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Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker engagierte sich schon vor dem Mauerfall vor allem für die Kirchen in Potsdam. 2014 besuchte er den Ort der Garnisonkirche in der Innenstadt. 

© Andreas Klaer

Erinnerung an Richard von Weizsäcker.: Seine Spuren in Potsdam

Heute jährt sich Richard von Weizsäckers Geburtstag zum 100. Mal. Auch fünf Jahre nach seinem Tod gibt es keine öffentliche Würdigung in Potsdam.

Potsdam - Von Herzen ein Potsdam-Freund, Preußen-Kenner – und Liebling der Deutschen als Bundespräsident: Richard von Weizsäcker, der schwäbische Märker an Spree und Havel, wäre heute, am 15. April, 100 Jahre alt geworden. Auf nahezu 95 Jahre höchst lebendigen, reichen, erfolgreichen – aber auch bitterer, familiärer Stunden – Lebens hatte er es gebracht, als er am 31. Januar 2015 in seiner Dahlemer Villa starb. Potsdam – als 18-jähriger Rekrut aus Schwaben erstmals hierher angereist war ihm über Jahrzehnte eine Herzenssache.

Aber zeigt sich die Stadt, gewiss nicht arm an Prominenten und weltweitem Zuspruch, auch mit ihm verbunden? In welcher Weise auch immer? Nirgends ein Hinweis auf den genialen Rhetoriker – zeitlos eindrücklich ist Weizsäckers Rede aus dem Jahr 1985 zum Gedenken an den 8. Mai 1945. Kein Zeichen in der Stadt auf den dünkellosen Adeligen und den nachdenklichen „homo politicus“.

Gewiss: Weizsäcker trug sich am 3.Juli 1993 anlässlich eines offiziellen Besuchs als Bundespräsident mit seiner Frau Marianne – wie alle seine Vorgänger und Nachfolger im Amt – in das Goldene Buch der Stadt ein. Da fand er sich mit Willy Brandt, Vaclav Havel, Manfred Stolpe, Hasso Plattner und Günther Jauch wieder. Aber das offizielle Potsdam schien sonst – erkennbar wenigstens – nicht unbedingt von ihm Notiz zu nehmen.

Die vielleicht beglückendste Stunde seiner Laufbahn war in den Tagen des Mauerfalls der erste Gang über die wieder offene Glienicker Brücke. 
Die vielleicht beglückendste Stunde seiner Laufbahn war in den Tagen des Mauerfalls der erste Gang über die wieder offene Glienicker Brücke. 

© H.D. Behrendt/Archiv

Potsdam war sein Terrain

Dabei stünden – denkt sich der Laie – doch in einer ausgreifenden, prosperierenden Metropole wie Potsdam ausreichend neugeschaffene Straßen, Plätze und Wege parat, die Benennungen brauchen. Aber angesichts des rabiaten Tons, der bereits in der hektischen Debatte über „Frauen-Straßennamen“ in der neuen Potsdamer Mitte vor nicht allzu langer Zeit aufklang, wäre das vermutlich der Beginn einer endlosen Debatte.

Dabei ließ Potsdam den Mann aus dem friderizianischen Schloss Bellevue nie los: Die Stadt war und blieb sein – durchaus emotional – geprägtes Terrain. Er war als Ehrenkurator für den Wiederaufbau der Garnisonkirche hochengagiert. Einer seiner vielleicht letzten öffentlichen Auftritte geschah in Potsdam – im Mai 2014. Auf seinen Gehstock gestützt, das schlohweiße, volle Haar im Wind, verfolgte er stets hellwach, ironische Anmerkungen liebend, den Kopf leicht schief geneigt, charmant und akkurat wie immer, die feierliche Aufstellung der neuen Wetterfahne der Kirche: „Ich freue mich, dass sie wieder da ist. Das ist ein wichtiger Schritt des Wiederaufbaus und damit zur Wiedergewinnung der Kirche als Ort der Friedens- und Versöhnungsarbeit.“

Weizsäckers Engagement für Kirchen

Gewiss gingen in solchen Stunden auch seine Gedanken zurück an die sonntäglichen Pflicht-Gottesdienste der Jungen Rekruten des „Infanterieregiments Nr. 9“ – der Volksmund gab dem Verband den Spitznamen „Graf Neun“–, als er und seine später im NS-Widerstand hochaktiven Kameraden auf den harten Kirchenbänken die Gesangbücher aufschlugen.

Mit den Potsdamer Kirchen hatte es Weizsäcker ohnehin. Unvergessen ist sein Engagement für die Rettung der heillos dem Einsturz entgegendämmernden Heilands-Kirche im Sacrower Grenzstreifen. In seiner Zeit als Regierender Bürgermeister in Berlin zwischen 1981 und 1984 verständigte er sich mit dem Herausgeber des „Tagesspiegel“, seinem schwäbischen Landsmann Franz Karl Maier, besorgte 500 000 D-Mark aus Senatsmitteln, Maier ebenso viel aus seiner Stiftung – und das Sanierungsgeld ging seinen Weg über Manfred Stolpe als wichtigster DDR-Kirchenmann an den Kirchenbund – und als willkommener Devisenzufluss in den Haushalt der SED-Mächtigen. Die Heilandskirche überlebte.

Der Autor dieses Textes: Journalist Hans-Rüdiger Karutz im Cafe-Heider Potsdam im Jahr 2017.
Der Autor dieses Textes: Journalist Hans-Rüdiger Karutz im Cafe-Heider Potsdam im Jahr 2017.

© Manfred Thomas

Er entkam der Nacht von Potsdam durch einen Zufall

Wer weiß noch, dass Weizsäcker als Schirmherr die Orgel-Sanierung der Friedenskirche am Park Sanssouci in Schwung brachte? Potsdam verdankt Weizsäcker auch einen entscheidenden Anteil an der Neubestimmung der Garnisonkirche: Weg vom reinen Bau ihrer Zeit zum Versöhnungsgedanken – ohne den die Stadtverordneten den Wiederaufbau vermutlich nie genehmigt hätten. Auf diesem Weg aber überwarf sich Weizsäcker mit der damals federführenden „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“. Sie hatte unter Max Klaar bereits sechs Millionen Euro für den Aufbau gesammelt, auch Weizsäcker spendete im Rahmen der Initiative Geld. Er trennte sich aber von den Initiatoren, die eine – im hergebrachten Sinne – streng kirchlich-religiöse Nutzung zur Bedingung machten. Weizsäcker forderte gar seine Spende zurück, der mühsame Weg der Neu-Besinnung auf Sinn und Zweck des Neubaus begann und er begleitete ihn.

Weizsäcker verband viel mit Potsdamer Kirchen: Im Pfarrhaus von Gottfried Kunzendorf in Bornstedt saß er oft mit seiner Frau Marianne – die familiäre Bindungen in Bornstedt hatte, mit Passierschein aus West-Berlin herüberkommend, stets unter den Augen der filmenden Stasi. Seine starke innere Nähe zu Potsdam zeigte sich auch in seiner Zeit als Regierender: In seiner Biografie „Vier Zeiten“ schreibt er von den Wochenenden mit Ziel Glienicker Brücke: „Wo in der Mitte die Sperren und unerträglichen Wachen lauerten, die uns den seit der Jugend gewohnten Zugang nach Potsdam, meiner alten Garnisonstadt, versperrten.“ Er entkam der Bombennacht am 14. April 1945 durch reinen Zufall, begab sich nur kurze Zeit vor dem Angriff mit der noch verkehrenden S-Bahn nach Berlin.

Eine Würdigung steht aus

Er blieb ein Potsdamer, wenn auch Jahrzehnte ohne Potsdam: Die vielleicht beglückendste Stunde seiner Laufbahn beschrieb er anlässlich des 12. November 1989 auf der Glienicker Brücke: „Und nun strömten wir hinüber und herüber mit ungläubig strahlenden Gesichtern und trugen unsere bewegten Herzen auf den Lippen.“

Ob kommunale Bestimmungen gegen eine Ehrung Weizsäckers im öffentlichen Raum stehen, ist offen: Gedanken über eine Würdigung des sich stets zu Potsdam bekennenden Mannes wären wohl dennoch angemessen. In seiner Neigung zur Lakonie hätte er wohl in solchen Momenten gesagt: „Vielleicht. Wer weiß.“

Infos zum Autor dieses Textes:

Hans-Rüdiger Karutz, Jahrgang 1941, aufgewachsen in Potsdam, Helmholtz-Schüler, journalistische Laufbahn beim Kölner Stadt-Anzeiger, Tagesspiegel und Welt-Chefkorrespondent, seit 2006 freier

Autor.

Hans-Rüdiger Karutz

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