begrenzen?

Die Diskussion verschärft sich bundesweit. In Potsdam habe ich das aber noch nicht gehört. Manche sagen, es sei genug. Flüchtlinge sind aber auch Menschen, die Angst um ihre Kinder haben, um ihre Eltern, um alte Menschen und die in Sicherheit leben wollen.

Das linksalternative Kulturzentrum Freiland hält die Unterbringung in den Leichtbauhallen nicht für menschenwürdig.

Auch für uns sind Leichtbauhallen die zweite und dritte Wahl. Auch wir wollen die Menschen anders unterbringen, am besten in Wohnverbünden. Neubauten wie an den Kopfweiden sind auch in Ordnung. Das schaffen wir aber nicht so schnell. Der Winter steht vor der Tür und da müssen wir auf Leichtbauhallen zurückgreifen, damit wir die Menschen nicht in Turnhallen oder Zelten unterbringen müssen. An dieser Stelle muss man deutlich sagen: Wir machen es uns nicht leicht, wir müssen über den Winter kommen.

Jetzt hat Freiland die Anwohnerversammlung für die Leichtbauhallen abgesagt. Gibt es da noch mal Gespräche?

Ja, unbedingt. Nach der Aktion werde ich diese Woche das Gespräch suchen. Die Stadt wird hier kritisiert, aber es ist der Jahreszeit und der Not geschuldet. Ich kann nicht Don Quijote spielen, sondern muss mich doch der Realität stellen. Wir wollen die Leichtbauhallen möglichst schnell wieder leerziehen. Aber ich muss sie erst mal haben und zwar jetzt, bevor der Winter kommt.

Sie werben um Vertrauen bei Freiland?

Natürlich. Wir brauchen Vertrauen in dieser Stadt. Wir brauchen Vertrauen an allen Standorten für Flüchtlingsunterkünfte. Wir müssen auch selbst präsent sein und uns der Diskussion stellen. Es ist toll, dass über alle Fraktionen hinweg Konsens in der Stadtverordnetenversammlung (SVV) beim Thema Flüchtlinge besteht. Das macht es aus.

Das Interview führte Stefan Engelbrecht

ZUR PERSON: Elona Müller-Preinesberger, 62, ist Sozialbeigeordnete in Potsdam. Die parteilose Kommunalpolitikerin hat zwei Kinder und ist verheiratet. 

Stefan Engelbrecht

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