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Zeitzeuge. Oesterhelt im Keller des Potsdamer KGB-Gefängnisses.

© Chr. Freytag

Ex-Häftling im KGB-Gefängnis Leistikowstraße: „Ich habe sofort nein gesagt“

Johannes Oesterhelt saß nach dem Zweiten Weltkrieg im Untersuchungsgefängnis in der Leistikowstraße, dann wurde er in die Sowjetunion gebracht. Der Zeitzeuge berichtet von seiner Haft, die 25 Jahre andauerte.

Nur ein paar Sekunden hat es gedauert: Man stellte ihm eine Frage, er gab eine Antwort. Dann war über sein Schicksal entschieden. „Ich habe 13 Jahre lang nicht in Freiheit gelebt“, sagt Johannes Oesterhelt. Am Mittwochabend war er als Zeitzeuge zu Gast in der Gedenkstätte Leistikowstraße. Hier an diesem Ort hatte die sowjetische Militärspionageabwehr nach dem Zweiten Weltkrieg ein Untersuchungsgefängnis eingerichtet, inmitten des von den Sowjets gegründeten „Militärstädtchens Nummer 7“. Von Mai bis Oktober 1948 hat auch Oesterhelt hier eingesessen. Am Ende erhielt der damals 23-Jährige vom sowjetischen Militärtribunal sein Urteil: 25 Jahre Haft wegen Spionage und unerlaubter Gruppenbildung.

"Sind Sie bereit, ein Zellenspitzel zu sein?"

Dabei hatte Oesterhelt in seiner Potsdamer Zelle zuvor schon einmal kurz die Freiheit gewinkt. Einige Zeit nachdem man ihn von Weimar aus, wo er zunächst inhaftiert war, in das Sowjetgefängnis am Neuen Garten überstellt hatte, wurde er – wieder einmal – zu seinen Vernehmern geführt. Doch dieses Mal war es anders als sonst. Man bot dem Häftling Oesterhelt plötzlich belegte Brote an und gab ihm zu rauchen. Und dann stellte einer der Männer jene Frage, die für den Gefangenen zur Schicksalsfrage werden sollte: Ob er bereit sei, ein Zellenspitzel zu werden, also mit den Vernehmern zusammenzuarbeiten und andere Häftlinge auszuspionieren. Dann, so gab man zumindest vor, würde man ihm in absehbarer Zeit die Freiheit schenken. „Ich habe sofort nein gesagt“, berichtete der mittlerweile 89-jährige Oesterhelt am Mittwoch. „Junger Mann, das werden Sie noch einmal ganz schwer bereuen“, habe einer der Vernehmer darauf zu ihm gesagt. Nach dem Gespräch ging es für den Häftling zurück in eine andere Zelle als zuvor: „Ich kam in den Keller runter, in die hinterste Ecke“, erinnerte sich Oesterhelt in dem vom Gedenkstättenverein organisierten Zeitzeugengespräch, zu dem rund 30 Zuhörer gekommen waren.

Doch warum war Oesterhelt, der später in der DDR als Simultanübersetzer für Russisch und Deutsch arbeitete, in die Fänge der Sowjets geraten? Ein Bekannter, der im Krieg gemeinsam mit ihm die Fliegerausbildung absolviert hatte – als ganz junger Mann war Oesterhelt Jagdflieger im Kriegseinsatz –, habe ihn eines Tages gefragt, ob er bereit sei, Kennzeichen von sowjetischen Militärfahrzeugen zu notieren. Das habe er dann auch hin und wieder gemacht. Ob ihm damals bewusst gewesen sei, welchen Auftraggeber der Bekannte hatte? „Im Prinzip ja“, sagt Oesterhelt heute. Es habe sich um die Organisation Gehlen, den Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, sowie um den britischen Geheimdienst gehandelt. Und bei eben jenem Bekannten aus Jagdfliegerzeiten sei eines Tages in Leipzig eine Razzia durchgeführt worden. Die Ermittler fanden einen Kalender. Darin 28 Namen von Menschen, mit denen der Mann Kontakt hatte. Unter ihnen der junge Johannes Oesterhelt. Alle wurden sie in das Potsdamer Sowjetgefängnis gebracht, berichtete der 89-Jährige, der heute in Radebeul lebt.

Von Potsdam im Viehwaggon in die Sowjetunion

Im Februar 1949 ging es für ihn und die Gruppe, darunter seine damalige Verlobte Ruth, mit der er später bis zu ihrem Tod vor anderthalb Jahren verheiratet war, von Potsdam aus über das ehemalige NS-Konzentrationslager Sachsenhausen per Viehwaggon in die Sowjetunion. Oesterhelt kam ebenso wie seine Verlobte in ein Lager im russischen Inta, einer südwestlich von Workuta gelegenen Ortschaft. Hier musste er im Kohlebergbau arbeiten. Einen großen Vorteil hatte die Arbeit in Tiefen von 200 bis 400 Metern, so Oesterhelt: Mindestens acht Grad plus hätten unter Tage geherrscht. Draußen war es im Winter hingegen eisig kalt. Temperaturen von 50 Grad minus und manchmal noch weniger hätte es dort zuweilen gegeben, erzählte Oesterhelt. Er habe im Lager übrigens immer ausreichend zu Essen gehabt. Nur eintönig sei die Nahrung gewesen. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) 1955 die letzten Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion heimholte, ging es auch für Oesterhelt und seine Verlobte zurück auf deutschen Boden. Sie landeten in der DDR. Seine Ruth kam frei, doch er wurde ins Gelbe Elend gesteckt, einem berüchtigten DDR-Gefängnis in Bautzen.

Die DDR-Wachleute seien im Gegensatz zu den Sowjets sehr unfreundlich gewesen. „Du wurdest plötzlich angeschnauzt“, berichtete der einstige Häftling. Von Bautzen aus kam Oesterhelt in das Gefängnis in Brandenburg/Havel. Erst am 28. November 1960 entließ man ihn schließlich. Eine Amnestie nach dem Tod von DDR-Präsident Wilhelm Pieck machte es möglich. Fünf Tage nach seiner Entlassung, am 3. Dezember 1960, heiratete er seine Ruth – 14 Jahre nach ihrer Verlobung. 

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