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Erstaufnahme-Zweigstelle für Flüchtlinge in Potsdam: Protest nur von links

Bis zu 1000 Flüchtlinge sollen im Winter in der Erstaufnahme-Zweigstelle in der Heinrich-Mann-Allee in Potsdam untergebracht werden. Es soll aber keine Dauerlösung sein, betont Brandenburgs Innenminister Schröter. Bei einer Bürgerversammlung gab es nun Kritik.

Potsdam - Mindestens bis zum kommenden Mai soll die neue Erstaufnahme-Zweigstelle in der Heinrich-Mann-Allee betrieben werden. „Dann müssen wir die Situation neu einschätzen“, sagte Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) bei einer Anwohnerversammlung am Donnerstagabend. Im Winter könnten an dem früheren Regierungsstandort bis zu 1000 Menschen unterkommen, die Hälfte davon in kältefesten Zelten. Der Standort werde aber – bei irgendwann einmal fallenden Flüchtlingszahlen – „keine Dauerlösung“ sein, so Schröter weiter.

Ärger über Umgang mit Flüchtlingen

Zu der im Laufe dieser Woche geplanten Versammlung kamen knapp 400 Teilnehmer, darunter viele ehrenamtliche Helfer, die sich seit Tagen in der Unterkunft engagieren, viele von ihnen gehören zur linken Szene der Stadt. Vor allem ihr Ärger über den geplanten Umgang mit den Flüchtlingen in der Heinrich-Mann-Allee dominierte den Abend, lautstark verliehen sie ihren Forderungen Nachdruck. Anwohner kamen nur wenige zu Wort.

Zum Hintergrund: Die zuständigen Behörden planen, die Flüchtlinge aus der Potsdamer Zweigstelle in die Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt zu bringen, wo sie amtlich registriert werden sollen. Dies wollen ehrenamtliche Helfer aus der linken Szene verhindern und hatten am Mittwochabend gedroht: „Wir werden uns allen staatlichen Maßnahmen entgegenstellen, die sich gegen unsere Forderung richten.“ Und: „Wir warnen hiermit alle zuständigen Stellen, uns herauszufordern.“

Flüchtlinge fühlten sich in Potsdam sicher - zum ersten Mal nach Wochen

Am Donnerstag folgte vorsichtiges Zurückrudern. Ein Sprecher der Helfer sagte den PNN gegen Mittag: „Wir wollen es nicht auf eine Eskalation ankommen lassen.“ Zuvor hätten selbst Unterstützer ihr Unverständnis über den Tonfall der Erklärung geäußert, wie es gegenüber den PNN hieß. Der Sprecher der Helfer sagte aber auch, man fühle sich weiterhin den Flüchtlingen verpflichtet, die Angst vor einem Transport in das völlig überfüllte Lager in Eisenhüttenstadt hätten: „Erstmals seit Wochen fühlen sie sich sicher.“ Derzeit sind rund 350 Flüchtlinge vor Ort, nach Redaktionsschluss sollten weitere 100 Personen auf dem Gelände ankommen.

Zuständig für die Registrierung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das Landesinnenministerium müsste den Transport übernehmen. Dessen Sprecher Ingo Decker sagte, die Fahrt nach Eisenhüttenstadt sei für Menschen, die teils 1000 Kilometer strapaziöse Reise hinter sich hätten, durchaus zumutbar. Die Kritik an diesem Verfahrensschritt sei „herbeigeredet“, schließlich seien die Flüchtlinge hier in Sicherheit. Gleichwohl wäre eine Registrierung vor Ort in Potsdam insofern besser, weil die weiteren Fahrten zusätzlichen Aufwand für die zuständigen Behörden bedeuten würden. Derzeit sehe es allerdings so aus, dass aus personellen und technischen Gründen keine amtliche Registrierung in Potsdam möglich sei, so Decker. Vom BAMF sagte ein Sprecher, unter anderem fehle eine spezielle IT-Anbindung. Zudem müssten für einen sofortigen Einsatz in Potsdam Mitarbeiter, die bereits für andere Asylverfahren eingeplant sind, abgezogen werden. Mit Personalknappheit argumentierte bei der Bürgerversammlung auch Frank Nürnberger, der Leiter in Eisenhüttenstadt – entsprechendes Personal müsse auch erst geschult werden. Als Kompromissvariante könne er sich aber vorstellen, dass die Potsdamer Flüchtlinge innerhalb eines Tages hin- und wieder zurückfahren könnten. Allerdings würden sie in Eisenhüttenstadt zum Beispiel in einem komfortableren Hotel untergebracht, als dies in Potsdam möglich wäre, machte Nürnberger deutlich.

Potsdam nur als Durchgangsstation

Nach der Registrierung sollen die Flüchtlinge ohnehin innerhalb weniger Tage auf andere Landkreise in Brandenburg verteilt werden – Potsdam wäre also eine Durchgangsstation. Trotz der Differenzen bedankte sich Minister Schröter ausdrücklich bei den Helfern und ihrer Arbeit. Eine Sprecherin der Aktivisten hielt ihm entgegen, ohne die Arbeit der Ehrenamtler wäre sicher Chaos ausgebrochen. Dies wiederum wies ein Verantwortlicher des Deutschen Roten Kreuzes zurück, das die Einrichtung betreibt: Zwar seien derzeit nur 15 Mitarbeiter in die Arbeit eingespannt, deren Zahl werde in den kommenden Wochen auf 35 erhöht. Ohne die starke Entlastung durch die Ehrenamtler hätte man aber unter anderem Kollegen aus dem Katastrophenschutz anfordern können, wies der DRK-Vertreter den Vorwurf zurück, ein Chaos habe gedroht.

Die Arbeit vor Ort lobte indes Stephan Goericke, Geschäftsführer des weltweit tätigen Zertifizierers International Software Quality Institute mit Sitz in Potsdam. Er gehört zu den Unternehmern, die sich an der Heinrich-Mann-Allee engagiert haben – unter anderem stellte er eine iranische Mitarbeiterin frei, die Farsi übersetzen kann. „Zudem bereiten wir Laptops vor, die wir spenden“, sagte Goericke den PNN auf Anfrage. Zusammen mit seinen Mitarbeitern habe er zudem Schlaf- und Unterwäsche gekauft und verteilt. „Das war eine spontane Entscheidung.“ Angesichts der Lage hoffe er, dass das Engagement nicht umsonst gewesen sei, wenn nun die Flüchtlinge vielleicht nach Eisenhüttenstadt zur Registrierung müssten. Vor Ort würden viele verschiedene Potsdamer helfen, Unternehmer, Angestellte, Linke. „Das habe ich so noch nicht erlebt.“ Ein mit dem Verfahren betrauter Beamter sagte, man versuche auch, die Hilfe auf andere, längerfristige Flüchtlingsheime in Potsdam zu kanalisieren.

Weitere Hilfe von Gastronomen

Auch weitere Hilfe wird organisiert. Im sozialen Netzwerk „Facebook“ gründete sich eine Café „Zweitwohnsitz“ in Potsdam-West oder dem Buena Vida Coffee Club am Bassinplatz. Der Nil-Studentenkeller spendierte mit einem Händler Getränke für rund 250 Euro. So groß ist die Hilfsbereitschaft, dass manches nicht mehr benötigt wird. „Keine Frauenklamotten mehr: Wir können das nicht lagern“, hieß es bereits am Donnerstagmittag. Noch gebraucht wird etwa nicht getragene Unterwäsche, aber auch Waren des täglichen Bedarfs.

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