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Landeshauptstadt: Fischen mit dem Küchensieb

Marquardt feiert am Wochenende sein 700-jähriges Bestehen. Die Vorbereitungen für das Fest liefen davor auf Hochtouren. Momentaufnahmen aus dem Leben im Ort

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Es ist ein Eis, das Neugier weckt. Ein Mann steht vor dem Marquardter Lebensmittelgeschäft und genießt es unverkennbar sehr. Vanille-Schoko. Aber das Vanille-Eis ist nicht gewöhnlich weiß, sondern pollengelb. Was ist das für ein Eis, verpackt in einer Plastikschale ohne jede Reklame? „Echtes Marquardter Eis“, sagt Thomas Justin, dessen Nachname nicht mit einem phonetischen A-Laut ausgesprochen werden darf, denn ein Vorfahre Justins kommt aus Frankreich, genauer umschrieben mit: „einen Tagesritt südlich von Paris“. Das Eis macht der 60-Jährige selbst, nach einem geheimen DDR-Rezept, mehr verrate er nicht. Was er aber sagen kann und das in jeder Ausführlichkeit: Sein Vorfahre sei gelernter Korsage- und Harnischmacher gewesen, habe aber 1740 fliehen müssen aus Frankreich, dort angeklagt der Standesschande. „Vielleicht hat er als Schneider beim Maßnehmen eine Dame unsittlich berührt“, denkt Justin, der am Wochenende bei der 700-Jahr-Feier „als Pausenclown“ auftreten wird und das sicher auch gut machen wird, „vielleicht hat er sie auch geschwängert, nicht auszuschließen“.

Zwei Jungs, Kinder von Schaustellern, die für das 700. Ortsjubiläum nach Marquardt gekommen sind, suchen ein Netz. Oder einen Kescher. Justins Laden – 1998 von ihm übernommen, seine Frau ist Verkaufsstellenleiterin, weil sie damals mit 48 keiner mehr einstellen wollte – führt keinen Anglerbedarf. Der frankophile Marquardter, insofern er als Berliner, der seit 1984 in Marquardt ein Wochenendgrundstück hat, als Marquardter durchgeht, will sie zum Hornbach-Markt schicken. Aber so weit weg dürfen sie nicht. Suchend durchkämmen sie den kleinen Laden. Justin will weitererzählen von den 11 000 Nachfahren, die es seit dem sündigen Schneider von seiner Sippe gab. Doch der Kundenstrom reißt nicht ab an diesem Tag, Marquardt ist im Vorbereitungstrubel, Gemeinden werden nicht alle Tage 700. „Einen Merlot“, verlangt ein Mann. Er hätte auch einen Rosenthaler Kadarka haben können, der steht in Augenhöhe auf dem Regal, etwas für Kenner.

Die Jungs sind fündig geworden: Sie legen ein Küchensieb auf den Kassentisch, geeignet für nur kleine Fische, aber sie wollen es damit versuchen. 74 versuchte Einbrüche hat Justin seit 1998 erlebt, erzählt der ehemalige Feuerwehrmann und Ingenieur für technische Gebäudeausrüstung, während er die geschätzten gut hundert Münzen abzählt, die die Jungs für das Edelstahlsieb in die Kassenschale geworfen haben. Versuchte, nicht vollzogene Einbrüche? „Ich habe eine Alarmanlage“, sagt Justin und will dazu gar nicht viel sagen, damit Diebe darin keine Herausforderung sehen und sagt dann doch noch etwas von einem Weidezaungenerator, der nur wenige Mikroampere liefere – aber 164 000 Volt.

Spannung produziert an diesem Tag auch die Freiwillige Feuerwehr, die die 2. Klasse von Roswitha Zimmermann aus der Dortuschule zu Gast hat. Die Lehrerin wohnt in Maquardt und ihre Schüler werden, immer fünf am Stück, mit großem Tatütata durchs Dorf gefahren. Da kommt Ramona Kleber, die Organisatorin der 700-Jahr-Feier, und sucht einen Nachbarn, der bei der Feuerwehr ist und der wisse, wo man in diesem Moment einen Traktor herbekommt. Die Bühnenbauer haben sich mit ihrem Lkw auf der Wiese vor dem Schloss festgefahren. Am Wochenende wird das Babelsberger Filmorchester spielen, vorausgesetzt, es wird ein Traktor gefunden, der den Lkw wieder auf festen Grund zieht, was in einem Dorf dieser Tage einfacher klingt, als es ist.

Ja klar, der Fahrer hätte es sehen können, dass die Wiese feucht ist nach all dem Regen. Aber einmal im Jahr passiert auch so etwas und dann ist auch wieder gut. Andreas „Schorsch“ Girke bleibt gelassen, er ist der Chef der Nightworker aus Berlin, die nun die Bühnenteile aus dem versunkenen Lkw mit der Aufschrift „Sennheiser“ zum Bühnenstandort schleppen müssen. Vollbeladen kriegen sie die Karre eh nicht aus dem Dreck und außerdem läuft die Zeit davon. Die Männer ackern und schwitzen, einer von ihnen trägt ein T-Shirt vom BFC Dynamo. Zum „Held des Tages“, wie Girke sagt, wird Daniel Bachmann, der mit einem allradgetriebenen Kran der Marke „Roto Merlo“ angefahren kommt. Einen Traktor fand Organisatorin Kleber nicht, doch wird seit Kurzem bei Marquardt eine neue Brücke über den Sacrow-Paretzer-Kanal gebaut und die dort tätige Firma Echterhoff lässt sich nicht lange bitten. 80 PS hat der grüne Teleskoplader nur, sagt Bachmann, „aber da ist trotzdem Bumms dahinter“. Eine ordentliche Getriebeuntersetzung ist die halbe Miete; scheinbar mühelos zieht das Vehikel den Laster samt Anhänger aus der Wiese. „Du kriegst noch was“, ruft Girke dem Fahrer zu und meint dann, für ’ne Kiste Bier wird’s reichen.

Am Nachmittag besucht ganz offiziell der Oberbürgermeister das Dorf, schon zum zweiten Mal seit der Eingemeindung vor zehn Jahren, wie Ortsvorsteher Wolfgang Grittner in der Kulturscheune spitz anmerkt. „Das bedeutet nicht, dass ich nicht öfter da war“, kontert Jann Jakobs. Er versichert, dass er noch vor der Sommerpause mit der Eonedis klarmachen will, dass die im Ort geächtete 110-KV-Hochspannungsleitung um den Ort herumgeführt wird. „Ich will den Sack zumachen“, sagt Jakobs, der sich einige Klagen anhören muss. An einem städtischen Wohnblock, schimpft Mieterin Rosemarie Lehmpuhl, werde seit Jahren nichts mehr gemacht; der Hof sei „eine Außenstelle des Schlänitzsees“, bei Regen biete er „Unterbodenwäsche gratis“. Nun sei, weil sich der Oberbürgermeisterbesuch abzeichnete, wenigstens die Wiese abgemäht worden und auch der völlig zugewachsene Sandkasten. „Die haben den Sandkasten gemäht“, sagt die Mieterin.

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