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Erinnerung an Fritz Hirschfeld: Letzte Lebenszeichen eines Optimisten

Potsdams Landgericht erinnert an den von den Nazis ermordeten Richter Fritz Hirschfeld

Potsdam - „Ich will keine Worte des Abschieds schreiben, denn nach Abschied ist mir im Grunde gar nicht zumute“, schrieb Fritz Hirschfeld 1943 an seine Freunde im niederländischen Exil. Diese hatten den Potsdamer Richter, der vor den Nazis aus Deutschland geflohen war, wie ein Familienmitglied aufgenommen. Was die Familie Teulings damals noch nicht wusste: Es war eines der letzten Lebenszeichen, das sie von ihrem „Onkel Fritz“ erhalten sollten, einen Tag danach wurde er erst ins niederländische Internierungslager Westerbork und dann nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert. „Ob es möglich sein wird, von Theresienstadt direkt an euch zu schreiben, weiß ich nicht“, schreibt Hirschfeld, aber er wolle alle Nachrichten an Freunde in Deutschland weitergeben.

Der bewegende Abschiedsbrief war eines von mehreren persönlichen Dokumenten und Fotos Hirschfelds, die Myriam Teulings kürzlich als Leihgabe an das Landgericht Potsdam übergab, wo bis Ende des Jahres die Ausstellung „Verfolgte jüdische Juristen im Landgerichtsbezirk Potsdam“ zu sehen ist.

Hirschfeld, der zwischen 1927 und 1933 Vorsitzender des Potsdamer Arbeitsgerichtes war, ist einer der Juristen, an den die Ausstellung erinnert, und nach dem in diesem Jahr der Fritz-Hirschfeld-Raum im Landgericht Potsdam benannt wurde. Dokumentiert ist vor allem seine Zeit in Potsdam, über sein Leben im Exil hingegen war bislang kaum etwas bekannt. Dies hat sich nun durch die Leihgabe der Familie Teulings aus dem niederländischen Nijmegen geändert: Myriam Teulings war durch einen Artikel in den PNN auf die Ausstellung in Potsdam aufmerksam geworden und hatte mit dem Landgericht Kontakt aufgenommen, da sie sich mehr Informationen über Hirschfeld erhoffte, mit dem ihr Vater Leonardus mehrere Jahre lang befreundet war.

In Vertretung ihres 95-jährigen Vaters trug Myriam Teulings mehrere Erinnerungen des letzten lebenden Zeitzeugen vor, der Hirschfeld noch gekannt hatte: „Er war ein sehr ruhiger und mutiger Mensch. Wir waren sehr von seinen vielen Kenntnissen beeindruckt.“ 1938 war der jüdischstämmige Katholik Hirschfeld in der Reichspogromnacht festgenommen worden, die Freilassung erfolgte unter der Bedingung, dass Hirschfeld „Reichsfluchtsteuer“ in Höhe von 35 000 Reichsmark zahlte; zuvor hatte er bereits 38 000 Reichsmark „Sühneleistung“ und „Vermögensabgabe“ an die Nazis zahlen müssen. Hirschfeld flüchtete, musste jedoch seine krebskranke Frau bis zu ihrem Tod 1941 in Potsdam zurücklassen.

Mitte Februar 1939 war Hirschfeld im niederländischen Nieuwkuijk angekommen, „mit einer Bratsche, einer Violine, einem Cello und vielen Noten“, so Myriam Teulings. Er kam in einem Kloster unter, wo er die Lehrerin Paula Teulings kennenlernte. Hirschfeld besuchte in der Folgezeit die Familie Teulings regelmäßig. „Mein Vater war damals Anfang 20 und sehr von ihm angetan“, sagt Myriam Teulings. „Später kam er fast jedes Wochenende und erzählte uns viel über Mythologie oder das alte Ägypten – wir hörten atemlos zu“, heißt es in den Erinnerungen Leonardus Teulings. Hirschfeld lehrte ihn auch das Musizieren auf der Geige: „Er war sehr geduldig und hat mir die Liebe zur Musik beigebracht“, so Teulings.

Neben der Musik galt Hirschfelds Leidenschaft der Literatur: Er verfasste philosophische Texte und übersetzte niederländische Werke ins Deutsche, zum Beispiel Joost van den Vondels „Altargeheimnisse“. Ein anderes, selbstverfasstes Buch trägt den Titel „Von der Wirklichkeit – Gedanken von der Welt und Überwelt“, die Kapitel tragen Überschriften wie „Vom Sinn der Fröhlichkeit“, „Vom Gottvertrauen und von der Hoffung“ und „Von der Feindesliebe“. Diese zwei Werke sowie ein weiteres sind die einzigen Bücher, die von Hirschfeld noch erhalten sind; auch sie übergab Myriam Teulings an das Landgericht. „Als ich ihnen die Bücher übergeben habe, war es ein bisschen so, als bringe ich sie nach Hause“, sagte Myriam Teulings.

„Sie haben unserer Dokumentation über Fritz Hirschfeld Leben eingehaucht, wir hatten bislang nur Informationen aus Papieren“, bedankte sich Hans-Jürgen Wende bei MyriamTeulings. Der ehemalige Landgerichtspräsident hatte die Ausstellung zusammen mit der Potsdamer Juristischen Gesellschaft erarbeitet. „Jetzt können wir uns wirklich vorstellen, was für eine Richter-Persönlichkeit er gewesen ist“, so Wende.

Auch die Präsidentin des Landgerichtes, Ellen Chwolik-Lanfermann, zeigte sich dankbar und gerührt über den Einsatz der Teulings: „Ich bin so dankbar, das wir nun den Menschen Fritz Hirschfeld so anschaulich vor Augen geführt bekommen haben.“

Die Niederlande seien für ihn vier Jahre lang „so etwas wie eine Heimat“ gewesen, schrieb Hirschfeld in seinem Abschiedsbrief. Nachdem 1940 die Nazis einmarschiert waren, musste er jedoch auch aus dieser Heimat fliehen. Der Versuch, nach Brasilien auszuwandern, scheiterte jedoch, da die brasilianischen Behörden die Altersbegrenzung für Immigranten auf 40 Jahre festgelegt hatten.

Nachdem Hirschfeld nach Westerbork verschleppt worden war, riss der Kontakt nicht ab: Hirschfeld bat die Behörden in Westerbork, über Weihnachten für zwei Tage nach Nieuwkuijk zurückzukehren, um sich von den Teulings zu verabschieden. Dies wurde ihm erlaubt – unter der Bedingung, dass er nach Westerbork zurückkehren würde, was Hirschfeld tat. „Es war ein sehr dramatischer Abschied“, sagte Myriam Teulings.

Trotz des Leides und des Unrechts, das ihm widerfahren war, blieb Hirschfeld ein unerschütterlicher Optimist: „Er hat niemals von seinem Elend erzählt“, erinnert sich Leonardus Teulings. Selbst in seinem Abschiedsbrief sprach Hirschfeld mit Gelassenheit und Zuversicht davon, dass all das, was gerade passiere, „nur ein Durchgang und ein Übergang zu freundlicheren Lösungen“ sein werde. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen sollte: Nachdem er nach Theresienstadt verschleppt worden war, wurde er ins Oktober 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dort verlieren sich seine Spuren.

Leonardus Teulings blieb Hirschfeld als standfester und stets positiver Mensch in Erinnerung: „Er hat sicher auch in Theresienstadt im Orchester gespielt“, ist er sich sicher. „Er blieb allzeit der, der er war, auch im Güterwaggon, in dem er deportiert wurde. Selbst in der elendsten Lage hat er bestimmt noch einen gütigen Einfluss auf die Menschen um ihn herum ausgeübt“, so Teulings.

Die Erinnerung an Hirschfeld soll weiter erhalten werden: In den Niederlanden ist ein Stolperstein geplant, auch in Potsdam bemühen sich derzeit Privatpersonen um einen Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus Hirschfelds in der Griebnitzseestraße 8 im heutigen Klein Glienicke.

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