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Potsdams Stadtparlament hat viel zu entscheiden, wie hier bei einer Abstimmung über den Bau des Stadtschlosses 2006. Seit 1990 sind die Stadtverordneten frei gewählt.

© Andreas Klaer

Erste Kommunalwahlen in Potsdam: Turbulente Tage

Vor 25 Jahren wurden Potsdams Stadtverordnete erstmals wieder frei gewählt. Zeitzeugen sprechen von Aufbruchstimmung. Eine Zeit, die die Stadt bis heute prägt.

Potsdam - Viele engagierte Menschen und neue, bis dahin ungeahnte Möglichkeiten – die politische Wende in der DDR sorgte auch in Potsdam für turbulente Tage. „Das kann man sich heute kaum noch vorstellen“, erinnert sich Thomas Wernicke. Der Historiker war einer der Potsdamer, die am 6. Mai 1990 bei den ersten freien Kommunalwahlen in der DDR in den Rat der Stadt einzogen – wie die Stadtverordnetenversammlung damals hieß. Zum ersten Mal konnten auch die Potsdamer ihre kommunalen Vertreter aus verschiedenen Kandidaten unterschiedlicher Parteien ohne Zwang auswählen.

„Es waren dramatische Umbruchszeiten“, so Wernicke. Noch ein Jahr zuvor, am 7. Mai 1989, hatte das SED-Regime Kommunalwahlen fälschen lassen, um die üblichen 99 Prozent Zustimmung für die „Kandidaten der Nationalen Front“ zu erreichen. Doch der Betrug flog auf. Oppositionelle hatten die Auszählungen beobachtet und nachgerechnet. „Die SED konnte sich nicht mal an ihre eigenen Regeln halten“, erinnert sich Wernicke.

"Wir haben sogar ein bisschen Wahlkampf gemacht"

Im Frühjahr 1990 entdeckten auch die Potsdamer die Möglichkeiten der Demokratie. 74,4 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab – heute wäre eine solche Beteiligungsquote bei Kommunalwahlen ein deutlicher Ausreißer nach oben. Nur sechs Wochen zuvor hatte in der DDR die erste freie Wahl zur Volkskammer – dem Parlament – eine Mehrheit für die CDU-geführte „Allianz für Deutschland“ gebracht. Bei den Kommunalwahlen ging es für neu gegründete politische Gruppen wie das „Neue Forum“ oder die Ost-SPD auch um Einfluss und ihren Platz in der neuen politischen Landschaft. „Wir wollten viel verändern“, so Wernicke, der heute im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte arbeitet. Deshalb habe man sich der Wahl gestellt. „Wir haben sogar ein bisschen Wahlkampf gemacht, haben Stände aufgebaut und Menschen angesprochen.“

In Potsdam schlug sich die Bürgerbewegung nicht schlecht. „16 Mitglieder hatte unsere Fraktion ,Neues Forum/Argus’ im neuen Rat der Stadt“, so Wernicke. Er selbst wurde ihr erster Fraktionschef. Gemeinsam mit einer Koalition aus SPD und CDU wählte man den Sozialdemokraten Horst Gramlich zum neuen Oberbürgermeister. Anders als heute wurde das Stadtoberhaupt nicht von den Bürgern direkt gewählt. Am 30. Mai 1990 traten die ersten frei gewählten Stadtverordneten in Potsdam seit dem Ende der Weimarer Republik zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Im Plenarsaal in der Friedrich-Ebert-Straße war es eng. Statt heute 50 Mitglieder zählte das Stadtparlament damals 115 Stadtverordnete.

"Keine Häuser mehr in der Altstadt abgerissen"

Die Kommunalpolitik entwickelte sich für die neuen Stadtverordneten schnell zur Dauerbeschäftigung. „Sitzungen begannen gegen 13 Uhr und waren selten vor Mitternacht zu Ende“, sagt Wernicke. „Ich war eigentlich nie zu Hause.“ Gott sei Dank habe er gegenüber dem Rathaus gewohnt und sei mit vier Stunden Schlaf pro Tag ausgekommen, erinnert er sich.

Noch habe es die DDR gegeben, deren Kommunalverfassung viel Spielraum ließ, die Fragen zu klären, die damals in Potsdam zur Debatte standen. Für seine Fraktion sei dies damals vor allem die Rettung der maroden Innenstadt und die Denkmalpflege gewesen. „Es sollten keine Häuser mehr in der Altstadt abgerissen werden“, so Wernicke. Angesichts einer heutzutage von Touristen gefüllten Innenstadt und vieler sanierter Preußenschlösser ist die Dringlichkeit dieser Probleme heute schwer vorstellbar. Andere sind geblieben: „Niemand soll die Frage stellen: Wer kann sich Potsdam leisten?“, hatte Gramlich in seiner ersten Rede als neuer Oberbürgermeister 1990 gesagt. Für die Politikamateure ohne Parteiapparat wie Wernicke war das eine besondere Herausforderung. „Politik wurde im Wohnzimmer gemacht. Wir hatten ja keine Büros.“

Zwei Jahre Ausnahmezustand reichten

Wernicke selbst zog sich im Oktober 1991 aus der Politik zurück und gab sein Mandat ab. „Zwei Jahre Ausnahmezustand waren genug“, sagt er. „Ich hatte zwei kleine Kinder und wollte mein Studium beenden.“ Andere Urgesteine aus dieser Zeit hielten es deutlich länger in der Potsdamer Stadtpolitik aus. Noch heute sitzen mit Birgit Müller und Hans-Jürgen Scharfenberg von der Fraktion der Linken zwei der 1990 erstmals gewählten Stadtverordneten im Potsdamer Stadtparlament. Bis zur Kommunalwahl vor einem Jahr waren es sogar noch mehr: Mit Ute Bankwitz vom Bürgerbündnis, dem Linken Rolf Kutzmutz und Peter Lehmann von der CDU blieben drei weitere der ersten frei gewählten Stadtverordneten mehr als zwei Jahrzehnte im Stadtparlament.

Für Birgit Müller waren die ersten Jahre nach 1990 die schönsten gewesen, so die langjährige Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung. Eine Zeit von Aufbruch und Neugier, wie sie sagt. Die Wahl am 6. Mai 1990 sei auch für sie persönlich das erste Mal gewesen, dass sie zur Wahl stand. „Alles schien möglich“, erinnert sie sich. Das Handeln von Politik und Verwaltung sei weniger eingefahren gewesen. Sie wurde Vorsitzende des Ausschusses für Eingaben und Beschwerden. „Da hatte man mit allen Nöten und Ängsten der Menschen zu tun“, sagt sie. Wer ein Problem hatte, wendete sich an den Ausschuss. Es ging um Arbeitslosigkeit oder familiäre Schwierigkeiten.

Potsdam soll eine "Stadt des Friedens" sein

Im ersten Jahr nach der Wahl habe man aber auch Beschlüsse gefasst, die Potsdam bis heute prägen, so Müller. In einer Sondersitzung am Tag der Wiedervereinigung beschlossen die Stadtverordneten beispielsweise, dass die einstige Garnisonsstadt eine „Stadt des Friedens“ ohne Militär sein soll. Die Annäherung an das historische Stadtbild wurde ebenso beschlossen wie der freie Zugang zu Ufern innerhalb der Stadt.

Um an diese Zeit des Aufbruchs zu erinnern, sei am 29. Mai – also in drei Wochen – eine Feierstunde vorgesehen, hieß es aus der Stadtverwaltung. Diese werde derzeit geplant. „So ein Tag darf nicht unbeachtet bleiben“, sagt auch Müller.

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