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Landeshauptstadt: „Es darf einfach Spaß machen“

Gabriele Gäbelein leitet eine Schreibgruppe

Was ein Akrostichon ist, weiß keiner. Gabriele Gäbelein muss die Bedeutung dieses Wortungetüms den Teilnehmern der neuen Schreibgruppe erklären. Zehn Minuten gibt es anschließend für das kurze Schreibspiel, Stifte klackern, Papier raschelt in der Stille. Notebooks sucht man hier vergeblich. Die Übungsleiterin nimmt es mit der Zeit genau, nach zehn Minuten ein Blick auf die Uhr und die Stifte werden beiseitegelegt. Dann geht es ans Vorlesen der eben entstandenen Kurzgeschichten, in der vom Nachbarn ausgewählte Begriffe vorkommen müssen. Und trotz der Kürze der Zeit sind es allesamt kleine Kostbarkeiten geworden.

Dabei sitzen hier im sogenannten Herrenzimmer im Kulturhaus Babelsberg keine Abiturienten in Vorbereitung auf eine Prüfung, keine Nachhilfeschüler. Das kleine Grüppchen Erwachsener, darunter Menschen mit kreativen Berufen wie ein Puppenspieler, aber auch eine Richterin, die sagt, beruflich schreibe sie zwar reichlich, aber eben immer ganz anderes Zeug, treffen sich ganz freiwillig. Außerdem sei Schreiben eine einsame Sache, sagt einer, es tut gut, sich auszutauschen, sich zu outen. Und erntet Zustimmung bei den anderen Hobbyschreibern.

Es könnten gern noch mehr werden, hofft Gäbelein, zweimal im Monat sind Treffen geplant. Die offene Schreibgruppe für kreative Menschen, die sich ausprobieren oder neu motivieren wollen, ist eines ihrer Angebote, die Gabriele Gäbelein unter dem Sammelbegriff Literaturgenuss bündelt.

Gäbelein hat in Köln Anglistik, Kunstgeschichte und Germanistik studiert, bevor sie 2004 aus beruflichen Gründen ihres Mannes mit der Familie nach Potsdam zog. Sie arbeitet als Lektorin und Korrektorin, seit diesem Jahr studiert sie wieder, will ihren Master in biografischem und kreativem Schreiben machen.

Aus ihrer Leidenschaft für das Lesen entsprang vor Jahren die Idee, mit Schülern zu arbeiten, ihnen auf eine andere Art als in der Schule und vor allem mit mehr Zeit die Klassiker der Literatur nahe zu bringen. „Im Unterricht wird den Jugendlichen das Lesen durch ungeschickte Herangehensweise der Lehrer oft vermiest“, glaubt sie. Doch so richtig gut werden ihre Angebote für diese Altersgruppe bisher nicht angenommen, sagt sie. Ein Kurs im Treffpunkt Freizeit, „Klassiker neu entdecken“ , stieß auf nur geringes Echo. Die Schüler wollen sich nachmittags eben doch nicht mehr mit Hesse, Goethe oder Schiller beschäftigen, ist Gäbeleins Vermutung.

Dafür fand sie unter den Senioren interessierte Zuhörer. Derzeit unterhält sie Literatursalons in zwei Seniorenresidenzen, dort wird vorgelesen, erzählt, reflektiert. Manchmal bekommt sie selbst neue Geschichten erzählt – und gewinnt eine andere Perspektive.

Die Beschäftigung mit dem Genre Roman führte letztlich mehr und mehr zur Fragestellung: Wie ist ein Roman aufgebaut? Diese analytische Ebene ist auch Inhalt der Schreibgruppe, grundsätzlich hänge es jedoch von den Wünschen und Erfahrungen der Teilnehmer, was im Kurs stattfindet: Der eine hat bisher eher Tagebuch geschrieben, der andere schon einen halben Roman in der Schublade und braucht einen Motivationsschub oder fragt, woran es liegt, dass es nicht weitergeht, der nächste würde lieber den Aufbau einer Kurzgeschichte besprechen. „Vieles kann man spielerisch austesten, beispielsweise Dialoge ausprobieren, in andere Rollen schlüpfen und das Schreiben aus fremdem Perspektiven üben“, sagt Gäbelein. Das helfe allen Teilnehmern.

Grundsätzlich wünsche sie sich mehr Schreibkultur in Potsdam. „Es wird hier viel gelesen, wir sind eine kreative Stadt, und es gibt einige kleine Schreibgruppen, aber alle irgendwie versteckt“. Es fehle das große Selbstbewusstsein, dass das eine schöne Sache ist – keine Hexenbraukunst. „Wer schreibt, ist kein Exot“, sagt Gabriele Gäbelein. Wer Lust dazu hat, sollte es einfach tun. Auch wenn kein Buch daraus wird, kein Verlag sofort anruft. Es darf auch einfach so Spaß machen, findet sie. Steffi Pyanoe

www.literaturgenuss.de

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