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Landeshauptstadt: Erinnerung als Antrieb

Das ganze Jahr über zeigen Potsdamer Kulturerben ihre Baudenkmäler. Das erste war gestern Kongsnæs

Michael Labitzke hat Tränen in den Augen, als er am vergangenen Samstag vor der wiedererrichteten Ventehalle der Matrosenstation Kongsnæs steht. „Es sieht wirklich ganz genauso aus wie damals“, sagt er. Damals, das sind die Jahre, die der 84-Jährige als Kind bei seinen Großeltern im Haus gegenüber der Anlegestelle am Jungfernsee verbracht hat. Schöne Erinnerungen seien das, aber auch traurige.

Denn an diesem Ort habe er nicht nur Schwimmen gelernt: „Mein Großvater wurde hier am 30. April 1945 von einem Granatsplitter tödlich ins Herz getroffen“, erzählt er. Das geschah, als die Matrosenstation in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkriegs unter Beschuss geriet und vollständig abbrannte. Der Großvater Adolf Eckert war der letzte Leiter der Anlage, die nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie in Deutschland von einer königlichen Matrosenstation zu einer Anlegestelle für Wassersportvereine wurde.

Doch Michael Labitzke ist heute nicht nur gekommen, um sich an seine Kindheit zu erinnern. Die Stadt Potsdam hatte zum Auftakt des Europäischen Kulturerbejahrs „Sharing Heritage“ (zu Deutsch „Geteiltes Erbe“) eingeladen, das unter dem Dach des Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz stattfindet. Das Ziel: Das Sichtbarmachen von kulturellem Erbe inklusive Anstrengungen derer, die sich um dessen Erhalt bemühen. „Europa in Potsdam – Kulturerben zeigen ihre Stadt“ lautet dazu das Motto der Landeshauptstadt.

Labitzke gehört als Mitglied des Fördervereins Kongsnæs auch dazu. Sein Verein setzt sich seit den 90er-Jahren für die Rekonstruktion der Matrosenstation in der ursprünglichen norwegischen Bauweise ein. Die Auftaktveranstaltung dient zugleich dazu, einen Einblick in die voranschreitende Sanierung der historischen Anlage am Jungfernsee zu gewähren.

Und das interessiert viele: Mit etwa 70 Menschen ist die Ventehalle, die wie nach dem Ersten Weltkrieg wieder ein Restaurant werden soll, gut gefüllt. Gekommen sind Mitglieder aus verschiedenen Vereinen und Initiativen, darunter die Fördergemeinschaft Gedenkstätte „Lindenstraße 54“, der Förderverein Pfingstberg oder der Förderverein der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Es riecht nach frisch verarbeitetem Holz, die Gäste bewundern die malerische Aussicht auf das Wasser. Von einigen ist Erstaunen darüber zu hören, dass die Grundmauern des Originalgebäudes erhalten geblieben sind. Ab 1961 waren sie Teil der deutsch-deutschen Grenze, welche die einstige Kulturlandschaft aus königlichen Bauten und Gartenkunst im Neuen Garten und dem Park Babelsberg in weiten Teilen zerstörte.

Bernd Rubelt, der Beigeordnete für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt der Stadt Potsdam, knüpfte in seiner Begrüßungsrede an diesen Umstand an: Dass diese Kulturlandschaft heute wieder erlebbar sei, sei vor allem auch ein Verdienst der vielen Ehrenamtlichen.

Als der Vorsitzende des Fördervereins Kongsnæs, Volker Schneeweiß, das Wort ergreift, wird auch die symbolische Ebene der Veranstaltung deutlich. Denn Vereinsarbeit könne auch Nerven kosten – gegen das Kongsnæs-Projekt unter Leitung von Investor Michael Linckersdorff versuchten Anwohner juristisch vorzugehen. Noch einmal betonte er seine Freude darüber, dass „auch die letzten juristischen Auseinandersetzungen ein Ende gefunden haben“. Wie berichtet hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Ende letzter Woche die Berufung mehrerer Kläger abgelehnt, darunter Ex-„Bild“-Zeitungchefredakteur Kai Diekmann.

Die Botschaft ist deutlich: Nicht aufgeben. Und: Ein Erfolg kann eine große Wirkung haben. So trage die Wiederherstellung von Kongsnæs zum europäischen Gedanken bei: „In der Architektur Potsdams finden wir die Schweiz, England und die Niederlande – und Italien ist sowieso überall“, so Schneeweiß. „Mit der Matrosenstation Kongsnæs wird jetzt auch die Verbindung zu Norwegen wieder sichtbar.“ Lob dafür kam auch vom skandinavischen Land selbst, überbracht vom Ersten Sekretär der Königlich Norwegischen Botschaft, Jens Christian Boysen. Er betonte die guten Beziehungen seines Landes zu Deutschland.

Abseits der Reden wurde in Gesprächen der Menschen vor allem eines deutlich: Persönliche Erinnerungen an einen Ort – und dessen Verlust – sind häufig Antriebskräfte für das Engagement für kulturelles Erbe in Potsdam. Das haben nahezu alle Vereine gemeinsam.

Erinnerungen wie die von Michael Labitzke sind inzwischen selbst ein wertvolles Zeitzeugnis. Die Gelegenheit, Menschen wie ihm zu begegnen, gibt es bei den Veranstaltungen anlässlich des Kulturerbejahrs gleich mehrfach. Zu den Höhepunkten gehören dabei ein „Europäisches Picknick“, zu dem die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten am 23. Juni unterhalb der Orangerie im Park Sanssouci einlädt und ein großes Treffen von Potsdamer Vereinen auf dem Alten Markt am 29. September.

www.potsdam.de/europa-potsdam-kulturerben-zeigen-ihre-stadt

Andrea Lütkewitz

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