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Flüchtlinge: Flüchtlinge in Potsdam: Willkommen?

So viel des Guten: Die neuen Flüchtlinge in Potsdam und Umland sollen sich willkommen fühlen. Doch kann das funktionieren? Und was wird getan? Ein Überblick

Der Wille zu helfen ist groß: Am Staudenhof geben Potsdamer Flüchtlingen Deutschkurse und bei Informationsveranstaltungen zu neuen Heimen in der Stadt sind die Säle bis auf den letzten Platz belegt – viele sind gekommen, um sich einzubringen. Im benachbarten Caputh legen engagierte Bürger bereits E-Mail-Verteiler an, wollen Bastelkurse, Kochabende, Kleiderspenden organisieren – obwohl das ehemalige Wohnheim für Bundeswehrsoldaten im benachbarten Ferch erst in einigen Wochen die ersten 40 Flüchtlinge aufnehmen wird. Ein Begrüßungskomitee soll es geben. Ehrenamtler wollen im Notfall ad hoc noch Schlafsäcke oder warme Mäntel heranschaffen. „Das Interesse der Bevölkerung ist groß“, sagt der Caputher Gemeindepfarrer Hans-Georg Baaske, der die Hilfsangebote mitkoordiniert. „Aber wir wissen nichts: Bekommen sie auch vom Caterer kein Schweinefleisch, wenn sie Muslime sind? Müssen wir Begrüßungsgeschenke machen? Brauchen sie Fahrräder? Oder Zahncreme?“

Selten hat ein Thema in letzter Zeit soviel bürgerschaftliches Engagement wachgerufen wie die derzeitige Situation von Flüchtlingen. Das mag an den dramatischen und traurigen Berichten über die Hunderten Ertrunkenen auf dem Weg von Afrika nach Europa liegen. An den skandalösen Fällen von Misshandlungen von Asylbewerbern in Flüchtlingsheimen oder einfach an der Angst, bloß nicht als ausländerfeindlich zu gelten. Doch so vielfältig die Gründe auch sein mögen: Kommt diese Hilfe eigentlich an? Ist sie überhaupt nötig? Und was brauchen die Menschen bei ihrer Ankunft in Deutschland?

Die Suche nach Antworten führt in die Haeckelstraße in Potsdam-West: Seit einem Jahr leben dort rund 50 Flüchtlinge, aus Tschetschenien, Kamerun, Somalia, Syrien und dem Irak. Sie wohnen Tür an Tür mit Potsdamern in Plattenbauten. Diese sogenannten Wohnungsverbunde sind inzwischen Vorzeigebeispiele für gelungene Integration.

In einer ehemaligen Wohnung im zweiten Stock der Haeckelstraße 46 arbeitet Frederike Hoffmann. Die 26-jährige Sozialpädagogin leitet das Büro des Internationalen Bundes in Potsdam. Sie betreut die Flüchtlinge und vermittelt im Zusammenleben mit deren neuen Nachbarn.  „Wir hatten sehr viele Anfragen von Anwohnern, die Nähkurse anbieten wollten oder einfach mal zum Kaffeetrinken einladen wollten“, sagt Hoffmann.

Aber die Menschen müssen hier erst mal ankommen. Denn für die Flüchtlinge ist die Haeckelstraße vor allem eins: die nächste Station auf einer langen Flucht. Wenn sie in Brandenburg angelangen, werden sie in Eisenhüttenstadt registriert und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angehört, bevor sie auf Heime und Wohnungen im ganzen Land verteilt werden: „Sie müssen sich hier erst mal orientieren“, sagt Hoffmann. „Da braucht man denen gar nicht kommen mit Aktivitäten. Das überfordert sie.“

Nach ihrer Einschätzung nahm in der Anfangszeit des Wohnungsverbundes die Zeit für Gespräche mit den Anwohnern ein gutes Drittel ihrer Arbeit ein. Dann erklärte sie ihnen, dass es den Migranten schwerfällt, sich auf Nachbarschaft einzulassen, dass sie traumatisiert sind von der Flucht und sich eigentlich einfach nur mal ausruhen müssen. Dass es nicht der geeignete Moment für ein Kinderfest sei. Es war der täglich Spagat zwischen dem Lob für gut gemeinte Hilfe und dem Ausbremsen von überschwänglichem Engagement.

„Wir hatten die geilsten Ideen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen Plan“, sagt Robert Segner rückblickend. Der 28-Jährige engagiert sich seit Jahren im Stadtteilnetzwerk und koordiniert das Projekt Neue Nachbarschaften, das mit Ankunft der Flüchtlinge ins Leben gerufen wurde. „Die Erwartungen an das Zusammenleben waren hoch. Wir haben da so eine Ungeduld erzeugt. Wir wollten viele lachende Gesichter sehen.“

Nach einem Jahr weiß Segner, dass die neuen Nachbarschaften Zeit brauchen und Flucht eine „für uns nicht nachvollziehbare Erfahrung“ ist, wie er sagt. „Das ist ein spannungsgeladenes Thema.“ Die Spannung lässt sich nicht auflösen, indem den Flüchtlingen eilig ein Stück Nähe und heile Welt vorgelebt wird. „Diese Spannung müssen wir auch aushalten“, sagt Segner heute.

Erlebt haben er und die Sozialarbeiterin Hoffmann dies bei der ersten Interkulturellen Tafel, die das Stadtteilnetzwerk im Dezember organisiert hat. 30 Nachbarn hatten für die Neuen gekocht. Es sollte ein Fest zum Kennenlernen und Wohlfühlen werden. Bitte nicht traurig sein, hatte Hoffmann im Vorfeld gewarnt, wenn keiner kommt. Es kam keiner. Die Eingeladenen konnten den Sinn einer solchen gemeinsamen Aktion nicht verstehen. Warum sollte sie mit fremden Menschen zusammen essen, habe eine Frau aus Kamerun sie gefragt, erzählt die Sozialarbeiterin.

Inzwischen ist der Durchbruch aber gelungen: Beim letzten Kiezfest Plattenspieler im August waren die Flüchtlinge einfach mit dabei.  Die Frau, die noch vor einigen Monaten keinen Grund sah, eine Einladung zum gemeinsamen Essen anzunehmen, habe angeboten, Tattoos zu malen, wie man es in ihrer Heimat macht. „Da habe ich mich total gefreut, dass das von ihr selbst kam“, sagt Hoffmann. Junge Männer aus Somalia hätten wie selbstverständlich beim Aufbau der Bühne und Technik geholfen, erzählt Segner. Und Essen für die Bands wollten sie auch machen. „So übelst leckere Teigtaschen.“ Segner ist überzeugt davon, dass die Flüchtlinge nicht im Mittelpunkt stehen wollen. Erst als sie gemerkt hätten, dass es ein Fest des gesamten Stadtteils war und nicht ausschließlich für sie, seien viele spontan gekommen.

Doch selbst in der Haeckelstraße stößt die neue Gemeinschaft an alte Grenzen: Für wie lange die Menschen aus den Krisenregionen der Welt mitten unter ihren Nachbarn und inzwischen deutschen Freunden leben, weiß niemand. Morgens um fünf Uhr habe auch die Polizei schon vor der Tür gestanden, sagt Hoffmann. Nicht etwa, weil die Menschen eine Straftat begangen hätten. Sondern weil die Haeckelstraße für manche die Endstation ihrer Flucht ist und sie ohne Vorankündigung in ein anderes Land oder zurück in ihre Heimat abgeschoben werden. Auch das ist die Spannung, die die Anwohner aushalten müssen: Dass sie sich womöglich gar nicht von ihren neuen Nachbarn verabschieden können.

Grit Weirauch

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