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Mitten in der Stadt. Äpfel aus der Alexandrowka.

© Andreas Klaer

Ernte auf den Streuobstwiesen: „Um einen Apfelbaum zu pflanzen, ist es nie zu spät“

Das Wissen um heimisches Obst wie den Apfel geht verloren, sagt der Streuobstpädagoge Konstantin Schroth. Er gibt Tipps vom richtigen Zeitpunkt für die Ernte bis zur Verarbeitung.

Herr Schroth, am Potsdamer Stadtrand, zum Beispiel in Bornim, hängen die Bäume voller Obst, das keiner ernten will, berichtete einer unserer Kollegen. Andererseits wollen alle nachhaltiger leben und Selbermachen ist wieder angesagt. Gerade wurde in Potsdam ein Apfelfest gefeiert. Wie erklären Sie sich das?
 

Meine Wahrnehmung ist, dass das regional sehr unterschiedlich ist. Auf Streuobstwiesen in Golm und Töplitz wird geerntet, in Bornim sieht es tatsächlich anders aus. Da ist aber die Struktur der Wohnbebauung auch eine andere. Es sind neue Reihenhäuser und bei der Gartengestaltung kommen eher Ziergehölze zum Einsatz, nur noch selten große, langlebige Obstbäume. Die Prioritäten haben sich geändert. Und so werden auch die Obstbäume vor der Haustür viel weniger wahrgenommen und genutzt.

Dort wächst das Obst wirklich vor der Haustür?

Ja, die frühere Obstbauanlage wurde bei der Gestaltung des neuen Wohnquartiers berücksichtigt. Viele alte Bäume an den Wegen wurden stehen gelassen und neue dazwischen gepflanzt. Es gibt auch Leute, die ernten, aber das sind offenbar nur wenige. Noch vor zwei Generationen war das ganz anders. Da konnte man sich gar nicht erlauben, so eine Chance ungenutzt zu lassen. Es wurde geerntet und eingeweckt – das brachte einen gut durch den Winter. Heute werden 80 bis 90 Prozent des hier verbrauchten Obstes importiert. Was Vitamine betrifft, sind wir also fast ein reines Importland.

Stattdessen könnte man ernten, was hier wild wächst – darf man das eigentlich?

Soweit ich weiß, darf man kleine Mengen pflücken, mal eine Handvoll zum Kosten. Ansonsten ist man, wenn es nicht direkt von der Gemeinde frei gegeben ist, bei Bäumen an Landstraßen zum Beispiel verpflichtet nachzufragen, bei der Gemeinde oder beim Landkreis.

Wenn man dann legal pflücken darf – warum machen es doch nur wenige?

Es ist vielleicht für viele eine Frage der Zeit. Oder weil man sich nicht mehr auskennt. Es gibt so viele essbare Sachen in der Natur, aber wer kennt noch die Felsenbirne oder Kornelkirsche? Im Zweifelsfall ist das immer die angeblich ungenießbare Vogelbeere.

Es gibt also einen Wissensverlust?

Ja, durchaus, in Punkto Artenkenntnis, Erntezeitpunkt und Verwendung beziehungsweise Verarbeitung der Ernte. Man unterscheidet zum Beispiel zwischen Pflück- und Genussreife, weil manche Äpfel oder Birnen nach dem Pflücken noch eine Weile liegen müssen. Wird ein Apfel frisch vom Baum probiert, kann es bei manchen Sorten sein, dass er nicht schmeckt. Das ist dann enttäuschend. Dabei hätte er ein paar Tage oder Wochen später besser geschmeckt. Das Angebot ist so vielfältig und jede Sorte für was anderes geeignet. Es gibt Tafeläpfel, Backäpfel, Saftäpfel, Lageräpfel – das muss man wissen. Oder eben einfach ausprobieren.

Gibt es nicht auch einen Trend zurück zum Selbermachen?

Ja, es werden tatsächlich auch immer mehr, die sich dafür interessieren und das auch tun. Da entwickelt sich eine neue Wertschätzung für regionale Produkte. Manche machen das auch schlichtweg, weil es Geld spart.

Was kann ich denn damit machen – außer Apfelkuchen backen?

Mosten ist die einfachste und schnellste Verarbeitung. Es gibt mittlerweile einige Mostereien in Brandenburg, wo man sein Obst hinbringen kann. Das kann man häufig ab 50 Kilogramm machen. Und die hat man schnell zusammen. Ein alter hochstämmiger Apfelbaum im Garten ergibt meist noch viel mehr.

Wie funktioniert das Mosten?

Man fährt mit dem Obst zur Mosterei, dort wird das Obst durchgesehen, gehäckselt und dann der Saft herausgepresst. Der reine Saft wird auf etwa 82 Grad erhitzt, in Glasflaschen abgefüllt und ist dann mindestens ein Jahr haltbar. 50 Kilo Äpfel ergeben etwa 30 Liter und es kostet pro Liter etwa einen Euro. Wer die Flaschen beim nächsten Mal mitbringt, zahlt weniger. Das Ganze dauert etwa eine Stunde und man kann zusehen, wie aus seinen eigenen Äpfeln Saft wird, den man dann mit nach Hause nimmt. Das ist auch ein schönes Erlebnis.

Welche Qualität müssen die Äpfel haben? Kann ich auch Fallobst nehmen? Da sind dann vielleicht Maden drin, nicht so appetitlich.

Die Äpfel dürfen keine Faulstellen haben – frische Druckstellen oder Dellen sind nicht schlimm. Und ob eine Made drin ist, sieht man in der Regel. Ganz ausschließen kann man das natürlich nie, aber der Saft wird ja zuletzt noch erhitzt.

Was ist das Besondere an dem Selbstgepressten?

Er enthält keine Zusatzstoffe, keinen extra Zucker, aber alles Gute aus der Natur. Er ist naturtrüb, Ballaststoffe bleiben drin, sekundäre Pflanzenstoffe, Pektin. Die Vitamine werden weitgehend erhalten, weil er nicht abgekocht wird. Und er schmeckt immer anders, je nach Sorte. Manche geben sortenrein einen sehr schönen Geschmack, andere eigenen sich zum Mischen. Alte Sorten wie der Ontario haben übrigens oft einen sehr hohen Vitamin C-Gehalt.

Was ist mit Kirschen oder Pflaumen, kann ich die auch entsaften?

Dafür bräuchte man andere Maschinen. Was in einer Apfelpresse auch funktioniert, sind Möhren, Rote Bete oder Quitten. Das kann man prima mit Äpfeln kombinieren.

Jetzt hängt der Baum voll und ich möchte ernten – aber ich habe keinen Termin in der Mosterei bekommen, was mache ich da?

Die Äpfel kann man bis zum Termin an einem kühlen Ort ein paar Wochen lagern, vielleicht in der Garage oder im Keller. Es gibt allerdings derzeit genug Termine, weil die Ernte 2019 nicht so gut ausfiel.

Wenn sich das Klima verändert, muss sich auch was im Obstbau ändern?

Ich bin dafür, mit anderen Sorten und auch Obstarten zu experimentieren. Etwa Aprikosen pflanzen, die kommen mit höheren Temperaturen und weniger Wasser zurecht. Es gibt Leute, die probieren den Anbau von Mandelbäumchen. Das ist gar nicht so verrückt – der Alte Fritz hatte ja auch Feigen im Garten. Aber auch um einen simplen Apfelbaum zu pflanzen ist es nie zu spät.

Das Interview führte Steffi Pyanoe

Konstantin Schroth (34), hat Naturschutz und Landschaftsnutzung studiert. Er arbeitet unter anderem als freiberuflicher Streuobstpädagoge, Obstgehölzpfleger und bei der Mosterei Ketzür.

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