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Im Familienhaus der Arbeiterwohlfahrt sind 18 wohnungslose Familien mit Kindern untergebracht.

© Sandra Calvez

Erste amtliche Erfassung: 614 Potsdamer sind wohnungslos

Erstmals legt Potsdam eine Wohnungslosenstatistik vor. Familien mit Kindern sind besonders betroffen. 

Potsdam - Es ist eine Zahl, auf deren Erfassung Sozialverbände seit Jahren gedrungen haben: 614 Potsdamer:innen sind wohnungslos. Zwei Drittel davon sind Männer. Ein Viertel sind Kinder und Jugendliche. Das geht aus der ersten Potsdamer Wohnungslosenstatistik hervor, die Stadt und Arbeiterwohlfahrt (Awo) am gestrigen Donnerstag vorgestellt haben. Bis jetzt waren diese Daten nicht systematisch erhoben worden. „Wir bemühen uns seit Jahren um eine amtliche Statistik“, betonte auf Gregor Jekel, Leiter des Fachbereichs Wohnen in der Verwaltung bei der Vorstellung vor der Presse. 

Alleinerziehende und Paare mit Kindern

Die Potsdamer Daten, die neben der absoluten Zahl auch das Geschlecht, die Familiensituation und andere Merkmale umfassen, erlauben ein besseres Verständnis der Gruppe der Wohnungslosen. So sind in der Landeshauptstadt überdurchschnittlich viele Familien mit Kindern, darunter auch Alleinerziehende betroffen. „Diese Gruppe ist deutlich überrepräsentiert“, sagte Jekel. Sie stellen etwa die Hälfte aller Wohnungslosen in Potsdam dar. Ein Drittel sind Paare mit Kindern – wobei ihr Anteil an der Stadtbevölkerung nicht einmal 15 Prozent ausmacht. 16 Prozent sind alleinerziehende Mütter oder Väter mit Kindern, dreimal so viele wie ihr Anteil an Potsdams Einwohnern. 

„Es ist dramatisch, dass Familien wohnungslos werden“, sagte Birgit Hollmann, die das Familienhaus der Awo leitet. In dem Komplex aus drei Gebäuden am Stern stehen 18 Wohnungen für Familien zur Verfügung. Diese seien fast immer ausgelastet, so Hollmann. Die Einrichtung sei bundesweit ein Best Practice Beispiel, so die Leiterin, denn in vielen Städten gebe es gar keine speziellen Unterbringungen für wohnungslose Familien.

Angela Schweers, Chefin des Bezirksverbandes Potsdam der Arbeiterwohlfahrt. 
Angela Schweers, Chefin des Bezirksverbandes Potsdam der Arbeiterwohlfahrt. 

© Andreas Klaer

Das sei aber notwendig, macht Angela Schweers, Chefin der Potsdam Awo deutlich. „Kinder dürfen nicht in der Wohnungsnothilfe untergebracht werden, sonst werden ihre Lebenskarrieren vorgezeichnet“, warnt sie. Schon die Zwangsräumungen seien für Kinder und Jugendliche oft traumatisch. „Das wird völlig unterschätzt“, so Schweers. 

Sie fordert deshalb, insbesondere Familien mit Kindern nicht zwangszuräumen, sondern andere Modelle zu finden. Potsdamer:innen, denen ein Rauswurf aus der Wohnung droht, empfiehlt sie, frühzeitig Hilfe zu holen – nicht erst, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Träger wie die Awo, aber auch die Diakonie oder der Paritätische Wohlfahrtsverband haben spezielle Beratungsangebote für solche Fälle, können auch bei Behördengängen helfen. 

Fast 21 Jahre lang wohnunglos

Eine weitere Auffälligkeit ist die Dauer der Wohnungslosigkeit. Fast die Hälfte der erfassten Personen waren zum Stichtag Ende Januar schon seit mehr als einem Jahr ohne Wohnung. Etwa zehn Prozent sind sogar länger als fünf Jahre wohnungslos. Die längste Wohnungslosigkeit umfasste fast 21 Jahre. „Ab einem Jahr sprechen wir von Langzeitwohnungslosigkeit“, erläuterte Jekel. „Diese Fälle stellen für uns ein echtes Problem dar, da wir sie nur schlecht in den Wohnungsmarkt reintegrieren können.“ 

Gregor Jekel, Fachbereichsleiter Wohnen in der Potsdamer Verwaltung. 
Gregor Jekel, Fachbereichsleiter Wohnen in der Potsdamer Verwaltung. 

© Andreas Klaer

Für Verwaltung und Sozialverbände liege deshalb der Fokus auf Prävention, um es gar nicht zur Wohnungslosigkeit kommen zu lassen. Würden die Menschen erst einmal von der Stadt in einer Einrichtung untergebracht, sei der Weg zurück in ein reguläres Mietverhältnis schwer, so Jekel. Bei der Unterbringung haben die Personen zwar auch ein Dach über dem Kopf, aber nicht selbstbestimmt mit eigenem Mietvertrag. 

"Gegen Wohnungslosigkeit helfen nur Wohnungen"

Lösungsansatz ist nach Ansicht von Awo-Chefin Schweers deshalb trotz fast hundertprozentiger Ausladung der vorhandenen Strukturen keinesfalls die Schaffung weiterer Einrichtungen der Wohnungsnothilfe. „Bitte nicht noch mehr Plätze in Unterkünften“, sagte sie. „Gegen Wohnungslosigkeit helfen nur Wohnungen.“ Es brauche mehr sozialen Wohnungsbau in Potsdam, mehr bezahlbare Wohnungen auch für Familien. 

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Die neue Statistik beruht auf dem vom Bundestag beschlossenen Wohnungslosenberichterstattungsgesetz. Ziel sind einheitliche, vergleichbare Zahlen von Wohnungslosigkeit. Erfasst werden dabei Wohnungslose, die von der Stadt untergebracht wurden. Es sind also Potsdamer:innen, die in Notunterkünften oder auch der Gemeinschaftsunterkunft am Lerchensteig übernachten. Wichtig hierbei: Die Zahl umfasst damit nicht die Obdachlosen, die auf der Straße leben. Jekel schätzt deren Zahl in Potsdam auf 100 Personen. 

Ebenfalls im Dunkeln bleibt die verdeckte Obdachlosigkeit, also Personen, die bei wechselnden Bekannten unterkommen. Auch Personen in speziellen Einrichtungen wie etwa der Eingliederungshilfe für wohnungslose Menschen mit psychischen Erkrankungen werden nicht mitgezählt. 

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