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Ein Mitarbeiter des Salzbergwerks Grasleben (l.) und Werner Sudendorf (r.), auf Erkundungstour im Salzstock.

© Jochen Hergersberg

Filmplakate im Bergwerk: Entdeckt in der Tiefe

Ab 1939 wurde für das NS-Reichsfilmarchiv ein Neubaukomplex in Babelsberg errichtet. In den letzten Kriegsjahren wurde ein Teil des Archivbestandesin das Salzbergwerk Grasleben ausgelagert. Erst 1986 wurden Reste von dort geborgen. Nun werden sie erstmals öffentlich gezeigt.

Potsdam - Die Wände waren schwarz von Ruß, auf dem Boden lag Asche. Es sind die Spuren eines Brandes, der im Juni 1945 im Salzbergwerk Grasleben, 430 Meter unter der Erde, gewütet hatte. Jochen Hergersberg kann sich an seinen ersten Besuch in dem Salzstock in Niedersachsen, unweit von Helmstedt, noch gut erinnern. 33 Jahre ist das jetzt her. Warm sei es dort unten gewesen, vielleicht 25 Grad, die Luft sehr trocken, erzählt der 70-Jährige, der das Technikarchiv der Deutschen Kinemathek in Berlin aufgebaut hat und bis heute betreut. Gemeinsam mit seinem Kollegen Werner Sudendorf, dem damaligen Sammlungsleiter, war er mit dem Auto durch das riesige unterirdische System von Straßen und Hallen gefahren worden. „Kilometerweit durch die Gänge – in einem Affenzahn“, erzählt Hergersberg. Und dann standen sie in der verkohlten Halle. Schon allein die war riesengroß: vielleicht 100 Meter lang, 20 Meter breit und vier Meter hoch, schätzt Hergersberg. Ihn habe beim Anblick ein Gefühl der Trauer ergriffen: „Da waren unglaubliche Schätze vernichtet.“ Denn in die unterirdische Halle waren 1944 große Teile des Reichsfilmarchivs aus Babelsberg und Berlin ausgelagert worden – und später offenbar in Flammen aufgegangen.

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Erst 30 Jahre später sind Funde in der Öffentlichkeit zu sehen

Hergersberg wurde dann trotzdem fündig. Ganz am Rand, „in den seitlichen Schlitzen unterm Gestein“, erzählt er, fanden er und sein Kollege Pakete mit Film-Werbefotos, die den Brand angekokelt überlebt hatten. Auch Filmplakate, Reste von Manuskripten und Zensuranträge entdeckten sie auf dem Boden – voller Asche, teils in Fetzen. Zwei Kisten mit Material packten sie damals ein und nahmen es mit nach Berlin. „Das, was halbwegs restaurierbar erschien“, sagt Hergersberg.

Im Salzbergwerk Grasleben geborgene Reste des NS-Reichsfilmarchives.
Im Salzbergwerk Grasleben geborgene Reste des NS-Reichsfilmarchives.

© Jana Haase

Erst jetzt, mehr als 30 Jahre später, sind die Funde erstmals öffentlich zu sehen: Am 28. November eröffnet in der Kinemathek am Potsdamer Platz in Berlin die Ausstellung „Brandspuren – Filmplakate aus dem Salzstock“. Dort werden 24 restaurierte Plakate aus Grasleben gezeigt und die Geschichte des Archivs, seiner Auslagerung und der späten Wiederentdeckung erzählt.

Jochen Hergersberg (Gerätearchiv) und Anett Sawall (Grafikarchiv) von der Deutschen Kinemathek mit einem restaurierten Filmplakat.
Jochen Hergersberg (Gerätearchiv) und Anett Sawall (Grafikarchiv) von der Deutschen Kinemathek mit einem restaurierten Filmplakat.

© Jana Haase

Was genau ist 1986 eigentlich in der Tiefe entdeckt worden? „Die Plakate geben uns relativ viele Rätsel auf“, sagt Anett Sawall, die das Grafikarchiv der Kinemathek leitet. Filmtitel wie „Der Streik der Diebe“, „Zuchthaus. Nach Sibirien!“ oder „Die närrische Fabrik“ sind auf den Plakaten zu lesen, nach der Restaurierung strahlen die Illustrationen wieder in leuchtenden Farben. Die Filme umfassen eine Spanne von den späten 1910er- bis zu den 1940er-Jahren. Das Plakat für den Film „Pro Domo“ von 1919 zeigt eine in ein Nachtgewand gekleidete Frau mit entsetztem Gesicht, nach ihrem Arm greift ein Skelettmann. Beim zweiten Hinsehen fallen die roten Flecken auf ihren blassen Händen auf. Der Film, ein Krimi, spielt während der Pariser Weltausstellung, eine Frau kommt zu Tode, die Polizei lässt den Leichnam verschwinden – sie ist ein Pestopfer, wie sich herausstellt.

Das Plakat zu Pro Domo von 1919. Regie führte Paul von Woringen.
Das Plakat zu Pro Domo von 1919. Regie führte Paul von Woringen.

© Deutsche Kinemathek/archiv

Zu den wenigsten Plakaten haben die Filmhistoriker aber derartige Hintergrundinformationen, sagt Sawall – denn die Filmrollen sind verschollen. Auch in einschlägigen Zeitschriften wie der „Lichtbildbühne“ sei man anhand der Filmtitel nicht immer fündig geworden.

Fund wirft neues Licht auf das Kino der Weimarer Republik

Für den Filmhistoriker Rolf Aurich von der Kinemathek ist der Plakatfund dennoch aufschlussreich: Er werfe ein neues Licht auf das Kino der Weimarer Republik. Viele Plakate verweisen auf ausländische Filme, die damals offenbar auch ein Publikum in Deutschland fanden, sagt Aurich: „Das ist eine Entdeckung.“

Und es gab eine zweite Überraschung: Auf den im Salzstock entdeckten Plakaten sind Zensur-Stempel zu sehen. Sie stammen also aus dem Bestand der sogenannten Filmprüfstelle und erzählen damit etwas über die Geschichte der Reklamezensur, sagt Sawall: „Darüber wussten wir vorher fast nichts.“ Zensiert wurden auf Grundlage des Reichslichtspielgesetzes seit den 1920er-Jahren nicht nur die Filme selbst, sondern auch Werbematerialien dafür, wie zum Beispiel Fotos oder eben Filmplakate. Verantwortlich war die sogenannte Filmprüfstelle, deren Sammlung nach der Gründung des NS-Reichsfilmarchivs im Jahr 1935 in dessen Bestand übergegangen sein muss.

Die noch im Bau befindlichen Filmbunker für das NS-Reichsfilmarchiv in Potsdam Babelsberg um 1941.
Die noch im Bau befindlichen Filmbunker für das NS-Reichsfilmarchiv in Potsdam Babelsberg um 1941.

© Repro: Heinrich Adolf

1939 wurde ein neues Filmarchiv in Babelsberg errichtet

Das Reichsfilmarchiv war seinerzeit in Berlin-Dahlem und am Tempelhofer Ufer beheimatet, sagt Aurich. Ab 1939 wurde in Babelsberg ein neues Filmlager errichtet – in Bunkerhäusern, ausgestattet sogar mit Lüftungsanlagen: „Das war damals sehr modern.“ Die Gebäude in der Kohlhasenbrücker Straße wurden später vom DDR-Filmarchiv weitergenutzt, heute sind auf dem Gelände die Behindertenwerkstätten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) untergebracht.

Die Bestände aus Babelsberg und Berlin wurden in der Endphase des Zweiten Weltkriegs ausgelagert. Zunächst nach Polen, dann gelangte ein Teil in den Salzstock von Grasleben, berichtet Aurich. Die Bergwerksstollen dort seien auch von verschiedenen Berliner Museen und Ministerien genutzt worden.

Es gibt eine Verschwörungstheorie zum Brand

Der Brand vom Juni 1945 ausgerechnet in der Halle mit den Filmbeständen bietet selbst der Fachwelt bis heute Anlass für Spekulationen. Eigentlich sei die Sache klar, sagt Aurich: Eine umgestürzte Grubenlampe soll das Feuer ausgelöst haben. So jedenfalls sei es im Protokoll des Brandes zu lesen. Und Filmmaterial ist bekanntlich leicht entzündlich. Aber es gebe auch eine Art Verschwörungstheorie, sagt Aurich: Demnach sollen amerikanische Soldaten, die das Gebiet nahe Helmstedt im April 1945 zuerst besetzten, den Brand absichtlich gelegt haben – um Spuren zu verwischen. Denn, und dieser Punkt zumindest sei gesichert, der militärische Geheimdienst CIC hatte großes Interesse an den Beständen des Reichsfilmarchivs. Nur einen Tag, nachdem ein übergelaufener Archivmitarbeiter dem US-Militär eine Lagebeschreibung gegeben hatte, habe der CIC den Befehl erteilt, in Grasleben einzusteigen und Filmmaterialien zu sichern, sagt Aurich. Möglichweise sei es dabei um Aufnahmen von Kriegsverbrechen gegangen, vermutet er. Was genau die Spezialtruppe aus dem Salzstock geholt hat, sei aber bis heute unklar. Die Einlagerungslisten sind verschollen, auch in den einschlägigen Archiven in den USA habe sich nichts finden lassen.

Wie erst bei der Recherche für die Ausstellung bekannt geworden ist, wurden Teile des Materials nach dem Krieg auch durch Bergleute gehoben und in Umlauf gebracht. „Da ging es zum Beispiel um Fotos von Stars, die damals noch bekannt waren“, sagt Aurich. So sei etwa zu erklären, dass Filmplakate aus dem Salzstock über einen Händler bei einem Sammler in Australien gelandet sind.

Suche nach dem Schliemann-Gold ergab einen Tipp

Aber wieso dauerte es dann so lange, bevor sich 1986 erstmals wieder Fachleute auf die Suche im Salzstock machten? Zwar sei grundsätzlich bekannt gewesen, dass in den letzten Kriegsmonaten viele Bestände dort in der Tiefe gelagert hatten, sagt Aurich: „Aber es braucht Geld – und Neugier.“ Und in diesem Fall auch einen heißen Tipp – von Klaus Goldmann von den Staatlichen Museen Berlin. Der war eigentlich auf der Suche nach dem verschwundenen Schliemann-Gold aus Troja, dem „Schatz des Priamos“, im Salzstock gewesen – ohne Erfolg. Allerdings hatte er Reste des Reichsfilmarchivs entdeckt und die Kollegen der Kinemathek informiert.

Dass es dann 1986 tatsächlich zu der Fahrt in die Tiefe kam, hatte auch mit deutsch-deutschen Verwicklungen zu tun, erinnert sich Jochen Hergersberg: Der riesige Salzstock reichte über die damalige Grenze hinweg – und die DDR habe über eine Schließung ihres Teils nachgedacht. „Das hätte Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel gehabt“, erklärt er. Das Material wäre womöglich für immer verloren gewesen: „Deshalb gab es einen gewissen zeitlichen Druck.“ Knapp 70 Plakate barg Hergersberg mit seinem Kollegen. Es ist ein minimaler Teil der Gesamtbestände: Die Filmhistoriker gehen davon aus, dass die Filmprüfstelle rund 80.000 Zensurvorgänge bearbeitet hat. Das Reichsfilmarchiv dürfte also über mehrere Tausend Plakate verfügt haben, schätzt Rolf Aurich.

20.000 Euro für die Restaurierung

Erst 2013 war das Geld für die Restaurierung da – 20.000 Euro von der Staatsbibliothek über ein Förderprogramm zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts, weitere 2000 Euro von der Kinemathek, wie Anett Sawall berichtet. Damit konnten 64 Plakate aufwendig restauriert werden. Sie wurden zunächst trocken gereinigt, sprich vorsichtig abgebürstet – und dann gewässert, um das Salz aus dem Material zu spülen. Dann wurden die Plakate auf sogenanntes Japanpapier, Reispapier, und ein gesondertes Barrierepapier aufgebracht, verklebt mit wasserlöslichem Stärkekleister, erklärt Anett Sawall. Die angekokelten Ränder sind noch gut zu sehen.

Für Rolf Aurich steht die wechselvolle Geschichte des Schatzes aus dem Salzstock auch für die Anstrengungen, die nötig sind, um historische Überlieferungen vor dem Vergessen zu bewahren: „Mit der Ausstellung wollen wir zeigen, dass nichts selbstverständlich da ist.“

„Brandspuren – Filmplakate aus dem Salzstock“ ist vom 28. November 2019 bis 31. Mai 2020 in der Kinemathek am Potsdamer Platz in Berlin zu sehen.

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