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Landeshauptstadt: Erinnerung an glücklichere Zeiten Ein Kopftuch half Hergart Wilmanns über die Haft

Am 18. April wird die Dauerausstellung in der Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße 1 eröffnet.

Am 18. April wird die Dauerausstellung in der Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße 1 eröffnet. Die „Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten“ ist Träger der Gedenkstätte und hat für die Schau umfangreiche Forschung betrieben. In einer fünfteiligen Serie stellen die PNN in Kooperation mit der Stiftung fünf Ausstellungsstücke und ihre Geschichte vor.

Das Kopftuch ist aus Kunstseide, himmelblau mit roten Punkten. Für die Besitzerin, Hergart Wilmanns, war es weit mehr als nur ein modisches Accessoire: Sie konnte das Tuch über ihre mehrjährige Haftzeit in sowjetischen Gefängnissen und Lagern retten – es gab ihr Kraft, die Haft zu ertragen. Für die junge Frau, die 1947 durch den sowjetischen Geheimdienst festgenommen wurde, wurde das Stück Stoff zum Symbol dafür, „dass nicht nur die düstere Gegenwart, sondern auch die schöne Vergangenheit wahr sind“, wie sie 2001 in ihrem Erinnerungsbericht schrieb.

Das Tuch hatte ihre Mutter ihr bei der Festnahme im letzten Moment zugeworfen. Weil Hergart Wilmanns Kontakte zu Engländern hatte, wurde sie der Spionage bezichtigt. Nach ihrer Festnahme saß die damals 18-Jährige vom 29. Mai bis Heiligabend 1947 im Untersuchungsgefängnis in der Leistikowstraße. Wegen angeblicher Spionage wurde sie schließlich zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt und kam ins Speziallager Nr. 10 Torgau, später in den sowjetischen Gulag.

Wie das Tuch die Entlausungsprozedur überlebt hat, erzählt Hergart Wilmanns in ihrem Bericht: „An den Wänden des kaum beheizten Umkleideraums stehen einige Bänke. Dort zieht man sich aus und legt sein Zeug zusammen für die Entlausung. Die Aufsicht neben dem Entlausungsofen beobachtet genau und wiederholt mit durchdringender barscher Stimme: ,Sofort alles abgeben, kein Lumpen darf draußen bleiben’.“ Wilmanns bittet um Vorsicht für das Tuch: „Bitte nicht so heiß behandeln, die Sachen sind von zu Hause.“ Ihr Wunsch wird erhört: „Im Ankleideraum liegen später meine Sachen vollzählig beieinander.“

1953, nach Stalins Tod, wurde Hergart Wilmanns vorzeitig entlassen. „Als erste von 45 Ausländerinnen aus Satellitenstaaten war ich aufgerufen worden – im russischen Alphabet ist W der dritte Buchstabe“, berichtete sie später. Zu den Erinnerungsstücken, die sie aus der Haft behält, gehören auch die Reste des Kopftuchs. Hergart Wilmanns kam nach der Entlassung zu ihrer Familie in Hessen. Sie holte ihr Abitur nach, studierte Slawistik, Volkswirtschaft und Sozialwissenschaften, heiratete und wurde Mutter einer Tochter. Sie arbeitete als Wissenschaftlerin unter anderem in Harvard, Freiburg und München. Dort verstarb sie am 25. Mai 2007.

Der dritte Teil der Serie erscheint morgen in den PNN.

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