zum Hauptinhalt
Seine Heimat Homs gibt es nicht mehr. Murhaf Husam Eddin hat sich in Potsdam eingelebt, ohne seine Wurzeln zu vergessen. Zu denen zählt auch der Widerstand gegen Assad.

© M. Thomas

Flüchtling aus Syrien in Potsdam: Fotos vom Gestern, Videos fürs Morgen

Murhaf Husam Eddin kam als syrischer Flüchtling nach Potsdam, hier lernt er fürs Abitur. Und führt ganz nebenbei einen friedlichen Kampf gegen Assad.

Potsdam - Es sind nur zwei Sätze, die aber eine ganze Geschichte erzählen. „Ich bin Murhaf Husam Eddin und ich bin aus Syrien. Im Namen aller syrischen Flüchtlinge danke ich dem deutschen Volk und der deutschen Regierung für ihr Verständnis und für die Unterstützung.“ Die Worte stehen auf schmalen Papierstreifen. Murhaf Husam Eddin befestigt sie an Rosen, er will sie aus Dankbarkeit an die Menschen in Potsdam verteilen. Erst möchte niemand eine Rose annehmen, die Passanten am Nauener Tor gehen hastig an dem jungen Mann vorbei. Minuten vergehen. Dann nehmen doch ein paar eine Rose an. Manche reden mit dem schmalen jungen Mann, wollen seine Geschichte hören, wo er lebt, wie er nach Deutschland gekommen ist. Eine Traube bildet sich um den 21-Jährigen.

Von der Aktion hat Eddin ein Video gemacht und im Internet geteilt. Die Reaktionen, auch auf der PNN-Facebookseite: durchweg positiv. Es ist nicht das erste Projekt, das der junge Mann auf die Beine gestellt und mit einer Kamera begleitet hat. Die Rosen-Aktion war ihm aber ein besonderes Anliegen. „Es gibt viele Flüchtlinge in Potsdam, in Deutschland“, sagt er. „Die Regierung gibt uns Geld, eine Wohnung. Deutschland gibt mir ein Zuhause.“ Dafür möchte er sich bedanken. Aber nicht nur bei der Regierung, sondern auch bei seinen Mitmenschen. Denn sie helfen ihm manchmal noch direkter, als die Politik es kann.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Als Eddin krank war, klingelte er bei Nachbarn, fragte nach Medizin. „Die haben mir geholfen und nicht danach gefragt, woher ich komme.“ Seit zwei Jahren lebt Eddin in Potsdam, ursprünglich kommt er aus Homs. Die Bilder seiner zerstörten Heimatstadt, einstige Rebellenhochburg, die von Assads Truppen zurückerobert wurde, sind um die Welt gegangen. „Es gibt kein Homs mehr“, sagt der junge Mann, seine braunen Augen weiten sich, das Lächeln verschwindet.

Die Familie musste schnell die Stadt verlassen, im März 2012 war das. Murhaf Eddins Vater war Minister, äußerte im Fernsehen Kritik an Machthaber Baschar al-Assad. „Wir sind gegen Assad. Wir sind für die Revolution“, sagt Eddin stolz. „Wir haben die Revolution gemacht, weil wir Frieden wollten.“ Doch von Frieden gibt es nach wie vor keine Spur.

Nur ein paar Fotos zum Andenken

Die Familie wurde gewarnt, sie solle das Land so schnell wie möglich verlassen. Eine Odyssee folgte. Eddins Mutter und seine zwei Schwestern reisten unter einem Vorwand mit dem Auto ins Nachbarland Jordanien, er selbst floh in den frühen Morgenstunden in den Libanon, nur mit der Kleidung an seinem Körper und ein paar Fotos zum Andenken. Es sind die einzigen Erinnerungsstücke an sein früheres Leben. Vier Nächte schlief er den Bergen Libanons, es war kalt, es lag Schnee, schildert er. Ein Polizist half ihm, nach Jordanien zu gelangen. Eddin traf dort seine Mutter wieder. Jeden Tag wechselte die Familie ihren Aufenthaltsort, war immer wieder auf der Flucht. Der Vater gelangte bald in die Türkei, keiner weiß genau, wie er dorthin kam. Dort traf sich die Familie nach monatelanger Ungewissheit. Murhaf Eddin ging wieder zur Schule. Eigentlich hatte er seinen Schulabschluss schon lange in der Tasche, das syrische Zeugnis musste er aber mit allen anderen persönlichen Dingen zurücklassen. Die Wohnung wurde noch an dem Tag, als die Familie Homs verließ, von Assads Männern zerstört. Seine damalige Freundin, Familienmitglieder und Bekannte wurden bald darauf getötet.

Was hätte Murhaf Eddin erwartet, wenn er in Homs geblieben wäre? „Der Tod“, sagt er. Schweigen. Murhaf Eddin gefiel das Leben in der Türkei, doch es blieb kein langer Aufenthalt. Sein Vater erhielt politisches Asyl in Deutschland und holte seine Familie bald nach. In Potsdam bekam die vierköpfige Familie eine Wohnung. Zum Anfang war es nicht leicht für den jungen Mann. Er wollte dringend Freunde finden, Deutsch lernen, der bohrenden Langeweile etwas entgegensetzen. Er ging auf die Menschen in den Straßen zu. „Willst du mein Freund sein?“, fragte er wildfremde Menschen. Und erntete Skepsis. Durch einen Zufall lernte er aber bald eine junge Frau in Potsdam kennen, sie ist jetzt seine Freundin, mit ihr hat er nun einige Potsdamer Freunde. Mit ihnen spricht er viel Deutsch. Und das macht sich bemerkbar: Obwohl er erst seit zwei Jahren in Deutschland lebt, spricht er fast fehlerfrei. Nur das scharf rollende, langgezogene „R“ gibt einen Hinweis auf seine Herkunft.

Kein Zurück mehr

Murhaf Eddin besucht nun die zwölfte Klasse einer Gesamtschule in Potsdam, will das Abi schaffen, die Sprache macht es ihm aber nicht leicht. Notfalls werde er es im nächsten Jahr noch einmal versuchen. Er träumt von einem Informatik-Studium und will hier bleiben. „Deutschland ist mein Traumland“, sagt er. Auch in Potsdam fühlt er sich wohl, geht mindestens einmal in der Woche im Park Sansoussci spazieren, hält seine neue Heimat fotografisch fest. Zurück kann er ohnehin nicht mehr. Er hat alles verloren: ihm wichtige Menschen, seine Heimat. Wenn Murhaf Eddin vom alten Leben und den Verlusten spricht, wirkt er reifer, als er mit seinen 21 Jahren eigentlich ist.

Sein nächstes Video-Projekt plant er auch schon. Es soll um die Terrororganisation Islamischer Staat, kurz IS, gehen, und warum diese besonders auf junge Menschen so anziehend wirkt. Eddin versteht nicht, warum, vor allem, weil er selbst in Potsdam schon als Terrorist bezeichnet wurde. Der IS und Assad töteten seine Leute. Er will weiter kämpfen, friedlich, aus der Ferne, mit seinen Videos. Gegen Assad und den IS, für die Revolution in Syrien. Er sagt: „Assad wird nicht gewinnen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false