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Erinnerungen des "Minsk"-Architekten: Die große Freiheit in Potsdam

Der Bau des Terrassenrestaurant „Minsk“ am Potsdamer Brauhausberg ist das Lebesnwerk des Architekten Karl-Heinz Birkholz. Er wünscht sich, dass es stehen bleiben kann. Ein Besuch.

Von Peer Straube

Er hat sie noch, die letzten Reliquien. Eine Lampe aus Bleiglas mit einem Fuß aus Kupfer, bestimmt acht Kilo schwer. Früher stand das Modell im „Minsk“ auf jedem Tisch, beleuchtete zahllose Feiern, romantische Abende und Hochzeitsgesellschaften. Ein kleines Pferd aus Stroh besitzt er auch noch. Künstler aus Minsk haben es ihm damals geschenkt. Das mehr als einen Meter hohe Pendant verschönerte zu DDR-Zeiten den Eingangsbereich des Terrassenrestaurants.

„Nach so vielen Jahren kommt das jetzt alles wieder hoch“, sagt Karl-Heinz Birkholz. Der 83-Jährige kämpft mit den Tränen. Birkholz ist der Architekt des „Minsk“ auf dem Brauhausberg, das jetzt womöglich für eine Wohnbebauung abgerissen werden soll. Es ist sein Lebenswerk. „Von der ersten Skizze bis zur letzten Serviette konnte ich die Entscheidungen treffen“, sagt Birkholz. Nie zuvor und niemals wieder sollte Birkholz als Architekt so viele Freiheiten genießen, sich so sehr selbst verwirklichen können. Dass das einst beliebte Lokal geschleift werden soll, macht ihn traurig, vor allem die Respektlosigkeit der Entscheidungsträger. Als Baudezernent Matthias Klipp (Grüne) auf einer Veranstaltung von „diesem Betonklotz“ gesprochen habe, „ist mir die Hutschnur geplatzt“, sagt Birkholz. „So kann nur jemand sprechen, der keinen Bezug zu Potsdam hat.“ Bis heute habe aus dem Rathaus niemand mit ihm gesprochen oder gar nach seiner Meinung gefragt, klagt der Ruheständler.

Als der gebürtige Drossener, ein kleiner Ort bei Frankfurt an der Oder, 1955 nach Potsdam kommt, ist die junge DDR noch weit entfernt davon, Beton als Mittel sozialistischer Stadtgestaltung einzusetzen. „Hier entsteht die erste Barockstraße Deutschlands“ kündet stolz ein Schild am Platz der Einheit. Birkholz’ erster Job ist es, gemeinsam mit anderen jungen Leuten die neuen Wohnungen hinter den historischen Fassaden der Wilhelm- Staab-Straße zu projektieren. Die Leitung hat ein alter Hase, Carl Rechholtz. „Der hat alle Fassaden mit dem Bleistift gezeichnet. Das hat mich unglaublich beeindruckt.“ Die Arbeit mit Rechholtz prägt den jungen Mann – und die „unerhörte Achtung vor Potsdam“, wie er heute sagt. „Wir als Architekten hatten ja nicht nur Betonplatten im Kopf.“

Doch die Zeiten ändern sich. 1960 wird die Ruine des Stadtschlosses abgerissen. Von seiner Wohnung in der Brunnen-Siedlung fährt Birkholz auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag mit dem Fahrrad daran vorbei. Im Büro habe große Aufregung geherrscht, sagt er. An den Protesten hat er sich nicht beteiligt. „Ich war viel zu jung, um zu erkennen, wie wichtig das Schloss war“, räumt Birkholz ein. Heute sieht er das anders. Dass das Schloss dort wieder steht, mit seiner Knobelsdorff-Fassade – der Baumeister ist eines von seinen Vorbildern –, sei auch der Beharrlichkeit der Bürgerinitiative Mitteschön zu verdanken, sagt der Architekt. „Hut ab vor diesen Leuten.“ Den „hohlen Zahn“ neben dem Stadtschloss, das Mercure-Hotel, wünscht er sich weg. „Ich bedaure es, dass man Hasso Plattner nicht davon überzeugen konnte, dort eine Kunsthalle zu bauen“, sagt Birkholz. Der Bau des damaligen Interhotels der DDR sei eine „politische Demonstration“ gewesen, ein „Zeichen nach Wannsee“: „Das ist das neue Potsdam.“

An dessen Aufbau beteiligt er sich. Die Wohnsiedlung Am Brunnen ist Birkholz’ erstes eigenes Wohnungsbauprojekt – und er zieht auch gleich selbst dort ein. Weitere Wohnungen baut der junge Architekt an der Sandscholle und in der Behlertstraße. Hinzu kommen Verwaltungsgebäude, aber auch Schulen wie in Stahnsdorf. Mitte der 60er Jahre schlägt Birkholz’ große Stunde. Er bekommt die Stelle des Generalprojektanten für Potsdams Stadtmitte und soll den Entwurf des Potsdamer Architekten Günther Vandenhertz für den Alten Markt realisieren – mit einem großen Theater nebst Mehrzweckhalle. Doch die Pläne scheitern – nicht zuletzt, weil es am Havelufer zu wenig Platz dafür gab. Als Ersatz bietet man Birkholz die Projektierung des „Terrassenrestaurants am Brauhausberg“ an, wie das Vorhaben Ende der 60er Jahre noch offiziell hieß. Auch dafür hatte Vandenhertz einen Entwurf geliefert, einen eingeschossigen Rundbau. Birkholz verwirft die Idee zugunsten eines zweigeschossigen Gebäudes, das sich in den Hang einpasst. Er will ein Restaurant mit Panoramaverglasung. Die Besucher sollen den Ausblick auf die Stadtsilhouette genießen können. Bei der HO, der DDR-Handelsorganisation als Trägerin der Gaststätte, kommt der Vorschlag gut an. Auch Stadtarchitekt Werner Berg gibt seinen Segen.

1971 wird mit dem Rohbau der Stahlbetonskelettkonstruktion begonnen. Doch schon wenig später liegt das Projekt auf Eis, „weil der ganze Stahl in den Palast der Republik gepumpt wurde“, erzählt Birkholz. Die DDR-Hauptstadt ging immer vor eine Bezirkshauptstadt. Vier Jahre dauert es, bis ein glücklicher Zufall hilft. Die weißrussische Hauptstadt Minsk hat mit Potsdam eine Städtepartnerschaft geschlossen – die SED-Bezirksleitung im „Kreml“, dem heutigen Landtag, will das sozialistische Freundschaftsband entsprechend feiern: Das Terrassenrestaurant soll als belorussische Folkloregaststätte fertiggestellt werden, und zwar rechtzeitig zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution im Jahre 1977.

Birkholz kann plötzlich aus dem Vollen schöpfen: geflammter Marmor aus Russland für die Eingangshalle, Kupfer für die Lampen, edle Mooreiche für die dekorativen Schnitzereien. Es ist eine Koproduktion im besten Sinn: Soldaten aus dem sozialistischen Bruderland helfen beim Beton schleppen, Minsker Künstler gestalten in Absprache mit Birkholz die gesamte Inneneinrichtung. Weil sie die Fenster aus Bleiglas anfertigen wollen, werden extra die Rahmen verstärkt. „Zu den Künstlern hatte ich einen ganz tollen Draht“, erzählt der Architekt.

Umso leidvoller ist der Abschied. Birkholz lädt seine weißrussischen Freunde nach Hause zum Essen ein. Als man im „Kreml“ davon Wind bekommt, wird ihm die gastfreundliche Geste verboten. Die Minsker reagieren verständnislos, umso mehr, weil Birkholz ihnen keine Begründung liefern kann. Zur Einweihungsfeier wird er trotzdem mit Geschenken überhäuft: eine Axt, mit der das Mooreichenholz bearbeitet wurde, eine Kupferplatte mit Kreuzrittern drauf, das kleine Strohpferd. „Ich war so verlegen. Das ist mir sehr nahe gegangen“, sagt Birkholz mit Rührung in der Stimme.

Der Verfall des Baus nach der Wende macht ihm zu schaffen. Von der Einrichtung ist praktisch alles weg, geplündert von wem auch immer. Auch Fotos gibt es nur noch wenige. „Ich hab irgendwann alles weggeschmissen, heute könnte ich mich dafür schlagen“, sagt Birkholz.

Besonders jetzt, da es ums Ganze geht. Dabei hat er gar nichts gegen eine Bebauung des Brauhausbergs. Den Siegerentwurf für die Gestaltung vom Büro Löffler und Engel lobt er ausdrücklich, nur die Pergola, die den Freibadebereich von der Straße abschirmen soll, sei scheußlich. Die Platzierung der Wohnhäuser aber findet Birkholz gelungen – im Gegensatz zu den gigantischen Baumassen, die der Masterplan der Architekten Kohl & Krier vorsah. Löffler und Engel haben Platz für das „Minsk“ gelassen. Birkholz findet, dass es gut ins Ensemble hineinpassen würde. Disko, Jugendklub, Fitnessbereich oder Galerie – die Stahlskelettkonstruktion lasse ohne größere Umbauten fast jede Nutzung zu. Nur Wohnen, das wäre wohl schwierig im „Minsk“.

Vor 15 Jahren ist Birkholz nach Geltow gezogen. Er hat sich dort ein schlichtes Haus gebaut. „Manche Architekten müssen zeigen, was sie sind. Ich habe versucht, meinen Entwurf der Umgebung anzupassen.“ Heute ist er froh, dass er das „Minsk“ nicht mehr jeden Tag sehen muss. „Als Architekt habe ich nichts Besseres gestalten dürfen“, sagt er leise. Es fallen sehen zu müssen, „ja, das tut weh“.

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