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Filmmuseum Potsdam: "Geschlossene Gesellschaft": Vom Platz verdrängt

Das Filmmuseum zeigt heute Abend den Film „Geschlossene Gesellschaft“ von Regisseur Frank Beyer. Ein Rückblick auf ein Fiasko des DDR-Fernsehens.

Potsdam - Eine Sternstunde im tristen DDR-Fernseh-Alltag hätte es werden können, stattdessen wurde es ein Fiasko – das Abendprogramm aus Adlershof am 29. November 1978. Es sollte der Fernsehfilm „Geschlossene Gesellschaft“ von Regisseur Frank Beyer laufen. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, offenbarte sich in dem Umgang mit dem Film ein Muster, das vom berüchtigten 11. Plenum des Zentralkommitees der SED (ZK) und dem folgenden „Kahlschlag“ – dem Verbot von „Spur der Steine“ und neun weiteren Defa-Filmen – leidvoll bekannt war.

Bei „Geschlossene Gesellschaft“ dachte zunächst niemand an einen derartigen Ausgang. Das Buch von Klaus Poche war genehmigt. Und Hans Bentzien, von 1961 bis zum „Kahlschlag“ DDR-Kulturminister und seit 1975 Leiter der Hauptabteilung Dramatische Kunst des DDR-Fernsehens, wachte darüber, dass die Dreharbeiten nicht gestört wurden. Das war auch im Sinne von Werner Lamberz, Sekretär des ZK der SED für Agitation und Propaganda. Dieser galt als liberal und hatte sich nach der Biermann-Ausbürgerung mit den Auslösern der Protestwelle getroffen und später dafür gesorgt, dass Manfred Krug schließlich in den Westen ausreisen durfte. Lamberz hatte verfügt, dass nun mal Schluss sein müsse mit dem Stoff- und Rollen-Boykott gegen Beyer, Poche, Hoffmann und Mueller-Stahl – sie, die zu den Unterzeichnern der Biermann-Petition gehörten, müssten wieder in Arbeit kommen.

Doch der Wind hatte sich gedreht

Als der Film fertig war, hatte der Wind sich gedreht. Lamberz war tot und sein Nachfolger als oberster Fernseh-Aufpasser wurde der Hardliner Joachim Herrmann. Der höchstselbst übernahm für „Geschlossene Gesellschaft“ die Einsatz- und Sende-Regie. Der Film bekam vorab keinerlei Werbung und wurde im Programm für 21.30 Uhr nur unter seinem Titel angekündigt. Am Sendeabend wurde schließlich das vorangehende Unterhaltungsmagazin verlängert, danach „aus aktuellem Anlass“ ein holländischer Dokumentarfilm eingeschoben – und erst dann und ohne jeden Hinweis lief „Geschlossene Gesellschaft“.

Regisseur Beyer wollte sich bei Herrmann beschweren, der ließ ihn nicht vor. Bentzien wurde abgesetzt. Seine Zusage, Beyer könne Brigitte Reimanns „Franziska Linkerhand“ verfilmen, wurde vom Nachfolger widerrufen. Beyer schrieb an Kurt Hager, den ZK-Sekretär für Kunst und Kultur, und verglich seine Situation mit der nach „Spur der Steine“: „Zwar hat jetzt niemand den Versuch gemacht, mir meinen Arbeitsvertrag wegzunehmen, dennoch empfinde ich meine Lage heute als trostloser: 1966 hatte ich, wenn auch auf einem anderen Gebiet, wenigstens Arbeit. Außerdem war ich damals 34, heute bin ich 48 und bemerke, dass meine Fähigkeit, Demütigungen hinzunehmen, rasant abgenommen hat und sich gegen Null hin bewegt.“

Letzte Hoffnungen, weiter in der DDR arbeiten zu können

Hager war zwar für Beyer, seit dieser 1969 beim Fernsehen angestellt worden war, nicht mehr zuständig. Aber in ihn hatte Beyer bislang seine letzten Hoffnungen gesetzt, weiter in der DDR arbeiten zu können: „Ich bin entschlossen, dem jetzt ein Ende zu machen. Ich habe präzise Vorstellungen von dem, was jetzt geschehen soll und ich will sie hier mitteilen.“ Hager empfing Beyer zum Gespräch, und drei Tage später kam der Bescheid: Genehmigt. Beyer erhielt ein Visum und Arbeitsurlaub, um im Westen Angebote zu prüfen und Filme zu drehen. Gleichzeitig kam es im Fernsehen zum Eklat. Dort liefen „Partei-Gespräche“ zur turnusmäßigen „Kontrolle der Partei-Dokumente“. Routine, normalerweise. Aber diejenigen, die Beyer schon lange aus der SED ausschließen wollten, hatten nun Oberwasser. Er sollte seine Unterschrift unter die Biermann-Petition zurückziehen, sich von „Geschlossene Gesellschaft“ distanzieren und auf die geplante Arbeit in der BRD verzichten.

Frank Beyer lehnte ab – und wurde aus der SED ausgeschlossen. Er drehte zwei Fernsehfilme in der BRD und 1982, wieder bei der DEFA, den Film „Aufenthalt“. Armin Mueller-Stahl ging 1980 in den Westen, Jutta Hoffmann verließ die DDR einige Jahre später. „Geschlossene Gesellschaft“ wurde erst wieder aufgeführt, als die Mauer gefallen war: am 3. Dezember 1989. Wie viele Zuschauer der Film damals hatte, ist nicht bekannt. Was die, die ihn nicht kennen, verpasst haben, schon: einen Film, der zeigt, was Film- und Fernsehkunst in der DDR war und hätte sein können. Eine brisante Geschichte von einem Ehepaar, das in einer heftigen Krise steckt und sich bewusst wird, dass seine Probleme tiefer gehen als beide es wahrhaben wollen. Szenen einer Ehe made in DDR, in denen die privaten Konflikte mit denen der Gesellschaft verwoben sind, in denen die Resignation und Verbitterung einer Familie für die Ausweglosigkeit in der DDR-Gesellschaft steht. Einen stilsicher inszenierten und fotografierten Fernsehfilm von bester Kino-Qualität, glänzend besetzt und großartig gespielt, besonders in den Hauptrollen: mit einer zauberhaften Jutta Hoffmann als flirrender und bodenständiger Ehefrau. Und mit einem eindrucksvoll uneitlen Armin Mueller-Stahl in seiner wohl stärksten Rolle in der DDR.

Das Filmmuseum zeigt den Film „Geschlossene Gesellschaft“ heute um 19 Uhr als Auftakt der Zeitschnitt-Reihe „Leben im Widerspruch“. Die Schauspielerin Jutta Hoffmann wird anwesend sein.

Axel Geiss

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