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Flüchtlinge in der Erstaufnahme-Zweigstelle Potsdam: Auf Zwischenstation

Die ersten 280 Flüchtlinge sind im Auffanglager Potsdam angekommen. Die meisten haben nichts als ihre Kleider am Leib und sind froh, in Sicherheit zu sein. Und viele wollen so schnell wie möglich weiter.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Maher Barakat will momentan vor allem eines: ins Internet. Seit Wochen ist der 23-Jährige mit seiner 16 Jahre alten Schwester Ruba und dem 18-jährigen Bruder Hadi unterwegs, die Eltern sind in der Heimat Syrien geblieben. Maher will ihnen endlich sagen, dass sie in Deutschland sind, dass es ihnen gut geht, dass sie leben. Als er online ist, spricht er Sprachnachrichten bei WhatsApp für sie auf. „Berlin“ sagt er immer wieder aufgeregt. Ganz richtig liegt er damit nicht: Am Dienstagvormittag sind Maher und seine Geschwister in Potsdam angekommen, in der neuen Erstaufnahmestelle an der Heinrich-Mann-Allee. 

Fünf volle Busse fuhren zu Heinrich-Mann-Allee

Rund 280 Menschen waren es, die am Morgen mit Bussen vom Bahnhof Schönefeld abgeholt und nach Potsdam gebracht wurden. Erwartet worden waren noch etwas mehr, doch der Sonderzug, der in München gestartet war, wurde unterwegs mehrmals angehalten. Offenbar hatten Flüchtlinge die Notbremse gezogen und waren aus dem Zug gestiegen. Womöglich wollten sie zu Verwandten oder Freunden in der Nähe oder aber sich einer Registrierung in Deutschland entziehen, weil sie weiter nach Skandinavien wollen.

Als die fünf vollbesetzten Busse am gestrigen Dienstag auf das ehemalige Regierungsgelände an der Heinrich-Mann-Allee rollten, war es kurz vor halb 11 Uhr. In Empfang genommen wurden sie vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), das die neue Einrichtung unterhält, und von zahlreichen freiwilligen Helfern. Bus für Bus sollten die Menschen aussteigen und sich in einem der ehemaligen Ministeriumsbauten registrieren. „Wir erfassen erstmal den Namen und die Herkunft der Menschen“, erklärte Achim Müller vom DRK. Auch die Religion werde abgefragt: „Wir versuchen zum Beispiel Muslime und Christen nicht im selben Zimmer unterzubringen.“ Außerdem wurde ein erster Gesundheitscheck durchgeführt – etwa ob jemand akutes Fieber oder eine Verletzung hat. Die eigentliche offizielle Untersuchung findet erst in den kommenden Tagen statt, das Klinikum „Ernst von Bergmann“ wird dies übernehmen. Auch der offizielle Asylantrag muss dann noch gestellt werden – am Dienstag war aber noch unklar, ob die Flüchtlinge dafür zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach Eisenhüttenstadt oder Schönefeld fahren müssen oder ob Mitarbeiter nach Potsdam kommen.

Nur Kleider am Leib

Schlafen werden die Asylsuchenden in den ehemaligen Büroräumen der Ministeriumsmitarbeiter – vor einigen Wochen sind diese in die Henning-von- Tresckow-Straße gezogen. Eigentlich sollte die Bundespolizei und die Landesdatenschutzbeauftragte die leeren Häuser an der Heinrich-Mann-Allee künftig nutzen, sagte Finanzstaatssekretärin Daniela Trochowski (Linke) am Dienstag. Dies sei nun vorerst auf Eis gelegt. Nun stehen in den ehemaligen Büros Feldbetten. Sonst befindet sich derzeit nichts in den Räumen, keine Schränke, keine Regale. „Die meisten Menschen haben ohnehin kaum Gepäck dabei“, sagt Müller.

Zum Beispiel Abdalnasr, ein 19-jähriger Syrer. Wie so viele hat er eine dramatische Flucht hinter sich, bis auf die Kleider an seinem Leib hat er nichts bei sich. Gleich zu Beginn wurde er von seinen Eltern getrennt, berichtet er. An der serbisch-ungarischen Grenze wurde er von ungarischen Polizisten übers Ohr gehauen, erzählt er. Sie nahmen ihm seine letzten Ersparnisse weg. Er hofft, dass er nicht lange in Deutschland bleiben muss, sondern schnell nach Holland weiterreisen darf. Seine Eltern seien dort gelandet, das habe er vor einigen Tagen erfahren.

Aus dem syrischen Aleppo nach Potsdam

Nour hingegen will in Deutschland bleiben. Die 30-Jährige ist mit ihrem Mann und der einjährigen Tochter Joly aus dem syrischen Aleppo geflohen. Schon seit dem 31. August ist die kleine Familie unterwegs, zwei Wochen lang davon zu Fuß  – mit einem kleinen Kind eine unvorstellbare Anstrengung. Sie seien wegen des Krieges von zu Hause geflohen, erzählt sie. „Die Kleine hat oft geweint, ständig hat sie Bomben und Schreie gehört“, erzählt sie. Nach Deutschland habe sie gewollt, weil sie gehört habe, dass es hier keinen Krieg gebe und die Menschen friedlich seien. Ein bestimmtes Ziel habe sie nicht. „Hauptsache wir sind in Sicherheit.“ In Hamburg habe sie Bekannte, wirft sie dann noch ein. „Ist das weit weg?“, will sie wissen. Dann muss sie weiter, einer der freiwilligen Helfer bringt Nour, ihren Mann und das Kind in eines der Zimmer – Familien bekommen eines für sich.

Kochgelegenheiten gibt es in den eilig hergerichteten Bauten keine, vorerst übernimmt die Kantine am Standort, später ein Caterer die Verpflegung. Morgens und abends gebe es Büfett, mittags warme Küche, sagt DRK-Mann Müller. Bald werde ein großes Zelt für die Essensausgabe aufgebaut, hofft er. Die Köche seien angewiesen, kein Schweinefleisch zuzubereiten, außerdem wird Fladenbrot gereicht. Am Dienstag gleich nach der Ankunft bekommen die Flüchtlinge sozusagen als Erstversorgung Äpfel, Stullen und Kekse – freiwillige Helfer laufen auf dem Gelände mit Tabletts umher und verteilen auch an die noch wartenden in den Bussen etwas.

Bis 150 Freiwillige helfen vor Ort

Schon seit Montag sind 100 bis 150 Freiwillige vor Ort im Einsatz. Vor der Ankunft der Flüchtlinge haben sie das DRK dabei unterstützt, die Feldbetten aufzubauen und zu beziehen, sie haben Brote geschmiert, Kleiderspenden sortiert und es geschafft, innerhalb kürzester Zeit 30 Dolmetscher zu organisieren. Auch zwei Kinder sind am Dienstag mit ihrem Vater dort, Manuel (13) und Julius (12). „Wir haben den Kindern Fußbälle mitgebracht, die hatten wir noch zu Hause. Und wir haben geholfen, Äpfel zu schnippeln und zu verteilen“, erzählt der Ältere. Viel gesprochen hätten sie mit den Flüchtlingen nicht. Aber eines ist ihnen gleich aufgefallen: „Die Kinder sind viel weniger schüchtern als die Erwachsenen.“ Auch in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten wollen viele Freiwillige helfen – den Flüchtlingen zum Beispiel die Stadt zeigen, Deutschkurse anbieten, sie juristisch beraten.

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Für das große Engagement gab es großes Lob vom DRK: „So viel Hilfe – das habe ich bisher noch nirgends erlebt“, hatte DRK-Mitarbeiter Sven Braune schon am Montagabend gesagt. Und auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der sich am Dienstagmorgen vor Ort ein Bild der Lage machte war, zeigte sich beeindruckt: „Das finde ich nicht nur anrührend, sondern ich bin auch einfach stolz auf diese Stadt.“

Anwohnerversammlung erst am Donnerstag

Unglücklich gelaufen ist hingegen die Kommunikation mit den Anwohnern – beziehungsweise gab es eine solche gar nicht. Erst am morgigen Donnerstag soll eine Anwohnerversammlung stattfinden. Es wäre besser gewesen, das vorher zu machen“, räumt Jakobs ein. „Aber angesichts der Krisensituation bitte ich um Verständnis. Es ging schlichtweg nicht anders.“

Ebenfalls nicht organisiert werden konnten auf die Schnelle genügend sanitäre Einrichtungen. „Der Markt für Duschcontainer ist komplett leergekauft“, erklärte Müller vom DRK. Erst im Laufe der Woche sollen welche in Potsdam ankommen, bis dahin können die Flüchtlinge die sanitären Anlagen in der Turnhalle des benachbarten Humboldt-Gymnasiums nutzen. Wie lange die Menschen, die am Dienstag angekommen sind, an der Heinrich-Mann-Allee bleiben, kann keiner so genau sagen. Laut Gesetz sollten es eigentlich nur drei Monate sein. „Oft dauert die Bearbeitung aber länger“, weiß Müller aus Erfahrung. „Wir richten uns hier mal auf sechs Monate ein.“

Odysee ist noch nicht vorbei

Maher Barakat weiß von diesen bürokratischen Hürden noch nichts – schließlich sind er und seine Geschwister erst seit einigen Stunden in Deutschland. Er will nach Frankfurt am Main und sein Ingenieursstudium beenden, dort hat er einen Freund. „Er hat mir gesagt, dass die beste Universität in Dortmund ist“, sagt er und lächelt. Die Odyssee der drei Geschwister ist in Potsdam also noch nicht zu Ende. Aber sie werden hier eine Pause einlegen. Ob sie wollen oder nicht. (mit Alexander Fröhlich)

Update 16. September, 13.45 Uhr: Auch am Mittwoch werden 150 Flüchtlinge erwartet. Am frühen Nachmittag kamen zwei Busse an, sie haben etwa 60 Menschen nach Potsdam gebracht.

Wer helfen will:

Eine stetig aktualisierte Bedarfsliste zeigt auf, was in den Flüchtlingsunterkünften in Potsdam gebraucht wird >>

Eine Bedarfsliste für die Unterkunft in der Heinrich-Mann-Allee >>

Aktuelle Informationen der Refugees Welcome-Initiative Potsdam: 

Hintergründe und ausführliche Informationen auf dem Blog: http://refugeesinpdm.tumblr.com/

Infos und Koordination von Hilfe über Facebook: https://www.facebook.com/groups/1462977020678317/?fref=ts

Aktuelle Infos über Twitter: https://twitter.com/inpdm

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