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Ein Stern leuchtet vor einem Turm des Nauener Tors in Potsdam.

© Ottmar Winter

Festtage mit Corona: Krisenweihnacht gibt es nicht das erste Mal: Zwei Potsdamer erzählen

Benzin stehlen, um an Mehl zu kommen und Weihnachtslieder singen, um den Nachtmarsch nach Hause zu überstehen: Helmut Przybilski und Friedrich-Wilhelm Pape erinnern sich an Weihnachten in schwierigen Zeiten - die trotzdem voll Zuversicht waren.

Potsdam - Was soll das bloß für ein Fest werden in diesem Corona-Jahr? Weniger Trubel, dafür mehr Sorgen – ist das überhaupt auszuhalten? Ja, ist es, sagen zwei Potsdamer, die noch ganz andere schwierige Zeiten erlebt haben und dabei stets das Gute im Blick behielten. Helmut Przybilski und Friedrich-Wilhelm Pape erzählen den PNN von Weihnachten nach dem Krieg und während der Armeezeit.

Jede Nuss wird abgezählt

Das Essen knapp, die Kirche eiskalt. Aber Helmut Przybilskis Vater schmückt den Baum mit elektrischen Lichtern.

Helmut Przybilski ist neun Jahre alt, als der zweite Weltkrieg endet. Er lebt mit seinen Eltern und drei jüngeren Geschwistern in Babelsberg. Glücklicherweise haben sie ein Haus mit Garten. Dort wachsen Gemüse und Obst. Schon das Weihnachten 1944 ist bescheiden, aber es gibt noch Geschenke, Bücher, eine Taschenuhr, einen bunten Teller für jeden, erinnert sich Helmut Przybilski. „Da waren Äpfel und Nüsse aus dem Garten drauf, Selbstgebackenes und Fondant, den man im Laden kaufen konnte.“

Nachkriegsweihnacht. Bei Helmut Przybilski wurden 1945 Nüsse abgezählt, geschenkt gab es gestrickte Handschuhe. Doch der Baum hatte elektrische Kerzen.
Nachkriegsweihnacht. Bei Helmut Przybilski wurden 1945 Nüsse abgezählt, geschenkt gab es gestrickte Handschuhe. Doch der Baum hatte elektrische Kerzen.

© Andreas Klaer

Ein Jahr später ist Frieden, aber das Leid noch immer groß. Helmut hat Freunde und Schulkameraden verloren und Bombennächte erlebt. „Wir Kinder waren in Schock.“ Dann sehen sie, wie im Herbst Flüchtlingstrecks aus Schlesien durch die Stahnsdorfer Straße ziehen. „Da hast du als Kind schon realisiert, dass es dir eigentlich noch gut geht“, sagt er. Auch in ihr Haus wird eine Familie einquartiert. „Die hatte nun nichts und mussten sehen, wo sie bleiben“, sagt Przybilski. „Viele betrieben Schwarzhandel“.

Der Mann und Helmuts Vater klauen eines Nachts einen vollen Benzinkanister von einem Russen-Lastwagen – die Stahnsdorfer Straße liegt am Rand des besetzten Wohngebiets – und können das Benzin gegen einen Zentner Weizen eintauschen. Mit einer kleinen handbetriebenen Kaffeemühle wird das Getreide dann grob vermahlen. „Mutter war eine gute Hausfrau, wir haben nicht gehungert.“ Manchmal holt Helmut vom Fleischer an der Ecke Kopernikus- / Fultonstraße eine Kanne Wurstbrühe. Das kennt heute keiner mehr, sagt er, aber damals war die Brühe, in der Fleischer seine Würstchen abkochte, begehrte Grundlage für Eintöpfe.

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Im Winter 1945/46 ist nicht nur das Essen, sondern auch das Heizmaterial knapp. Mit dem Ofen in der Küche heizen sie auch das Wohnzimmer, die Schlafzimmer bleiben kalt. Die Kinder sind meistens draußen unterwegs. Einmal kauft die Mutter einem armen Hausierer, der durch die Straße zieht, ein Bildchen ab. Den Schwarz-Weiß-Druck dürfen die Kinder ausmalen, später stellt sich heraus, dass es ein Bild des berühmten Malers Otto Heinrich ist.

Zum Weihnachtsfest 1945 gibt es, wenn überhaupt, praktische Geschenke. Gestrickte Handschuhe oder Socken. Lebensmittel gibt es auf Karte. Die Tagesration für Kinder beträgt 300 Gramm Brot, 400 Gramm Kartoffeln, 15 Gramm Zucker und 7 Gramm Fett. Von dem bisschen, was es gibt, wird noch für Weihnachten gespart. Kekse und Nüsschen werden Heiligabend dennoch genau pro Person abgezählt. Aus gerösteten Zichorienwurzeln wird Kaffeeersatzpulver gemahlen. Die Mutter backt damit auch eine einfache Torte, die mit Marmelade gefüllt wird. Es gibt Kaninchenbraten, eigene Haltung, und Grünkohl aus dem Garten.

Lebensmittel gab es nur rationiert, Kinder bekamen zum Weihnachtsfest 1945 pro Tag 300 Gramm Brot.
Lebensmittel gab es nur rationiert, Kinder bekamen zum Weihnachtsfest 1945 pro Tag 300 Gramm Brot.

© Andreas Klaer

Weil der Vater gelernter Installateur ist, haben sie 1945 sogar elektrische Kerzen am Weihnachtsbaum. Die Kinder sagen Gedichte auf. Später werden Platten vom Grammophon gespielt. In die Kirche geht die Familie nicht. Aber Helmuts spätere Frau Christa, geboren 1940, erinnert sich an die Kindergottesdienste in der Babelsberger Friedrichskirche. Das war der Höhepunkt des Jahres und trotz des Beginns früh um sieben Uhr war es rappelvoll. Viele Kinder durften als Engel mitmachen. „Wir trugen weiße Nachthemden und zogen singend mit Kerzen in die dunkle Kirche ein. Das Mädchen mit den längsten Haaren war das Christkind.“ Die Kirche war eiskalt, aber das war egal. Ein Lied von damals kann sie noch auswendig: „Fährt ein Schiffchen übern Rhein, Christkind steht am Steuer. In die dunkle Nacht hinein strahlt ein sanftes Feuer.“

Helmut Przybilski ist 84 Jahre alt. Er lebt seit seiner Geburt in Potsdam, gründete hier mit Christa eine Familie und war nach der Wende viele Jahre SPD-Stadtverordneter.

Weihnachten nach Hause, um jeden Preis

Friedrich-Wilhelm Pape kämpft um seinen Urlaubsschein – dann geht das Kuddelmuddel erst richtig los.

Aneinander vorbeigefahren. Als Friedrich-Wilhelm Pape 1967 nach 25 Kilometern Fußmarsch Heiligabend Zuhause war, war seine Frau Erika noch in Berlin.
Aneinander vorbeigefahren. Als Friedrich-Wilhelm Pape 1967 nach 25 Kilometern Fußmarsch Heiligabend Zuhause war, war seine Frau Erika noch in Berlin.

© Ottmar Winter PNN

Wenn Friedrich-Wilhelm Pape und seine Frau Erika heute von diesem einen Weihnachten erzählen, klingt es wie ein verrücktes Kammerspiel, in dem alle aneinander vorbeirennen und sich verfehlen. Und doch saßen sie am Weihnachtsabend 1967 schließlich glücklich beisammen. Alles beginnt damit, dass Pape noch knapp vor Ablauf der möglichen Frist zur Armee eingezogen wird. Da ist er 25 Jahre alt und hat er gerade eine Pfarrstelle in Schlieben bei Herzberg (Elster) übernommen. Drei kleine Kinder haben er und seine Frau. Er meldet sich als Bausoldat und kommt nach Garz auf Usedom kurz vor der polnischen Grenze, für ihn am Ende der Welt. Am 1. November ist Dienstbeginn.

Der erste Urlaub stand im Dezember an. „Es galt die Regel: Die Verheirateten fahren Weihnachten, die Junggesellen Silvester“, sagt Pape. Zu Hause rechnet man fest mit ihm. Auch Friedrich-Wilhelms Bruder soll kommen. Der lebt in West-Berlin. „Man musste das beantragen, dass er kommen durfte“, sagt Erika Pape, das klappte auch und sie bekam die Papiere. Mit denen fährt sie dann am 23. Dezember nach Berlin, trifft sich im Ostteil mit ihrem Schwager und gibt ihm die Papiere, mit denen er einen Tag später offiziell in die DDR einreisen soll. Weil sie den letzten Zug verpasst, muss Erika in Berlin bei Verwandten übernachten.

Sie ahnt nicht, dass derweil ihr Mann beim Verteilen der Urlaubsscheine leer ausgeht. „Der Zugführer zerriss das Papier vor meinen Augen und sagte, ,Ihr Urlaub ist gestrichen’“, erzählt Pape. Er hat keine Ahnung, warum. „Wer weiß, vielleicht wegen mangelnden Einsatzes - ich war jedenfalls geplättet.“ Er will das nicht auf sich sitzen lassen und beschwert sich beim Bataillonskommandeur. „Ich hab mir nichts zuschulden kommen lassen. Meine Familie wartet. Was sollen unsere Bürger denn von der Volksarmee denken?“

Der Mut wird belohnt, er bekommt den Urlaubsschein, am 23. nachmittags, da sind die anderen längst weg mit dem Bus. Also schnappt er sich sein Gepäck und läuft los, denkt sich, marschieren hast du schließlich gelernt. Er hat Glück, ein Russe nimmt ihn mit nach Anklam, von dort geht der Zug nach Berlin, wo er spät abends ankommt. Hätte er gewusst, dass seine Frau grad hier ist, er hätte zu ihr fahren können und ein Quartier gehabt.

So aber nimmt er den Regionalzug nach Uckro, auch wenn er von dort 25 Kilometer nach Schlieben laufen muss. Um wach zu bleiben, singt er Weihnachtslieder. Einmal landet er im Halbschlaf im Straßengraben. Die letzten fünf Kilometer nimmt ihn, sehr früh am Morgen des 24., ein Milchwagen mit. Aber als er zu Hause klingelt, hört ihn keiner. Er läuft zur Telefonzelle und ruft zu Hause an, im Pfarramt gibt es ein Telefon, und endlich nimmt seine Schwester, die die Kinder hütet, ab. Die Erika ist doch in Berlin, sagt sie ihm. „Dann wollte ich nur noch schlafen“, sagt Pape.

Mittags holt er, ausgeschlafen, Frau und Bruder vom Bahnhof ab. Und Weihnachten kann beginnen. Es gibt Suppe und abends Kartoffelsalat und Würstchen. Sein Geschenk für die Kinder ist ein kleiner Hubschrauber aus dem Russenladen. „Aber eigentlich war mein Geschenk, dass ich überhaupt da war“, sagt Pape. „Was für ein Chaos das doch alles gewesen war!“ Und beinahe geht am Schluss doch noch was schief. „Als ich abreisen musste, versteckte meine Tochter den Uniformmantel in ihrem Zimmer und warf den Schlüssel weg“, sagt er. Mit einer Leiter müssen sie durchs Fenster ins Zimmer einsteigen. Und der Gastwirt fährt ihn in allerletzter Minute zum Zug.

Friedrich-Wilhelm Pape ist 79 Jahre alt. Der Pfarrer im Ruhestand kam 1984 nach Potsdam und war bis 2006 Vorstand des Vereins Oberlinhaus.

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