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Die Babelsberger Nackte ist vom kalifornischen Popart-Künstler Mel Ramos inspiriert.

© Ottmar Winter

Fassadenkunst in Babelsberg: Rätsel um die Nackte in der Glasmeisterstraße

Mehr als 20 Meter hoch ist die nackte Frau an einer Fassade in Babelsberg. Kunst oder Werbung? Alt oder neu? Die PNN haben mit dem Schöpfer gesprochen.

Potsdam - Die Fassade gibt Rätsel auf: Zu sehen ist in einer Größe über drei Etagen die Rückenansicht einer nackten Frau, die sich anscheinend nach einem Sonnenbad ihres Bikinis entledigt hat und die Betrachter über die Schulter anblickt. Ihre Hand ruht auf einer riesigen Energiesparlampe. Im Hintergrund ist eine Zigarettenschachtel mit Schachbrettmuster auszumachen, die DDR-Marke Karo, 20 Zigaretten für 1,60 Mark. Auch den rudimentären Schriftzug über der mysteriösen Nackten können Ost-Sozialisierte problemlos entziffern: „Plaste“ steht da. 

Gut 20 Meter hoch ist das riesige Kunstwerk an der Fassade in der Glasmeisterstraße 13, gut sichtbar auch vom benachbarten Parkplatz eines Lebensmittel-Discounters. Wenn die Neubaupläne für die Brache auf der gegenüberliegenden Straße verwirklicht werden – Oberlin will dort wie berichtet einen neuen Campus errichten -, wird das Fassadenbild mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken.

Werbung oder Kunst? Alt oder neu?

Aber was hat es damit auf sich? Ist es Werbung oder Kunst? Alt oder neu? Jochen Losereit kann aufklären. Der 61 Jahre alte Architekt, der sein Büro im Gebäude hat, ist der Urheber des Kunstwerkes mit der 20,19 Meter hohen Frau, das die Wand schon seit 2007 schmückt. Dass es wie alte Werbung wirkt, ist gewollt, erklärte er den PNN bei einem Treffen vor Ort in Babelsberg.

Jochen Losereit hat das Fassadenkunstwerk entworfen.
Jochen Losereit hat das Fassadenkunstwerk entworfen.

© Jana Haase

Losereit hatte das Gebäude seinerzeit saniert. „Und da war dann dieser große weiße Giebel – irgendwas muss man damit ja machen“, sagt der Architekt. Werbung in dieser Größe sei wegen der Werbesatzung der Landeshauptstadt nicht erlaubt. Kunst aber schon, wie ihm ein befreundeter Rechtsanwalt versicherte. Losereit entschied sich für eine Fassadengestaltung, die alten Plakatwänden nachempfunden ist, mit abgerissenen Stellen, unter denen ältere Plakate sichtbar werden.

Inspiriert vom kalifornischen Popart-Künstler Mel Ramos

Inspiriert ist das Werk vom mittlerweile verstorbenen kalifornischen Popart-Künstler Mel Ramos. Der ist bekannt für seine „Commercial Pin-Ups“ – nackte Frauen in aufreizenden Posen kombiniert mit Konsumartikeln, was ihm Kritik gerade von feministischer Seite eingehandelt hat. Die Babelsberger Dame ist dem Werk „A.C. Annie“ abgeguckt, in Ramos‘ Original posiert sie mit einer Zündkerze, in Babelsberg mit der Energiesparlampe. Die hat jetzt, 15 Jahre nach Entstehen des Fassadenbildes, schon selbst historischen Wert. Losereit nennt seine Nackte augenzwinkernd Lucie Kallipyge – der Vorname stehe für Erleuchtung, der Nachname kommt vom griechischen Wort für ein schönes Gesäß, einem Beinamen der Göttin Aphrodite.

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Gut 20 Meter hoch ist das Fassadenkunstwerk.
Gut 20 Meter hoch ist das Fassadenkunstwerk.

© Ottmar Winter

Für die darunter durchscheinenden Schriftzüge sichtete Jochen Losereit DDR-Werbung. Die kannte der gebürtige Duisburger nur von der Transitstrecke von West-Berlin nach Westdeutschland. Losereit hatte nach dem Architekturstudium in Essen Anfang der 1980er Jahre gearbeitet, nach dem Mauerfall zog er mit seiner Familie nach Berlin und gründete mit drei Partnern ein Büro, heute ist er allein unterwegs, gut ausgelastet vor allem mit diversen Altbausanierungen. „Ein großes Büro war nie mein Ziel“, sagt er. Die Karo-Zigaretten hatte er bei Zimmerleuten auf der Baustelle gesehen, die Schachteln taten es ihm wegen des Schachbrettmusters an. „Die sind hübsch“, sagt er.

An die Fassade soll eine Solaranlage - die Frau bleibe aber sichtbar

Der Architekt skizzierte und probierte und fertigte schließlich eine Vorlage in A3 an. Ein ehemaliger Filmausstatter brachte das Werk dann vergrößert gemeinsam mit Mitarbeitern an die Wand - gelungen, wie Losereit befand. Es ist nicht das erste Kunstwerk am Bau, das er verantwortet, aber das erste und bislang einzige Fassadengemälde.

Eigentlich hatte er sich seinerzeit 2007 auf eine öffentliche Debatte, auch Kritik, gefasst gemacht, erzählt er. Nichts dergleichen passierte. Manchmal seien Leute am Anfang auf dem Parkplatz stehen geblieben, Losereit kam mit ihnen ins Gespräch. „Viele haben geglaubt, das wäre historisch“, sagt er und lächelt. Sein Plan war aufgegangen.

Der Anblick der Dame wird sich jetzt, nach gut 15 Jahren, aber bald ändern, kündigt der Architekt an. Denn in die Fassade gelangt wegen Mängeln im Vollwärmeschutz Wasser. Losereit will die Wand mit einer Art Vorhangfassade aus Solarpaneelen schützen und so auch Sonnenenergie nutzen. „Das soll dieses Jahr passieren.“ Die Nackte würde dann hinter einfaches Glas kommen, sodass sie immer noch zu sehen ist, so der Plan.

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