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Flüchtlinge in Potsdam: Nur ein Klischee

In Potsdam-West sorgt man sich, dass ein neues Flüchtlingsheim mehr Straftaten bedeutet. Doch im Stadtteil Schlaatz, in dem es seit 2009 ein Asylheim gibt, ist die Kriminalität laut Polizei konstant geblieben

Schlaatz/ Potsdam-West - Das Vorurteil ist bekannt: Asylbewerber seien häufig kriminell, ein Flüchtlingsheim in einem Stadtteil führe zu mehr Kriminalität.

Doch die Realität sieht anders aus. Das zeigen den PNN auf Anfrage vorliegende Statistiken der Polizei für den Stadtteil Schlaatz. Dort hat die Diakonie 2009 ein Asylbewerberheim in einem Wohnblock An der Zauche eröffnet. Demnach ist die Zahl der Straftaten in dem Stadtteil seit 2008 sogar gesunken, nur im vergangenen Jahr gab es einen leichten Anstieg. „Statistisch hat sich das Asylbewerberheim nicht auf die Kriminalitätsentwicklung ausgewirkt“, sagt Polizeisprecher Christoph Koppe.

In Potsdam müssen aktuell neue Unterkünfte für noch aufzunehmende Flüchtlinge gefunden werden. Die Sozialverwaltung will deshalb 70 Asylbewerber ab Dezember in zwei Wohnblocks in Potsdam-West unterbringen (siehe Kasten). Eine erste Bürgerversammlung vor Ort war – anders als vor der Eröffnung des für 180 Bewohner ausgelegten Asylheims am Schlaatz – ohne Proteste abgelaufen. Allerdings hatten vor allem ältere Anwohner gemutmaßt, nun könnte in Potsdam-West die Kriminalitätsrate steigen.

Die Polizei-Statistik für den Schlaatz kann solche Sorgen entkräften. Demnach registrierte die Polizei am Schlaatz 2008 genau 1277 Straftaten, im ersten Jahr des Asylheimbetriebs noch 1173. Diese Zahl blieb in den nächsten Jahren etwa konstant und stieg erst 2012 auf 1315 Straftaten. Im Vergleich zu 2008 gesunken sind die Diebstahlsdelikte in dem Stadtteil: Und zwar von 370 auf 340 im vergangenen Jahr. Gestiegen ist in den vergangenen fünf Jahren einzig die Zahl der pro Jahr gemeldeten Körperverletzungen von 117 auf jetzt 189. Zugleich wuchs die Bevölkerung am Schlaatz zwischen 2008 bis 2012 von 8900 auf knapp 9000 Anwohner, die Ausländerquote stieg von 9,4 auf 11,4 Prozent – der höchste Anteil, den ein Potsdamer Stadtteil besitzt. Die Stadt hat für die Integration der dort lebenden Ausländer diverse Sozialprojekte finanziert. „Es läuft inzwischen relativ gut“, sagt Hella Drohla vom Potsdamer Migrantenbeirat.

Schlagzeilen wegen Kriminalität am Asylbewerberheim gab es dennoch – etwa wenn vereinzelt Betrunkene vor dem Gebäude randalierten und den Hitlergruß zeigten oder, ebenfalls in Einzelfällen, Flüchtlinge attackiert wurden. In Sorge waren die Bewohner, als im April 2012 im Haus ein Kinderwagen abbrannte.

Generell gilt der Schlaatz als Viertel mit überdurchschnittlich vielen sozialen Problemen – der Anteil der Hartz- IV-Empfänger liegt 18 Prozentpunkte höher als im Potsdamer Durchschnitt. Und im Vergleich zu anderen Stadtteilen ist auch die Kriminalitätsrate am Schlaatz höher. Das zeigt die Polizeistatistik der sogenannten Kriminalitätshäufigkeitszahl (KHZ) für das vergangene Jahr. Dieser Wert errechnet sich aus der Zahl der bekannt gewordenen Delikte bezogen auf 100 000 Einwohner. Für ganz Potsdam liegt er bei 9899 – und für den Schlaatz bei 14 579. Zum Vergleich: Berlin kommt auf 14 144 Straftaten pro 100 000 Einwohner. Doch seien solche Werte für ein Wohngebiet wie den Schlaatz normal, sagt Potsdams Polizeichef Maik Toppel. Auffällig oft würden Schlägereien, Sachbeschädigungen und Betrugsfälle registriert. Gleichzeitig habe aber die Quote der aufgeklärten Straftaten am Schlaatz im vergangenen Jahr bei fast 70 Prozent gelegen – vor fünf Jahren habe diese nur 50 Prozent betragen.

Wie in anderen Kommunen gibt es auch in Potsdam das Phänomen, dass der Anteil der Ausländer, die von der Polizei als Tatverdächtige geführt werden, deutlich höher ist, als es entsprechend ihrem Anteil an der Wohnbevölkerung zu erwarten wäre. Der Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger habe 2012 bei 17,4 Prozent gelegen, heißt es in internen Statistiken der Polizei, die den PNN vorliegen. Bei Diebstahl lag er bei 22,3 Prozent, bei Körperverletzungen bei 14,1 Prozent. Die Ausländerquote in Potsdam liegt bei 4,6 Prozent, es geht um rund 7300 Menschen.

Allerdings müssen auch diese Zahlen differenziert betrachtet werden: Von den in Potsdam im vergangenen Jahr ermittelten 936 nicht aus Deutschland stammenden Tatverdächtigen wohnen viele nicht in der Landeshauptstadt und die meisten sind keine Flüchtlinge, heißt es bei der Polizei zu den internen Zahlen. Demnach kamen 189 Tatverdächtige aus Polen, 118 aus Rumänien und 61 aus der Türkei. Einige Dutzend Tatverdächtige kommen aus Russland, aus der Ukraine, aus Litauen und aus Vietnam.

Die höhere Kriminalitätsrate bei Ausländern wird von Experten etwa mit Sprachproblemen und geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt begründet. Die Arbeitslosenquote bei in Potsdam lebenden Ausländern liegt bei 18,6 Prozent – die Quote für ganz Potsdam beträgt 7,3 Prozent. Zudem gehen auch Vergehen gegen das Aufenthalts- oder Asylbewerbergesetz in die Polizeistatistik ein – im vergangenen Jahr waren das 61 Fälle.

Ab Dezember sollen in Potsdam-West rund 70 Flüchtlinge – vornehmlich Familien – in zwei Wohnblocks in der Haeckelstraße untergebracht werden. Dort sollen sie – befristet für zwei Jahre – Tür an Tür mit alteingesessenen Mietern leben. Für dieses Modell eines sogenannten Wohnungsverbunds sucht die Stadt noch einen Betreiber und hat dazu sechs verschiedene Sozialträger gebeten, ein Angebot zu machen. Die Integration der Flüchtlinge will die Stadt mit Sozialprojekten im Stadtteil unterstützen, dafür sind rund 25 000 Euro eingeplant. Ein ähnliches Konzept hat die Stadtverwaltung bereits bei der Eröffnung des Flüchtlingsheims am Schlaatz praktiziert. Bis 2016 soll die Pro Potsdam ein Haus in der Heinrich-Mann- Allee bauen, in dem Flüchtlinge und Potsdamer gemeinsam wohnen sollen. (HK)

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